Nachlese zum "Tatort" München:Immer des G'schiss mit der Scheißwiesn

Tatort "Die letzte Wiesn"; Udo Wachtveitl, Esther Kuhn und Elan Lindgens (von links)

Das Prinzip Airbnb im Tatort: Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) zeigt zwei Wiesn-Touristinnen aus Schweden seine Wohnung.

(Foto: BR/Bernd Schuller)

Kommissar Leitmayr darf mal wieder eine alleinerziehende Mutter anschmachten. Und Gerichtsmediziner Steinbrecher kotzt ab. Die Nachlese zum Wiesn-"Tatort".

Von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um die Wiesn. Wovon sollte auch sonst ein Münchner Tatort handeln, der am Eröffnungswochenende des Oktoberfestes läuft? Apropos laufen: Franz Leitmayr würde am liebsten weglaufen, also vor dem ganzen Massenintoxikationswahnsinn - doch sein Italienurlaub wird jäh unterbrochen. Denn neben Alkoholleichen gibt es in München auch noch einen toten Italiener. Der ist an seinem eigenen Erbrochenen erstickt, nachdem ihm jemand GHB, also K.o.-Tropfen, in den Masskrug gegeben hat. Nicht das einzige Opfer, wie die Kommissare bald feststellen - im fiktiven Amperbräu-Zelt verübt ein Unbekannter Giftanschläge. Und schon ist Leitmayr mittendrin: muss Betrunkene befragen, sich mit einer fiesen Wiesnwirtin rumärgern und bei einer Kellnerin sein Nachtlager aufschlagen, weil er seine eigene Wohnung an Volksfest-Touristinnen aus Schweden vermietet hat. Seine Sofageberin ist mindestens so blond und hübsch wie die jungen Frauen aus dem Norden. Immerhin etwas.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz.

Bezeichnender Dialog:

Die Ermittler Batic und Leitmayr und ihr Chef Maurer haben sich in einem Büro zur Krisenbesprechung versammelt, gerade ist ein weiterer Zeltbesucher zusammengebrochen. Da klingelt das Telefon - Batic nimmt den Hörer ab.

Batic: Ja? Gut, danke.

Leitmayr: Und?

Batic: Er lebt. Herzfehler. Deswegen hat er so auf das GHB reagiert.

Leitmayr (in Richtung Maurer): Der nächste hat vielleicht nicht so viel Glück. Des wär' alles nicht passiert, wenn Sie des Zelt dichtgemacht hätten!

Maurer: Redens doch net so oan Schmarrn daher, Herr Leitmayr!

Die beiden brüllen sich an, bis Kommissar Batic dazwischen geht.

Batic: So, is' gut jetzt!

Maurer: Wie viele noch?

Batic: Sechs. Davon einer draußen vorm Zelt.

Leitmayr schüttelt stumm den Kopf.

Maurer: Mir brauchet 'n Krisenstab.

Leitmayr: Ja, freilich: Wenn ich keine Eier hab', bild' ich einen Krisenstab.

Maurer: Schluss jetzt, a Ruah! Ich brauche Sie, beide, jetzt.

Die besten Zuschauerkommentare:

Die beste Szene:

Die Wertsachen sind weggeschlossen (diverse Kerzenleuchter, zwei Jimi-Hendrix-Platten, ein Rotwein), der silberne Rollkoffer ist gepackt. Franz Leitmayr ist bereit für seine Flucht aus München. Bleibt nur noch, seine Wohnung zu übergeben: Das Airbnb-Prinzip hält Einzug im Tatort, wobei der Kommissar gleich die Härten des Zwischenmietergeschäfts erlebt. Silvio Pedretti aus Italien entpuppt sich als Silvia Pedretti aus Schweden samt Freundin, die jungen Frauen tragen riesige Rucksäche und Dirndl. Wohnzimmer, Schlafzimmer, gesperrtes Zimmer, Badezimmer, Küche - und dann gibt es wirklich nur noch eines zu sagen: "Das ist der Fikus - der kriegt diese Woche noch zwei Düngestäbchen." Situationskomik vom Allerfeinsten.

Top:

Trotz des lieblos unkreativen Titels, "Die letzte Wiesn", ist diese Münchner Episode über weite Strecken packend. Die Macher bringen klassisches Handwerkszeug der Krimidramaturgie zum Einsatz: den Zweifel. Ist der junge Klischee-Psycho mit einer Vorliebe für Techno und Tauben wirklich der Täter? Warum wird ein leitender Amperbräu-Angestellter nachts auf der Wiesn brutal überfallen?

Auch für unterhaltsame Momente ist gesorgt, zum Beispiel, wenn Leitmayr im italienischen Exil seinen Kollegen Batic am Handy mit einem wohlmodulierten "numero introvabile", kein Anschluss unter dieser Nummer, begrüßt - um ja nicht nach Hause zurückbeordert zu werden. Und wenn im Festzelt ein Opfer zu Helene Fischers "Atemlos" zusammenbrechen muss, dann ist das eine feine Ironie, die man vom Münchner Tatort nicht immer erwarten darf.

Flop:

Alle paar Folgen ködern die Drehbuchschreiber die alternden Münchner Ermittler mit der Ahnung von Liebe - nur damit die beiden nach 90 Minuten doch wieder zu zweit da sitzen und sich gegenseitig versichern, wie wenig sie sich brauchen. Diesmal ist Kommissar Leitmayr dran, er verguckt sich in die Wiesn-Bedienung Ina Sattler (Mavie Hörbiger). Die muss nicht nur mit übergriffigen Gästen fertig werden, sondern hat auch noch ihren kleinen Sohn hinten im Zelt sitzen, wie das halt so ist, wenn man alleinerziehende Mutter ist und die Babysitterin ausfällt. Beste Voraussetzungen also für Leitmayr, um als grauer Ritter zur Hilfe zu eilen. Wenn da nur nicht Inas Drogenvergangenheit wäre ...

Bester Auftritt:

Die herrische Wiesnwirtin mag keine noch nie gesehene Figur sein. Aber Gisela Schneeberger spielt das keifende, bösartige Weib so überzeugend, dass man in den Bildschirm greifen und ihr den Hals umdrehen möchte. Und so eine Brille muss man auch tragen können, ohne gleich ein Hipster zu sein.

Erkenntnis:

Das Oktoberfest liebt man - oder man schimpft darauf. Weil es, neben all dem Konsum und Kommerz, auch ein Symbol gesellschaftlicher Heuchelei ist. "Auf der Wiesn kann sich jeder benehmen wie die letzte Sau", sagt Kellnerin Sattler. "Ich trag' Radlerhosen, weil die Idioten mir zwischen die Beine greifen. Aber so lang man im normalen Leben schön angepasst und bieder ist - da interessiert des keinen."

Die Schlusspointe:

Wie schön wäre es, hätten die Drehbuchschreiber Gerichtsmediziner Steinbrecher das letzte Wort überlassen. Der sagt nämlich diesen wunderbaren Satz: "Immer des G'schiss mit der Scheißwiesn!" Haben Sie leider nicht, und so steht am Ende ein Twist, den man schon zigmal gesehen hat - und die beiden Kommissare sitzen Rücken an Rücken und blicken auf die blinkende Festwiese bei Nacht. Gähn.

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