Bürgerkrieg in Syrien:"Man setzt sein Leben aufs Spiel"

Es geht nicht um ein Leben in Luxus, es geht ums Überleben: Mohammad, Student aus Damaskus, über Schlepper und den Versuch deutscher Politiker, Flüchtlinge durch Leistungskürzungen fernzuhalten.

Von Julia Ley

Seit mehr als vier Jahren harren Mohammad und seine Familie im syrischen Bürgerkrieg aus. Noch hat sein Vater Arbeit in Damaskus, Mohammad geht weiter zur Universität. Bisher war die Stadt relativ sicher, doch die Lage verschlechtert sich täglich. Mohammad und seine Familie überlegen nun, nach Europa zu fliehen. Doch was heißt das eigentlich konkret? Über Skype berichtet Mohammad vom Leben in Damaskus und von der schwierigen Entscheidung, die Heimat zu verlassen. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen.

SZ: Mohammad, Deine Familie lebt seit Beginn des Bürgerkrieges in Damaskus. Warum denkt Ihr jetzt über eine Flucht nach?

Mohammad: Die Situation hier verschlechtert sich von Tag zu Tag. Sowohl die Sicherheitslage als auch die wirtschaftliche Situation. Es ist nicht mehr möglich, ein würdevolles Leben zu führen. Die Menschen geben trotzdem nicht auf. Aber es wird schwieriger, sich mit Essen zu versorgen. Viele leiden auch unter den Mietpreisen, sie mussten ihre Häuser in anderen Teilen Syriens zurücklassen.

Inwiefern hat sich die Lage in den vergangenen Wochen verschlechtert?

Damaskus war bisher relativ sicher, da es fest in Regierungshand war. Das ändert sich. Seit Kurzem beschießen die Rebellen Damaskus; Raketen fallen überall. Es ist sehr unsicher geworden, auf die Straße zu gehen. Menschen sterben.

Betrifft das auch Dich persönlich?

Ja. Erst vor wenigen Tagen hat ein Granatsplitter mein Fenster getroffen. Es war reines Glück, das ich überlebt habe.

Welche Möglichkeiten für eine Flucht gibt es momentan?

Uns geht es wie vielen anderen Syrern. Es gibt nur noch einen Weg nach Europa und der ist sehr gefährlich: mit Booten über das Mittelmeer. Das bedeutet, dass man sein Leben aufs Spiel setzt.

Warum gibt es nur noch diesen Weg?

Seit Beginn dieses Krieges vergeht kein Monat, ohne dass ein weiteres Land seine Einreisebestimmungen erschwert. Für fast alle Länder brauchen Syrer ein Visum - das wir aber nicht bekommen. Auch fast alle Botschaften in Syrien sind jetzt geschlossen.

Bleiben oder gehen: Es klingt wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera ...

Viele Menschen wägen mittlerweile so ab: Wenn ich in Syrien bleibe, sterbe ich wahrscheinlich durch Raketen. Wenn ich gehe, sterbe ich vielleicht auf den Booten. Beide Entscheidungen sind falsch.

Gibt es einen Ausweg?

Ich würde mir wünschen, dass man sich schon von hier aus um Asyl bewerben könnte. Dann müsste man nicht sein Leben riskieren, um dann vielleicht in Europa abgewiesen zu werden.

Es gibt natürlich die Aufnahmeprogramme des UNHCR, bei denen Flüchtlinge von Flüchtlingslagern in der Türkei und dem Libanon direkt in Aufnahmeländer wie die USA oder Kanada weiterreisen dürfen.

Aber diese Programme nehmen nur ganz wenige Menschen auf. Für meine Familie ist das keine Option, die Erfolgsaussichten sind zu gering. Und diese Programme betreffen ohnehin nur Menschen, die bereits in einem der Nachbarländer als Flüchtlinge registriert sind.

"Wir wollen nur überleben"

Wie reagieren die Nachbarländer Syriens auf den anhaltenden Flüchtlingsstrom?

Eigentlich kann man nur noch in die Türkei visumsfrei einreisen. Die meisten arabischen Staaten wie Ägypten und Jordanien haben angefangen, uns die Einreise zu erschweren. Seit Kurzem gilt das auch für den Libanon.

Der lange als eine Art Bruderstaat Syriens galt ...

Richtig. Libanon und Syrien waren wie eine Einheit. Als Syrer brauchte man nur einen Personalausweis, um sich sechs Monate lang legal im Libanon aufhalten zu können. Jetzt muss man mindestens 1000 US-Dollar (rund 895 Euro, Anm. d. Red.) mit sich führen, eine Hotelreservierung vorweisen und darf meist nur kurze Zeit bleiben. Das soll verhindern, dass Syrer Asyl beantragen.

Wie einfach ist es, sich in Syrien über verschiedene Fluchtrouten zu informieren?

Das größte Problem ist, dass die Schlepper fast alle Lügner sind. Sie bestehlen Flüchtlinge oder lassen sie einfach auf der Straße zurück. Und natürlich hören wir auch von Fällen wie dem in Österreich, wo 70 Syrer in einem Lastwagen erstickt sind. Der Schlepper hat sie zurückgelassen.

Was würde die Flucht nach Europa kosten?

Mindestens 4000 US-Dollar. Aber angeblich zahlen viele Syrer bis zu 7000 Dollar, um sicher von der Türkei nach Griechenland zu kommen. Und dann finden sie ein viel zu kleines Boot vor, indem mehr als 100 Menschen mitfahren sollen. Sie müssen es nehmen, weil sie keine andere Wahl haben. In meiner Familie sind wir fünf Personen, wir müssten wahrscheinlich zwischen 25 000 und 35 000 US-Dollar bezahlen. Das können wir uns nicht leisten. Wir müssten unser Haus verkaufen.

Die Atmosphäre in Europa ist aufgeheizt. Viele Politiker fordern, dass man Flüchtlingen weniger Unterstützung gibt, um keine Anreize zu schaffen. Beeinflussen solche Vorschläge Deine Entscheidung zu fliehen?

Natürlich merkt man, dass man nicht erwünscht ist. Aber am Ende haben wir doch gar keine andere Wahl als zu fliehen. Die Diskussion um bestimmte Hilfsleistungen macht da keinen Unterschied. Wir suchen kein bequemes oder gar luxuriöses Leben. Wir wollen einfach nur überleben.

In welches Land würdest Du heute am ehesten fliehen und warum?

Deutschland. Aus zwei Gründen: In Deutschland ist die Bevölkerung Syrern gegenüber freundlich gestimmt. Das gibt es auch anderswo. Aber in Deutschland wird das auch von der Politik gestützt. Zum Beispiel die Entscheidung, nicht auf dem Dublin-Abkommen zu beharren. Aber auch die Tatsache, dass wir dort Asyl bekommen, dass wir arbeiten und studieren dürfen.

Wie beurteilst Du die Ankündigung der EU, bald auch militärisch gegen Schlepper vorgehen zu wollen?

Ich finde das im Grunde richtig, da die Schlepper den Tod vieler Menschen zu verantworten haben. Andererseits: Die Leute sagen immer, dass die EU ein guter Ort ist, weil sie viele Flüchtlinge aufnehmen. Doch sie akzeptieren nur die, die den Tod auf sich nehmen, um dorthin zu kommen. Warum kann man keinen Weg finden, der sicher ist und den Menschen eine echte Chance auf ein neues Leben bietet?

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