Ungarn:Budapests undurchsichtige Flüchtlingspolitik

Flüchtlinge

Eine Gruppe von Flüchtlingen in der Nähe der serbisch-ungarischen Grenze.

(Foto: AP)
  • Die Österreichische Bundesbahnen (ÖBB) stellen den grenzüberschreitenden Regionalverkehr mit Ungarn vorübergehend ein - wegen Überlastung.
  • Offenbar lässt Ungarn auch Flüchtlinge zur Grenze durch, die bereits in Lagern untergebracht waren. Gleichzeitig droht die Regierung in Budapest mit hartem Durchgreifen.

Von Cathrin Kahlweit

Der Zugverkehr von Wien nach Budapest per Railjet und auch in den grenzüberschreitenden Regionalzügen ist vorübergehend eingestellt - wieder einmal. So recht aufregen kann sich in Wien darüber fast niemand mehr; die Österreichischen Bundesbahnen hatten vorvergangene Woche und auch vergangene Woche immer wieder mal den Zugverkehr gestoppt. Aus Sicherheitsgründen, hatte es jedesmal geheißen: weil Schlepper orientierungslose Flüchtlinge auf den Gleisen ausgesetzt hatten.

Und doch ist diesmal alles anders. Diesmal ist es nicht die Sorge um Menschenleben, diesmal muss "Sicherheitsbedenken" mit "Überlastung" übersetzt werden. So viele Menschen waren allein in der Nacht zum Donnerstag über den ungarischen Grenzort Hegyeshalom nach Österreich geströmt, dass die Behörden gar nicht mehr wussten, wie sie all die Flüchtlinge noch transportieren sollten: allein knapp 4000 in der Nacht, im Laufe des Donnerstags dann noch einmal knapp 3000. Ein Drittel davon wurde untertags nach Wien und von dort aus weitergefahren, in Regionalzügen und mit Bussen, 4700 warteten nach Angaben des Innenministeriums am späten Nachmittag im Grenzort Nickelsdorf immer noch auf die Weiterreise.

Aber anders als am vergangenen Wochenende, als sich Polizei, Bahn und Helfer quasi mit Ansage aus Budapest auf eine große Anreisewelle aus Ungarn vorbereiten konnten, war es diesmal doch alles ein bisschen viel: Zum einen habe es keine Vorwarnung von der ungarischen Regierung gegeben, wie der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, klagt. Und zum anderen war wieder Schulalltag in Wien, also waren Schulbusse im Einsatz für Schüler, Reisebusse für Pendler.

Überrasschend kann der Zustrom eigentlich nicht gewesen sein

Man habe alles, was fuhr, auf die Gleise gestellt, ließen die ÖBB wissen, aber nun müsse man den Andrang erst einmal sukzessive abarbeiten. Das war allem Anschein nach schwer genug: Die Züge, die aus Budapest in Hegyeshalom ankamen, seien so überfüllt gewesen, dass sie in diesem Zustand in Österreich nie hätten fahren dürfen, sagte ein Bahnsprecher. "Wir tun unser Möglichstes, aber das Möglichste reicht nicht mehr."

Dass der Zustrom aus Ungarn, der immer noch stetig zunimmt, überraschend gewesen sei - allein im nordserbischen Grenzort Kanjiža sind am Donnerstag schon wieder etwa 5000 Flüchtlinge eingetroffen - das kann eigentlich nicht allen Ernstes behauptet werden. Am Bahnhof Budapest-Keleti hatten sich in den vergangenen Tagen wieder Tausende versammelt; stündlich brachen Gruppen in ungarischen Regionalzügen zur Grenze, nach Hegyeshalom, auf. Und auch das südungarische Lager Röszke war komplett überfüllt gewesen.

Ungarn droht mit hartem Durchgreifen

Allerdings berichten Reisende aus Ungarn zweierlei: Die MAV, die ungarische Bahn, habe nicht nur in Budapest, sondern etwa auch in Győr, das an der Strecke nach Wien liegt, Dutzende zusteigen lassen. In Győr befindet sich ein Flüchtlingslager des ungarischen Staates. Und auch in Röszke scheint sich einiges zu tun, was angesichts einer weitgehenden Informationsblockade aus Budapest nur mit Mühe eindeutig zu interpretieren ist: Beobachter berichten, dass die Flüchtlinge nicht mehr, wie in den vergangenen Wochen, zum Zug nach Szeged gefahren und von dort in Lager transportiert würden (diesem zweiten Teil des Transports hatten sich die meisten ohnehin entzogen), sondern direkt mit Bussen ohne Angabe eines Ziels abgeholt und weggefahren würden. Wer weiß, vielleicht zum Zug nach Österreich?

Offiziell ist aus Budapest zu hören, Polizei und MAV würden gemeinsam für die "Sicherheit der Flüchtlinge und des Zugverkehrs sorgen". Gleichzeitig drohte Ungarn an mehreren Fronten mit einem harten Durchgreifen: Außenminister Péter Szijjártó kündigte im Interview mit einer serbischen Zeitung an, abgelehnte Flüchtlinge in Zukunft umgehend nach Serbien abzuschieben. Und Innenminister Sándor Pintér betonte, man denke darüber nach, vom 15. September an den nationalen Notstand auszurufen.

An diesem Tag soll die verschärfte Asylgesetzgebung in Ungarn in Kraft treten. Das ist auch offenbar der Grund dafür, dass dieser Tage noch mehr Flüchtlinge als sonst gen Norden über die ungarische Grenze streben; von kommender Woche an gilt das unbefugte Überwinden des Grenzzauns als Straftat, die mit mehreren Jahren Haft bestraft werden kann. Das hat sich herumgesprochen; zudem ist mittlerweile als Gerücht in den internationalen Nachrichten angekommen, dass auch die mazedonische Regierung überlegt, einen Zaun zu bauen.

In ganz Österreich wächst die Hilfsbereitschaft

Während die Empörung über das ungarische Vorgehen, das Hin und Her der Behörden, in ganz Europa wächst, wächst in Österreich eine nie gekannte Hilfsbereitschaft. Sogar Parteien und Verbände zeigen ganz ungewohnte Seiten. Die einflussreiche Industriellenvereinigung hat mitgeteilt, zahlreiche große Firmen hätten angeboten, Flüchtlinge auf ihrem Betriebsgelände unterzubringen. Kasernen wurden geöffnet, Soldaten stellen am Grenzübergang Zelte und Feldbetten für jene auf, die auf ihre Weiterreise warten müssen - eine Maßnahme, die zuvor wochenlang erst einmal diskutiert worden war. Ministerien, Caritas und Polizei danken sich gegenseitig auf Twitter, auch das hat es wohl so noch nicht gegeben.

Und auch die Szene der freiwilligen Helfer koordiniert sich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Nicht nur am Wiener Westbahnhof, von wo aus Tausende neu Angekommene weitergeleitet werden, sondern auch am neuen Wiener Hauptbahnhof hat sich ein Wartelager gebildet, auch hier warten Hunderte, bis es weitergeht.

Die Initiative "Train of Hope" schafft mittlerweile im Minutentakt Sachspenden und Sim-Karten, Geld und Spielzeug heran. Und die Österreichischen Bundesbahnen, wie wohl jede Bahn der Welt in der Regel vor allem mit unzufriedenen Kunden konfrontiert, durfte sich am Donnerstag über diesen Eintrag freuen: "Achtung, Sonderwunsch: Die wunderbare ÖBB hat neue Schlafräume zur Verfügung gestellt: Danke! Dafür brauchen wir Sichtschutz: große Rollen helles Maler-Papier, oder helle Stoffbahnen, plus Malerband oder Gaffa. Danke!"

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