Volksmusik im Fernsehen:Murks liegt in der Luft

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Nett: Moderator Alexander Mazza und Schlagersternchen Francine Jordi präsentieren den neuen Stadl. (Foto: Herbert Pfarrhofer/dpa)

Der "Musikantenstadl" heißt jetzt "Stadlshow". Der Name ist flippiger, die Moderatoren sind jünger - Erneuerung auf öffentlich-rechtlich.

Von Katharina Riehl

Am 27. Juni hat Andy Borg im kroatischen Pula noch einmal das eine Lied gesungen, das Lied über eine Frau, die mit seinem besten Freund davonzieht, das Lied, mit dem er im Jahr 1982 berühmt wurde und die Charts stürmte. Und das an jenem Sommerabend 33 Jahre später fast unwirklich perfekt zu passen schien auf Andy Borgs große enttäuschte Liebe zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

So muss das Leben wohl sein.

Es holt alle Verlierer mal ein.

Ich komm verlassen mir vor.

Drum adios, adios, adios Amor.

Die großen gebührenfinanzierten Sendeanstalten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben Andy Borg, 54, seinen Musikantenstadl weggenommen, so jedenfalls sieht er das, und Borg hat darüber nicht nur in seiner letzten Sendung im Juni öffentlich getrauert. "Groß und schlank und jung" solle die Sendung werden, habe ihm der Unterhaltungschef des ORF mitgeteilt, erzählte er zum Beispiel den Stuttgarter Nachrichten, und er, Borg, sei eben ziemlich genau das Gegenteil. "Jung und hip allein, das ist kein Erfolgsrezept", sagte er dem Straubinger Tagblatt, "Mein Stadl wird zerstört", dem Express.

Andy Borgs Abgang vom Musikantenstadl
:Adiós Amor

Nicht mehr so richtig schick im Portfolio: ARD, ORF und SRF fragen sich, wie es mit dem "Musikantenstadl" weitergehen soll. Die erste Entscheidung: Andy Borg muss als Moderator abtreten. Mag sein, dass er zu alt ist - vielleicht aber auch zu rebellisch.

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Andy Borg fühlt sich verlassen und verarscht, und es ist natürlich keine Kunst, sich über die Krokodilstränen eines ausgemusterten Showrecken lustig zu machen. Doch in Wahrheit geht es in dieser Geschichte des volkstümlichen Fernsehirrsinns Musikantenstadl, der nun den ungleich flippigeren Namen Stadlshow trägt und "aktuellen Trends" der einschlägigen Musikgenres Rechnung tragen soll, um viel mehr. Es geht um die erstaunliche Hilflosigkeit, mit der das deutsche Fernsehen an seiner Erneuerung arbeitet.

Köln, Anfang der Woche, noch fünf Tage, bis in Offenburg die neue, völlig andere Stadlshow ihre Premiere feiert. In der Lobby des Hotel Savoy sitzen Alexander Mazza, 42, und Francine Jordi, 38, auf die sich die beteiligten Sender ARD, ORF und SRF als neue Moderatoren der 1981 erstmals ausgestrahlten Fernsehshow einigen konnten. Sie trinken Tee aus weißen Porzellantässchen und sind ein bisschen müde, sie waren heute schon im Morgenmagazin zu Gast, später am Nachmittag sitzen sie auf dem Sofa der NDR-Sendung Das!. Öffentlich-rechtliches Cross-Marketing.

Natürlich hat es seit dem Rauswurf von Andy Borg und der Berufung der beiden Nachfolger im stets leicht zu echauffierenden Internet jede Menge Hohn und Hass für die neuen Moderatoren gegeben. Viele schlecht gelaunte Einträge findet man zum Beispiel auf Andy Borgs Facebook-Seite mit dem Versprechen treuer Fans, auf gar keinen Fall jemals die neue Show mit den beiden Verrätern anzuschauen.

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Die ARD will den Musikantenstadl verjüngen, Andy Borg muss gehen. Und alle Welt fragt sich: Gibt es überhaupt junge Fans der Sendung? Und wenn ja, was finden die gut an Volksmusik? Fünf Meinungen.

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Spricht man Alexander Mazza und Francine Jordi darauf an, bekommt man Antworten wie auf die meisten Fragen an diesem Mittag in Köln: total nett - und wie aus dem Handbuch für nichtssagende Interviewantworten. Mazza erklärt, er habe nicht mit solchen Reaktionen gerechnet, könne sie aber verstehen. "Aber es belastet mich nicht, ich schaue nach vorne." Und Jordi sagt: "Aber dieser Gegenwind, diese Kritik, das ist auch gut für uns." So nett und vernünftig ist der neue Stadl.

Die Gastgeber Mazza und Jordi, der Moderator und das Schweizer Schlagersternchen , stehen für eine Neigung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Jugend zu wollen und Profillosigkeit zu bekommen. Mazza, der seine TV-Karriere beim Magazin Sam bei Pro Sieben begann, im Ersten Brisant moderierte und seit 2012 dem Frauenmagazin Mona Lisa im ZDF eine Prise Männlichkeit verpassen soll, ist ein professioneller Fernsehansager ohne bekannte Vorliebe für Schunkelsendungen. Für die Glaubwürdigkeit in Schlagerfragen soll deshalb Francine Jordi sorgen, eine sehr schmale, hübsche, blonde Frau, die 1998 für die Schweiz den Grand Prix der Volksmusik gewann und in Andy Borgs Musikantenstadl auch schon als Gast auftrat.

Man tritt Alexander Mazza nicht zu nahe, wenn man sich ein wenig wundert über seine Berufung, und einer der wenigen spürbar ehrlichen Momente des Interviews entsteht, als man Mazza fragt, ob er seine Kollegin, den Schlagerstar, früher schon wahrgenommen hatte. Francine Jordi lacht da glockenhell und antwortet: "Wenn er jetzt Ja sagt, dann lügt er."

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Alexander Mazza ist ein netter, gut aussehender Moderator, einer, der die kecken Flirtsprüche im Herzblatt genauso professionell ansagen konnte, wie er das heute mit Mona-Lisa-Berichten über Flüchtlinge tut. Andy Borg aber lebte für den Musikantenstadl, und wer an Borgs Fähigkeiten als Entertainer zweifelt, dem sei bei Youtube sein Auftritt in der großartigen Sendung Inas Nacht empfohlen, wo er gemeinsam mit Bastian Pastewka den Wendler tanzte.

Klar ist trotzdem: Wer den Musikantenstadl verabscheut, der verabscheut auch Andy Borg. So wie man Florian Silbereisen, den verbliebenen großen Schunkelhelden im deutschen Fernsehen, wohl nur lieben oder hassen kann. Alexander Mazza zu verabscheuen, ist quasi unmöglich.

Zur Wahrheit dieser Geschichte gehört natürlich auch, dass man im Archiv Texte findet über die unerträgliche Biederkeit des Andy Borg - und dass dieselben Autoren ein paar Monate später der charmanten Biederkeit des Andy Borg hinterhertrauerten. Wer wöchentlich das öffentlich-rechtliche Fernsehen verdreschen will, muss flexibel sein.

Der BR betont, dass Verjüngung bei der Reform nur "eine untergeordnete Rolle" spiele

Trotzdem könnte die neue Stadlshow symptomatisch werden für den öffentlich-rechtlichen Umgang mit dem Quotenschwund - 2015 sahen noch 4,1 Millionen Menschen im Schnitt den Musikantenstadl, vor zehn Jahren waren es noch 5,5 Millionen. Symptomatisch für ein Fernsehen, das Erneuerung offenbar damit verwechselt, die Dinge möglichst keimfrei zu schrubben. Das Programm wird auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, weshalb es ja auch nur noch Krimis und Quizshows gibt, was irgendwie jeder ganz o.k. findet. Konsensfernsehen, immer.

Die große Reform des Musikantenstadl, des gebührenfinanzierten Lederhosenfestes, fällt in eine Zeit, in der ARD und ZDF ohnehin schwer zu kämpfen haben um die Unterhaltungshoheit am Samstagabend. Ein Jahr ist es bald her, dass das ZDF Wetten, dass . . ? beerdigte, seinen großen Showklassiker, der auch moderner werden sollte und mit seinem überforderten Moderator Markus Lanz vor allem sehr vielen Menschen sehr egal wurde. Und sonst? Rateshows für die ganze Familie, Kinderfernsehen für Große. Der Musikantenstadl dagegen wurde schon vor 20 Jahren fast nur von Menschen über 50 gesehen. Aber: Warum soll ein Sender, der keine Quoten braucht zum Geldverdienen, nicht viermal im Jahr Programm machen für vier Millionen Rentner?

Fragt man nach bei Annette Siebenbürger, der Unterhaltungschefin des in Deutschland für die Show zuständigen BR, legt sie Wert darauf, dass Verjüngung nur "eine untergeordnete Rolle" spiele. Man wolle alle Altersgruppen ansprechen - was bei einer Sendung mit 3,6 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen dann doch vor allem bedeuten muss, mehr Junge zu erreichen. Hübsch ist in dem Zusammenhang auch, dass die ARD ihr Konzept "Stadl 2.0" nennt, nicht etwa weil die Sendung irgendwas mit dem Internet zu tun hätte, sondern mehr so als allgemeines Symbol der Moderne. Immerhin: In der Stadlshow werden nach jetzigem Kenntnisstand keine Twitter-Einträge vorgelesen.

Fest verabredet sind erst mal nur zwei Stadlshows, die Ausgabe aus Offenburg an diesem Samstag und die Silvestersendung. Nach Offenburg, sagt Annette Siebenbürger, werde man sich zusammensetzen und das Potenzial analysieren. "Im Herbst wird dann entschieden." Ein Vertrauensvorschuss sähe anders aus.

Andy Borg jedenfalls wird den Samstagabend in Berlin verbringen, das hat er seinen knapp 90 000 Facebook-Fans am Donnerstag schon mal mitgeteilt. Das sei, so seine Recherchen, 671 Kilometer von Offenburg entfernt.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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