Studium:Einmal Plagiat, immer Plagiat?

Unis setzten im Kampf gegen Plagiate auf Prävention

Skandalgeschichten verdecken die ungezählten stillen Hochstapler, die ihre Dissertation in den Bibliotheken am liebsten ungelesen verstauben lassen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Fünf Jahre nach dem Plagiatsfall Guttenberg sind Spürnasen wie Vroniplag immer noch am Werk.
  • Mittlerweile prüfen sie auch Arbeiten nicht prominenter Promovierer.
  • Dabei rückt eine Verjährungsfrist für Wissenschaftsbetrug an der Münchner LMU in den Fokus der Debatte.

Von Hermann Horstkotte

Wer für eine Doktorarbeit heimlich bei anderen Autoren abschreibt und dabei erwischt wird, verliert den Titel und kommt auf der Karriereleiter ins Stolpern - jedenfalls wenn er oder sie Guttenberg oder Schavan heißt oder sonst in irgendeiner Weise prominent ist. Annähernd zehn prominente Fälle haben Spürnasen etwa auf dem Internet-Pranger Vroniplag schon erfolgreich aufgedeckt.

Nun, gut fünf Jahre nach dem großen Guttenberg-Knall im Wissenschaftssystem, sind die Plagiate-Jäger immer noch am Werk; und sie gehen in die Breite, prüfen Arbeiten nicht prominenter Promovierter. Denn große Skandalgeschichten verdecken die ungezählten stillen Hochstapler im Lande, die gar nicht auffallen und ihre Dissertation in den Bibliotheken am liebsten ungelesen verstauben lassen. Bei jährlich etwa 25 000 Promotionen ist die statistische Wahrscheinlichkeit hoch, dass durchschnittlich langweilige Arbeiten mit Plagiaten unbemerkt bleiben. In dem Kontext kann höchstens die "unerwartete Lektüre zur Katastrophe (für den Autor) führen", hat der Philosophieprofessor Peter Sloterdijk mal treffend gesagt.

Konkrete Beispiele für die unzureichende Qualitätssicherung sind zwei aktuelle Fälle an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Bei einer pädagogischen Doktorarbeit über "interkulturelles Verstehen durch Kunst" haben weder die Gutachter noch Fachgenossen geistige Piraterie bemerkt. Sie fiel erst bei einer "Reihenuntersuchung" von Vroniplag an der LMU auf, wie die Berliner Informatikerin und Hochschullehrerin Debora Weber-Wulff als geistige Mutter der Initiative erklärt. Umgesetzt wurde die Untersuchung indes nicht von Lesern, sondern von digitalen Lesemaschinen mit Suchprogrammen. Als verschwiegene Hauptquellen stellten sich ein Wikipedia-Artikel, eine Diplomarbeit und eine ältere Dissertation heraus.

Die Autorin braucht sich um ihren Doktorhut jedoch nicht zu sorgen: Denn die Promotionsordnung lässt eine Aberkennung nur in den ersten fünf Jahren nach der Doktorprüfung zu - diese fand in dem Fall aber schon vor sechs Jahren statt. Besagte Frau Doktor, bislang Büroleiterin des "Bayerischen Hochschulzentrums für China" in Peking und damit internationale Repräsentantin der Wissenschaft des Freistaats, hat kürzlich, als Vroniplag ihr auf der Spur war, gekündigt - "aus familiären Gründen", wie ihr bisheriger Arbeitgeber auf Nachfrage fürsorglich sagt. Also kein Schimmer von wissenschaftlichem Fehlverhalten, weder in München noch in Peking. Und die Universität unternimmt, so wie es aussieht: nichts.

Für Volker Rieble, Rechtsprofessor an der LMU und Autor der Standardlektüre in Sachen Wissenschaftsbetrug "Das Wissenschaftsplagiat", ist der akute Fall umso befremdlicher, weil die Uni in den Jahren 2012/ 13 schon einmal das gleiche Problem mit einer Dissertation hatte, Thema Drogenmissbrauch. Einem beklauten Professor war die Kopie erst nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist zufällig aufgefallen. "Der Plagiatsvorwurf war berechtigt und eine Täuschungshandlung besteht", sagt dazu heute eine Sprecherin der LMU. Es erging "ein entsprechender Bescheid", dass ein Fehlverhalten vorliegt. Aber der Grad kann nicht entzogen werden wegen der Frist. Schweigen ist Gold, die Betroffene kann den Brief theoretisch einfach wegwerfen.

Annette Schavan wäre mit der Münchner Regel noch Doktor

Eine Verjährungsfrist würde den Fakultäten an deutschen Unis natürlich Arbeit ersparen, sie müssen nicht reagieren bei Verdacht auf Plagiat. Vielleicht deshalb empfiehlt ein Positionspapier aller Fakultätentage bundesweit: die Verjährung bei einem erschlichenen Doktorgrad, aber lieber erst zehn Jahre nach dem Examen. Fünf Jahre sind erfahrungsgemäß ein zu kurzer Zeitraum für kritische, rechtzeitig warnende Besprechungen in der Fachliteratur.

"Soweit bekannt, gibt es in Deutschland keine Promotionsordnung, nach der das Verfahren zum Entzug eines Doktorgrades nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr betrieben werden kann", hieß es in der Empfehlung, die 2013 erlassen wurde. Die LMU-Regel wurde dabei übersehen. Dieselbe Fünf-Jahres-Frist galt zeitweilig auch an einer Fakultät der Universität Eichstätt, wurde aber 2011 abgeschafft. Die fünf Jahre lehnen sich an Verjährungsvorschriften für Betrug in berufsqualifizierenden Bachelor- und Masterprüfungen an vielen Hochschulen an. Damit soll die erforderliche Rechtssicherheit im Beruf Vorrang vor dem akademischen "Startfehler" haben.

Für Rieble kommt eine flächendeckende Verjährungsfrist nicht infrage. Hochstapelei bleibt Hochstapelei, meint er sinngemäß. Es gehe auch um das "Selbstwertgefühl der Wissenschaft". Zum Beispiel Ex-Bildungsministerin Annette Schavan hätte heute noch ihren Doktorgrad - wenn es an der Uni Düsseldorf die Regel gegeben hätte. Ihre Dissertation stammt von 1980.

Abgesehen von der Uni-Karriere ist der Doktor freilich nirgends Voraussetzung für den Beruf, nicht für Ärzte, Anwälte, Lehrer, Manager. Daher lässt sich eine Verjährung nicht mit Notwendigkeiten der Berufswelt begründen. Stattdessen argumentieren Befürworter oft mit der späteren "Lebensleistung" von Promotionsschwindlern. Diese Sicht entspricht gleichwohl einem alten Gesellschaftsbild mit Rang und Namen, das der Rechtsgelehrte Paul Laband vor mehr als hundert Jahren so formulierte: "Die Verleihung eines Titels hebt den dadurch Ausgezeichneten in der allgemeinen Achtung bei Weitem nicht in dem Grade, wie ihn die Entziehung des Titels herabsetzt."

Uni-Städte in Deutschland

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