Football:Besonders wertvoll

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Russell Wilson muss in dieser Saison mehr sein als nur Spielmacher. Er ist nun das Gesicht der Seattle Seahawks.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt ein paar Tage im Sommer, da sind die weiblichen Einwohner der Stadt Hermosa Beach im Süden von Los Angeles extrem aufgeregt. Sie wollen zum Strand, schließlich gibt es nicht nur den Sonnenuntergang und Surfer zu bestaunen, sondern auch ein paar menschliche Naturgewalten. Die Seattle Seahawks sind seit fünf Jahren immer eine Woche lang da, weil Trainer Pete Carroll hier wohnt. Im Fitnessstudio arbeiten sie am perfekten Sitz der Muskulatur, im Sand spielen sie nur mit Badeshorts bekleidet ein bisschen Flag Football, die körperlose Variante dieser Sportart.

"Der Weg zur Super Bowl 2014 hat hier begonnen", sagt Spielmacher Russell Wilson. Der ist die Symbolfigur der Seahawks - nicht nur deshalb, weil Quarterbacks andauernd zu Symbolfiguren verklärt werden. Wilson verdient in dieser Saison offiziell 700.000 Dollar, ein Schnäppchen für die Seahawks, wenn man die Gehälter anderer Spielmacher vergleicht: Cam Newton (Carolina Panthers) bekommt 20,8 Millionen Dollar, Ben Roethlisberger (Pittsburgh Steelers) 21,8 Millionen, Aaron Rodgers gar 22 Millionen.

Ab 2016 wird der Quarterback jährlich 21,9 Millionen verdienen

Doch freilich ist Wilson, 26, seit wenigen Wochen kein Schnäppchen mehr für die Seahawks, er hat Ende Juli - kurz nach dem Trainingslager am Strand - einen neuen Vertrag unterschrieben, der von der kommenden Saison an gültig sein wird. Die ersten 6,3 Millionen Dollar haben die Seahawks bereits als Bonus für die Unterschrift überwiesen, von der Spielzeit 2016 an wird er dann vier Jahre lang durchschnittlich 21,9 Millionen Dollar verdienen. "Das ändert gar nichts", versichert Wilson, doch natürlich weiß er: Das verändert alles.

Knapp 22 Millionen Dollar, das ist die marktübliche Bezahlung für einen Spielmacher, der seinen Verein zwei Mal nacheinander ins Endspiel geführt und 2014 den Titel gewonnen hat - und doch zeigt es eindrucksvoll die Probleme, mit denen die Seahawks nun umgehen müssen. In der NFL gilt eine strenge Gehaltsobergrenze, in dieser Saison dürfen Vereine ihren Akteuren insgesamt nicht mehr als 143,28 Millionen Dollar bezahlen. Die Seahawks waren in den vergangenen Spielzeiten auch deshalb erfolgreich, weil prägende Akteure wie Wilson oder die Verteidiger Richard Sherman (2014: 1,4 Millionen Dollar/2015: zehn Millionen), Bobby Wagner (2014: 780.000/2015: drei Millionen) und K.J. Wright (2014: 1,4 Millionen/2015: 4,75 Millionen) eher gering dotierte Verträge hatten und deshalb Geld übrig war für andere Spieler.

Die steigenden Gehälter drohen den Teamgeist zu zerstören

Genau das ändert sich gerade, wie auch der Streik von Verteidiger Kam Chancellor zeigt. Der dauert seit 42 Tagen an, er wird deshalb auch beim ersten Saisonspiel am Sonntag bei den St. Louis Rams fehlen und auf ein Gehalt von 267.000 Dollar verzichten. Er will die für 2017 versprochene Gehaltserhöhung um zwei Millionen Dollar bereits in der kommenden Saison haben. Beim Abschlusstraining trug Laufspieler Marshawn Lynch das Trikot seines Kollegen, um ein Signal an den Verein zu senden, diesen Vertragsstreit nun endlich zu beenden. "Es wird eine Lösung geben", sagt Defensive Coordinator Kris Richard: "Wir warten darauf, dass er zurückkommt."

Die Spieler, die zuletzt derart erfolgreich als Mannschaft funktioniert haben, sie möchten nun auch individuell ihrem Marktwert entsprechend bezahlt werden. Bereits in der vergangenen Saison soll es deshalb zu Reibereien in der Umkleidekabine gekommen sein, die Akteure der Offensive sollen sich teils heftig mit den Defensivspielern gezankt haben. Aus diesem Grund hat Wilson die Akteure zunächst nach Hawaii gebeten - am Strand durfte jeder sagen, was ihn beschäftigte: Einige behaupteten, dass die fatale Entscheidung am Ende des vergangenen Endspiels (die Seahawks hatten geworfen, anstatt den Ball an Lynch zu übergeben) nicht aus sportlichen Gründen getroffen worden sei, sondern deshalb, um Wilson zu einem noch größeren Star zu machen. Andere beschwerten sich über mangelnden Respekt und schlechte Bezahlung.

Sechs Tage Teamfindung auf Hawaii

Wilson hielt eine Rede, danach lud er seine Kollegen zu einem Football-Turnier ein. Die einzige Regel: Niemand durfte auf seiner Lieblingsposition spielen - also wurde Chancellor zum Quarterback, während Wilson als Verteidiger versuchte, den kräftigen Bobby Wagner umzureißen. Nach sechs Tagen ging es zurück nach Seattle, später dann nach Hermosa Beach, wo Wilson mittlerweile ein Haus besitzt.

Er weiß, dass er nun nicht mehr der junge Spielmacher mit dem wohl besten Preis-Leistungs-Verhältnis der gesamten Liga ist. Er ist nun das Gesicht des Vereins, er muss ein Anführer auf dem Platz und abseits davon sein. "Ich muss ein Vorbild sein", sagt er über sich selbst: "Wir haben noch immer eine starke Defensive, ein starkes Laufspiel und großartige Play-Action-Spielzüge." Mit Zugang Jimmy Graham bekommt er in dieser Spielzeit auch einen der besten Tight Ends der Liga zur Seite gestellt, der sowohl blocken als auch Bälle fangen kann.

Die Seahawks verfügen noch immer über eine der besten Mannschaften der NFL, sie würden gerne zum dritten Mal nacheinander ins Finale einziehen - und dann natürlich auch gewinnen. Der Weg hätte diesmal nicht in Hermosa Beach begonnen, sondern auf Hawaii.

© SZ vom 13.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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