Asylsuchende in München:Eine Frage der Relationen

Ankunft von Flüchtlingen am Bahnhof München

Flüchtlinge, die kurz zuvor per Zug angekommen sind, warten am Hauptbahnhof in München auf einen Bus, der sie in eine der diversen Erstaufnahmeeinrichtungen fahren soll.

(Foto: dpa)

Wenn München Zehntausende Flüchtlinge erwartet, läuft eine riesige Hilfsmaschinerie an. Bis zu 4000 Ehrenamtliche unterstützen die Ankommenden - unter nicht immer optimalen Bedingungen.

Von Lars Langenau

Eine riesige Maschinerie läuft an

Mindestens 50 000 Menschen werden erwartet, vielleicht auch mehr als 70 000. Darunter werden ganz normale Menschen sein, friedlich größtenteils. Vielleicht auch ein paar Gewalttäter. Ein Großteil von ihnen wird ungewöhnliche Kleidung tragen, ein paar werden erschöpft, müde wirken. Andere euphorisch. Die Polizei wird ein Großaufgebot stellen. Man hofft, dass alles in geregelten Bahnen verlaufen wird.

Auch nach Derby zwischen dem FC Bayern München und dem FC Augsburg.

Es ist eine Frage der Relationen, die Deutschland gerade bewältigt. Wenn am Münchner Bahnhof am Wochenende 40 000 Flüchtlinge erwartet werden, dann läuft eine riesige Maschinerie an. 5821 Personen strandeten bereits in der Nacht in der bayerischen Landeshauptstadt.

Am frühen Samstagmorgen war von ihnen nichts mehr zu sehen. Alles ist inzwischen wohl geordnet. Mitten im Zentrum dieses Dramas der Flüchtlinge läuft der Betrieb eines Radlverleihs und der des Kindermuseums weiter. In der Auslage des Zeitungskiosks liegt das "Stern"-Sonderheft "Islam verstehen" aus. Nebenan laufen verschleierte Frauen, erschöpfte Kinder und ausgezehrte Männer vor allem aus dem Kriegsgebiet in Syrien ein. Dutzende Freiwillige, Angestellte der Regierung von Oberbayern, Hunderte Beamte der Landes- und Bundespolizei aus ganz Bayern, Dutzende Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr leisten hier im Schichtdienst wunderbare, wichtige Arbeit.

Langfristige Hilfe ist gefragt

Inzwischen sind die Klatschenden, die Schaulustigen am Gleis weitgehend verschwunden. Es war ja auch eine schräge Geste, so berührend sie auch war. Aber das ist nun vorbei. Jetzt ist langfristige Hilfe nötig. Am Flügelbahnhof Richtung Oberbayern herrscht professionelles Getriebe. Immer wieder spucken Züge aus Österreich kommend Menschen aus. Mal vereinzelte, mal Dutzende, mal Hunderte. Alle Ankömmlinge werden Richtung Vorplatz geleitet. Dort stehen Busse bereit, die sie in Notquartiere bringen. Da bleiben sie ein bis zwei Tage, manchmal nur Stunden bis sie auf andere Standorte in Deutschland verteilt werden.

Vorher, noch in einer Halle am Bahnhof, bekommen sie Wasser, Verpflegung und - wenn nötig - neue Klamotten. Ein paar Meter weiter steht ein Zelt, in dem sie sich einem medizinischen Kurzcheck unterziehen müssen. Dann geht es weiter zu den Bussen. Nach einer Stunde sind die meisten der Flüchtlinge auf andere Standorte verteilt. Und sie sind aus den Augen der anderen Bahnfahrenden.

Wie lange München die Flüchtlinge noch in andere Städte schicken kann, ist unklar. Am Samstagmittag stehen Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Christoph Hillenbrand, Präsident der Regierung von Oberbayern, gemeinsam am Hauptbahnhof. Ihre Laune könnte deutlich besser sein. Noch immer läuft die bundesweite Verteilung der Asylsuchenden nicht wie gewünscht. Am Samstag könnte der erste Tag sein, an dem mehr Flüchtlinge in München ankommen, als die Behörden bewältigen können. Ihre Botschaft: Die Stadt braucht Hilfe, sonst läuft der Hauptbahnhof voll.

Bis zu 4000 Ehrenamtliche halten sich bereit

Nein, die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen sei noch nicht gekippt, sagt Colin Turner. Der 35-jährige Mitarbeiter einer linken Bundestagsabgeordneten engagiert sich seit Beginn in der Flüchtlingshilfe. In seinem Urlaub. Zunächst direkt am Flügelbahnhof, seit Mittwoch am Elisenhof, quer gegenüber von Hauptbahnhof. Da steht seither ein von der MVG gestellter Bus von dem aus die Arbeit der Ehrenamtlichen koordiniert wird. "Infopoint" steht draußen drangeschrieben. Auf einem selbst gemalten Plakat. Drin herrscht wuseliges Gedränge, davor stehen Zelte in denen Münchner Spenden abgeben können, zu dem das Bündnis zuvor im Internet aufgerufen hat. Andere Dinge werden nicht mehr angenommen. Nebenan fahren die Sightseeing-Busse los. Surreal.

"Gestern hatten wir 180 Personen in der Nachtschicht, verteilt auf sechs Standorte in der Stadt", sagt Turner. Neben ihm stehen ein Vater und sein fast erwachsener Sohn. Sie sind Touristen, die einen Tag München besuchen wollten, aber kurzfristig entschieden haben zu helfen. Inzwischen seien 3000 bis 4000 ehrenamtliche Helfer registriert, sagt Turner. Eine Gruppe von 30 Ehrenamtlichen wird in einer Ecke des Bahnhofs gerade eingewiesen. Darunter Vater und Sohn. Nun bekommen sie eine Signalweste aus leuchtendem Rosa, eine Aufgabe und einen Mundschutz, der seit ein paar Tagen obligatorisch ist. "Zum gegenseitigen Schutz", sagt Turner. Wir haben noch immer Bedarf an Helfern, fügt er hinzu. Allerdings immer sehr kurzfristig.

Eine Frau kauft neue Decken

Gerade halten Autos in zweiter Reihe auf der Straße von dem Bus. Im Kofferraum Kekse und kleine Flaschen Wasser. Andere kommen auf Fahrrädern mit Kinderanhängern vorbei und bringen Bananen vorbei. Wieder eine andere Frau, sehr schick gekleidet, bringt zwei Tüten von Karstadt vorbei. Drin sind Decken, frisch gekauft. Nichts Ausgemustertes, nichts, was man selbst nicht mehr braucht.

"Ohne diese Spenden und den Pool an ehrenamtlichen Helfern wäre diese Situation hier nicht leistbar", sagt Turner. Obwohl sich seit einer Woche viel verbessert habe, seit das Sozialreferat der Stadt München und die Regierung von Oberbayern massive Hilfe leisten. Wie sich das nach Schulbeginn und Semesterstart entwickeln wird, kann auch Turner nicht sagen, da viele Freiwillige eben Schüler und Studenten sind.

Ein Durchschnitt der Bevölkerung

Allerdings seien die Helfer ein "Durchschnitt der Bevölkerung, quer durch alle Alters- und Einkommensschichten", ergänzt Marina Lessing, 26, die auch seit Beginn hier mitarbeitet. Darunter seien "Hausfrauen, Menschen, die gerade Urlaub haben oder Überstunden abbauen, rüstige Rentner und Arbeitslose, die froh sind, eine Beschäftigung zu haben und hervorragende Arbeit leisten". Auch seien darunter überzeugte Christen, meint Lessing, die sonst bestimmt CSU wählen würden, aber diesmal eben nicht mit der ablehnenden Politik der bayerischen Staatspartei einverstanden seien.

Manche wollen Geld spenden, nur hier am Stand ist das nicht möglich, dafür gibt es Spendenkonten. Die Menschen nehmen dann ihr Geld, fahren in den nächstgelegenen Supermarkt und kaufen ein, was gerade benötigt wird. Lessing sagt: "Wir haben die Spender inzwischen erzogen."

Nur ein halbes Dutzend Dixieklos für Tausende Menschen

Vieles läuft in der Zusammenarbeit zwischen Freiwilligen professionellen Helfern inzwischen überraschend reibungslos. Doch Lessing und Turner beklagen die Toilettensituation am Bahnhof. Gerade mal sechs Dixiklos und zwei im medizinischen Bereich stünden da für abertausende, wenn auch weiterreisende Flüchtlinge bereit. "Eine unhaltbare Situation", auch aus hygienischen Verhältnissen, sagen beide. Das sei Aufgabe des Staates, fügen beide hinzu.

Immerhin ist eins sicher: Im Fußballstadion draußen in Fröttmaning gibt es genug Toiletten. Aber das ist eben eine Frage der Relationen.

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