Flucht über den Balkan:Zwischen Mais und Minen nach Europa

Flüchtlinge werden von der kroatischen Polizei zu Bussen geleitet

Flüchtlinge im kroatischen Tovarnik werden von der Polizei in Busse gebracht, die sie zum Registrieren in ein Aufnahmelager bringen.

(Foto: dpa)

Weil Ungarn seine Grenze abgeriegelt hat, suchen die Flüchtlinge andere Wege. Neues Transitland ist Kroatien. Dort drohen Hinterlassenschaften des Krieges.

Von Nadia Pantel, Šid

Zuallererst kommen die Taxis. Sie stellen sich dicht an die Häuserwände in den Schatten und warten. In den frühen Morgenstunden sind im serbischen Šid die ersten Busse mit Flüchtlingen aus Belgrad angekommen. Bis zum Abend sollen insgesamt 800 Menschen hier durchreisen. Auf diejenigen, die noch Geld übrig haben, hoffen die Taxis. Der gesamte Vormittag verstreicht, und die kleine Stadt dämmert bei 33 Grad vor sich hin, bis Abu und seine drei Freunde in eines der wartenden Autos einsteigen. "Croatia?" Der Fahrer nickt. Hier in Šid entsteht an diesem Mittwoch eines der neuen Zentren für die Flüchtenden.

Die bekannten Bilder aus Mazedonien, Serbien, Ungarn, Wien und München entstehen nun auch in Kroatien. Dehydrierte Menschen mit Kleinstgepäck, die auf Züge hoffen und von Land zu Land neu lernen müssen, ob die Polizei sie mit Blendgranaten oder Trinkwasser erwartet. Abgekämpfte, die nicht wissen, wann sie aufatmen und sich in Sicherheit fühlen können, wann sie eine Zwischenheimat erreicht haben.

Verzweiflung, Erschöpfung und Hoffnung

Hier, an der serbisch-kroatischen Grenze ist die Kulisse für Verzweiflung, Erschöpfung und Hoffnung ein Maisfeld. Abu greift im Vorbeigehen in die vertrockneten Kolben, neben ihm ein Tross Reporter. Flüchtlinge und Journalisten sind eine Symbiose eingegangen. "Hello my friend", ist die gängige Ansprache geworden. Die "Friends" ziehen erst mal die Schirmmützen ins Gesicht, lächeln schüchtern, murmeln "Hello". Auf die Frage "Where are you from?", immer wieder die gleiche Antwort: "Syria". Abu fügt hinzu: 24 Jahre alt, kein Nachname bitte, Student, aus Damaskus, seit zwei Wochen unterwegs, gerade aus Belgrad gekommen.

Diese Maisfeld-Szenen sind ein Beleg dafür, dass sich wenig geändert hat in den vergangenen Wochen. Dass es Panikentscheidungen in alle Richtungen gab, aber keine gemeinsame Lösung. Seit Ungarns Premier Viktor Orbán seine Stacheldraht-Barrikade endgültig geschlossen hat, müssen die Flüchtenden nach Alternativen suchen. Einer der neuen Wege für die Zehntausenden, die aus Serbien herauswollen und von Orbán nicht mehr hereingelassen werden, führt nach Kroatien. Dort betreten sie die Europäische Union, ein Land weiter, in Slowenien, den Schengen-Raum. Wie es dort weitergeht, wissen weder die Flüchtlinge noch die Polizisten, Bahnbeamten und Helfer, denen sie begegnen werden. Wie es aussieht, wissen es auch die Politiker in Deutschland, Österreich oder Frankreich nicht.

Flucht über den Balkan: Trauriger Blick auf die andere Seite: Flüchtlinge harren an Ungarns Grenzzaun zu Serbien.

Trauriger Blick auf die andere Seite: Flüchtlinge harren an Ungarns Grenzzaun zu Serbien.

(Foto: Armend Nimani/AFP)

Alles geht in diesen Tagen Stück für Stück, und nicht immer vorwärts. Für Abu folgt auf den Bus ein Taxi, dann der Feldweg. Die letzten vier Kilometer zur kroatischen Grenze will er laufen, am Mais entlang. Ob ihm jemand den Tipp gegeben hat? Was hat er schon alles erlebt und erlitten an den offiziellen Grenzkontrollen? Er habe einfach gehört, es sei so besser, sagt er. Irgendwann kann man am Horizont die ersten Mannschaftswagen der Polizei sehen, alle 400 Meter einer.

Wasser für Flüchtlinge - und fürs Foto

Die kroatischen Beamten stehen in kurzärmeligen, blauen Hemden an der Grenze und winken die Flüchtlinge zu sich heran. Es dauert keine vier Minuten, dann sitzen Abu und seine Freunde in einem der Polizeiwagen. "Warte, warte", ruft ein Polizist seinen Kollegen zu. Er hält kurz inne, bis alle Journalisten-Kameras in Position sind. Dann geht einmal noch die vergitterte Stahltür des Wagens auf, und der Polizist reicht den Flüchtlingen eine Wasserflasche. Schließlich fährt der Wagen ins drei Kilometer entfernte Tovarnik. Dort stehen weitere Busse bereit, unter einem Apfelbaum parkt ein Krankenwagen, und nach einer kurzen Pause soll es weitergehen nach Zagreb.

Für Kroatiens Hauptstadt kommen die Flüchtlinge nicht überraschend. Seit Wochen wird spekuliert, auf welchem Weg der ungarische Zaun in Zukunft umgangen werden kann. Schon im August hatte der kroatische Premier Zoran Milanović verkündet, dass die Flüchtenden willkommen seien: "Sie sind gekommen, weil sie verfolgt wurden und weil sie arm sind und ein besseres Leben wollen. Es ist an uns, ihnen mit all unserer Kraft zu helfen."

Jenseits freundlicher Worte hat sich Kroatien, das seit 2013 Teil der EU ist, bereit erklärt, bis zu 3000 Flüchtlinge dauerhaft aufzunehmen. Das wären knapp dreimal so viele wie die von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagenen 1064. In der ersten Jahreshälfte hatten lediglich 720 Menschen in Kroatien um Asyl gebeten, 40 Anträge wurden angenommen, 21 Menschen wurde staatlicher Schutz angeboten.

Kroatien als neues Transitland

Gleichzeitig bereitet sich das Land auf seine neue Rolle als Transitland vor. 6000 Polizisten hat Zagreb an die Grenze zu Serbien entsandt. Wenn die von Ungarn Abgewiesenen Kroatien erreichen, sollen sie bereitstehen. Der Plan sieht vor, alle Flüchtlinge direkt an der Grenze zu registrieren und in Aufnahmelager zu bringen. Doch schon jetzt ist klar, dass das nicht die größte Aufgabe sein wird.

Zlatko Sokolar, Chef der kroatischen Grenzverwaltung, sagte dem Nachrichtenportal Balkan Insight: "Viele wollen in ein spezifisches Land weiterreisen, aber das könnten inzwischen EU-Länder sein, die ihre Grenzen bereits verschlossen haben. Das Problem für uns ist also nicht die Aufnahme, sondern die Frage, wie wir die Menschen bei uns behalten können." Sollte Dublin III wirklich weiterhin gelten, bindet ein einmal gegebener Fingerabdruck die Flüchtlinge an Kroatien. Doch das Land mit knapp 20 Prozent Arbeitslosigkeit bietet wenig Perspektiven für eine gesicherte Zukunft.

Tatsächlich bietet das kleine Land auch keinen gesicherten Transit. In den Wäldern liegen noch Minen aus dem kroatischen Unabhängigkeitskrieg. Als die Deutschen vor zwei Wochen Flüchtlinge willkommen heißen wollten, gingen sie in den Supermarkt und kauften Kekse und Kuscheltiere. Abi Tayfour hat nichts gegen Kekse, aber für die von ihm gegründete Facebook-Gruppe "Dear Refugees - Welcome to Croatia" hat er als Erstes beim kroatischen Minen-Such-Zentrum angerufen. Dort gibt es die genauen Karten der Gebiete, in denen die Landminen liegen, die die Armeechefs den ehemaligen Jugoslawen in den Neunzigerjahren hinterlassen haben.

Minen in kroatischen Wäldern

50 966 handtellergroße Erinnerungen daran, dass dem Menschen nichts und niemand gefährlicher werden kann als der Mensch. "Seid vorsichtig, wo ihr hintretet", hat Tayfour auf Facebook geschrieben. Dazu hat er eine Karte voller roter Fahnen hochgeladen. Sie zeigen an, wo in Kroatiens Wäldern Minen vermutet werden. Im Hinterland der kroatischen Grenze ist die Karte so rot, dass die Straßen nicht mehr zu sehen sind. Wo bitte, soll hier überhaupt jemand hintreten? Die Gerüchte über die Minen verbreiten sich schnell.

Nur halten sie niemanden ab. Wer vor Bomben flieht, den scheinen Minen nicht mehr so leicht aus der Ruhe zu bringen. Es wird in der Verantwortung der Kroaten liegen, die Flüchtenden direkt nach der Grenze abzufangen und in Bussen sicher durch das Minengebiet zu fahren. Auf serbischer Seite gibt es keine Minen. Gefährlich wird es, wenn die Menschen anfangen, die kroatische Polizei zu umgehen, wenn sie Felder den Straßen vorziehen, wenn sie dem kroatischen System nicht vertrauen. Damit es nicht so weit kommt, posten Menschen wie Abi Tayfour stündlich Warnungen, auf Arabisch und Englisch.

Unterstützung per Mausklick

Der Facebook-Gruppe "Dear Refugees - welcome to Croatia" haben innerhalb weniger Tage mehr als 5000 Menschen per Mausklick ihre Unterstützung angezeigt. Und viele gehen übers Klicken hinaus. Sie wollen Trinkwasser und Essen spenden oder bitten Tayfour, ob er einen Teil ihrer Wohnung nicht an eine syrische Familie vermitteln könnte.

Wenn Tayfour "Liebe Refugees" schreibt, weiß er, an wen er sich wendet: Er ist vor zwei Jahren selber aus Syrien, aus seiner Heimatstadt Damaskus, geflohen und nach Kroatien gekommen. Nicht als Asylbewerber, sondern als Student. Eigentlich hätte er seinen Master als Software-Ingenieur lieber zu Hause gemacht, aber "die Bomben waren mir zu nah gekommen".

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