SAP:Der Unverzagte

SAP Chief Executive McDermott stands with SAP Chairman of the Supervisory Board Plattner before the company's annual general meeting in Mannheim

Der bisher letzte große Auftritt in Deutschland: Bill McDermott (re.) auf der Hauptversammlung im Mai mit Gründer Hasso Plattner.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Der Konzern steht im harten Wettbewerb. Bill McDermott treibt ihn voran, trotz vieler Schicksalsschläge.

Von Caspar Busse und Max Hägler, München/Stuttgart

Als er sechs Jahre ist, sucht seine Lehrerin das Gespräch mit den Eltern. "Er ist ein guter Junge und benimmt sich anständig, aber erwarten Sie nicht zu viel von ihm", sagt die Pädagogin der Nonnenschule in Anwesenheit des kleinen Bill McDermott: "Vielleicht wird er mal Lkw-Fahrer." Die Eltern suchten damals eine neue Schule für ihren Sohn. Der aber war hart getroffen und beschloss trotzig, sich nicht unterkriegen zu lassen. Geboren in Flushing im New Yorker Stadtteil Queens wuchs er in einfachen Verhältnissen auf, sein Vater arbeitete bei der städtischen Elektrizitätsfirma, daheim gab es Ratten, auf der Straße Gewalt.

Und doch: McDermott schaffte eine typische amerikanische Karriere - vom Underdog zum Millionär. Heute ist er Vorstandsvorsitzender von SAP, dem einzigen europäischen Softwarekonzern von Weltgeltung. Wie bewegt sein Leben war, erzählt der 54-Jährigen mit den grauen Haaren, der so schnell und viel redet, in seiner Autobiografie mit dem Titel "Winners dream" (deutsch "Mein Weg zu SAP"), die im vergangenen Herbst erschienen ist. Als er sieben war, starb sein Bruder, als er zwölf war, brannte das Haus der Familie ab und er konnte sich mit Mutter und Geschwistern nur mit knapper Not retten. Später erkrankte seine Frau an Krebs. McDermott lernte aus allem, immer weiter zu kämpfen.

Kämpfen - das will er auch nach dem jüngsten Schicksalsschlag tun. Ein Auge hat McDermott verloren. Am ersten Juli-Wochenende stürzte er im Haus seines Bruders nachts auf der Treppe, fiel in ein Glas, ein fingerlanger Splitter durchstieß sein Auge. Bewusstlos war er einige Zeit, erzählte er am Dienstag der Süddeutschen Zeitung, blutete stark, hatte vergeblich um Hilfe gerufen, doch seine Freunde und Verwandten haben ihn nicht gehört. So hat er sich auf die Straße geschleppt, und Passanten haben einen Rettungswagen gerufen. Er kam in ein örtliches Krankenhaus und wurde dann per Hubschrauber in eine Uniklinik verlegt, viele Stunden lag er im OP-Saal, mehrmals, auch weil das Gesicht insgesamt schwer verletzt war. Der Kampf um das Augenlicht und auch das Auge selbst war jedoch vergeblich, er verlor es vor einigen Tagen nach einer Infektion.

"Ich bin noch am Leben, das ist nach so einem schweren Unfall keine Selbstverständlichkeit."

"Ich bin noch am Leben, und das ist nach so einem schweren Unfall keine Selbstverständlichkeit", sagt McDermott. Es gibt Menschen, die sich nach solch einem Schlag zurückziehen, und es gibt Menschen, die daraus Kraft schöpfen, sogar für die Arbeit. "Amerikanisch" sei das vielleicht, sagt McDermott dazu, auch wenn der demonstrative, aufopfernde Optimismus einigen auch befremdlich erscheint. Wochenlang war McDermott nicht in der SAP-Zentrale in Walldorf bei Heidelberg aufgetaucht. "Immer wieder kamen Mails von seinem Absender", sagt ein Arbeitnehmervertreter. Vage sei von einer Augenverletzung die Rede gewesen. Vor allem motivierte der Chef die 74 000 Beschäftigten weltweit, gewissermaßen vom Krankenbett: "Weiter so!" Ein Mitarbeiter sagt: "So kennen wir Bill, er feuert immer an, gerade jetzt auf dem Weg zur Cloud-Company."

Cloud, das ist gerade das große Wort in der Computertechnik und der Wirtschaft, und bedeutet: All das, was die Menschen am PC erarbeiten, soll im Internet zusammengeführt werden, schnell, bequem, live zugänglich sein, ohne Reibungsverluste. Keine Kladden mehr, kein Umformatieren. Das ist die Vision von McDermott für die SAP-Software der Zukunft.

Dabei ist der SAP-Chef nicht unumstritten. Seit 13 Jahren ist er bei SAP, seit 2008 im Vorstand, im Februar 2010 wurde er zusammen mit Jim Hagemann Snabe zum Co-Chef ernannt, als Nachfolger des glücklosen Léo Apotheker. Der fordernd und sehr amerikanisch auftretende McDermott und der kühle, bedächtig wirkenden Däne Snabe - das sollte das ideale Gespann für SAP sein. Doch das Duo harmonierte nie richtig gut, es gab eine Menge interne Unruhe und Verwirrung, viele Diskussionen. Am Ende setzte sich McDermott durch: Seit Mai 2014 nun führt der selbstbewusste Amerikaner die Firma allein, Snabe ging in den Aufsichtsrat.

Gründer Hasso Plattner zieht die Fäden im Hintergrund. Er ist der erste Techniker

McDermott pendelte seitdem zwischen den USA und der Zentrale in Deutschland. Die Mitarbeiter befürchteten, dass SAP bald ganz in die USA umziehen könnte, sie ihre Jobs verlieren und die wichtigen europäischen Großkunden, darunter bedeutende Industriekonzerne, vernachlässigt werden. Denn McDermott ist so etwas wie der erste Verkäufer in diesem Dax-Unternehmen, das zu den wertvollsten der deutschen Wirtschaft gehört. Ein Verkäufer und kein Software-Experte als Chef bei einem IT-Unternehmen, dessen Software die Hälfte des weltweiten Geldflusses verwaltet und im Hintergrund die Firmen der Welt zusammenhält - wie geht das?

Das funktioniert bei SAP, weil Mitgründer Hasso Plattner, 71, weiter mitmischt. Offiziell ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats, aber in Wirklichkeit ist der ungeduldige Schnelldenker Plattner so etwas wie der erste Techniker. "Bill und Plattner steuern den Laden", heißt es. Der Vertriebler McDermott sieht in fast allem und in jedem Lebensvorgang Geschäftspotenzial - auch in seinem Unfall. Er habe erlebt, welche Papierberge bei seinen Behandlungen entstanden seien - das könne man doch mit SAP-Software effizienter gestalten. So geschäftstüchtig, zäh und unverzagt sind nur wenige.

Und doch räumt Plattner ein, dass er einen Plan B hatte, falls McDermott nach seinem Unfall nicht zurückgekommen wäre. Aber Bill kommt zurück, im Oktober, unter anderem zur nächsten turnusmäßigen Aufsichtsratssitzung. "Ich bin voll da für die SAP", sagt er jetzt schon. Im Unternehmen werden sie aufatmen, denn einige stellen sich schon die Frage, ob das Geschäft gelitten hat. Zwar hieß es in diesem Monat: SAP erreicht alle Jahresziele. Aber McDermott fehlte ja, konnte nicht selbst Verträge einfädeln, was er sonst oft macht. Dieser Mann, der nicht Lkw-Fahrer, sondern Konzernchef wurde.

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