Sprachlabor:Goethes Rat

Lesezeit: 1 min

(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

"Allwissend bin ich nicht, doch viel ist mir bewusst", schreibt Johann Wolfgang von Goethe im "Faust". Und gerade deshalb wird der größte deutsche Schriftsteller auch gerne im Sprachlabor zitiert - in der Hoffnung, dass das, was er sagt, die Leser überzeugt.

Von Hermann Unterstöger

DER VOR EINIGEN WOCHEN hier zitierte Satz "Merkel und Hollande beraten Krise in Paris" löste ein größeres Echo aus. Darin ging es aber nicht um die seinerzeit erörterte Frage nach der Stellung des Akkusativobjekts. Vielmehr wurde ins Feld geführt, dass man eine Krise überhaupt nicht beraten könne, allenfalls über eine Krise, und dann noch besser sich beraten. Mag es gleich nach Rechthaberei aussehen, so darf doch daran erinnert werden, dass beraten in zweifacher Weise verwendet werden kann: intransitiv im Sinn von Rates pflegen, transitiv mit Akkusativobjekt. Unsere Leserin v. K., die Teil des Echos war, sollte mit folgendem Zitat von Goethe besänftigt bzw. überzeugt werden: "Ich gehe heute nach Jena um mit Schillern manches zu besprechen und zu berathen." Ihre Antwort: "Goethe irrt natürlich nicht . . . :-)" Nach Überzeugung hört sich das nicht gerade an.

EINEN SEHR ÄHNLICHEN FALL bringt unser Leser W. vor. Seiner Ansicht nach ist die Formulierung "jemandem ist bewusst/nicht bewusst, dass . . ." insofern falsch, als nur der Denkende ein Bewusstsein habe, nur er also sich einer Sache bewusst sein könne. Dagegen ist prima vista nichts einzuwenden. Der zweite Blick freilich, der in die Literatur, zeigt mit hinlänglicher Deutlichkeit, dass die gerügte Ausdrucksweise früher schon gültig war. Auf die Gefahr hin zu nerven sei noch einmal Goethe angeführt. "Allwissend bin ich nicht, doch viel ist mir bewusst", schreibt er im "Faust", und das sicherlich nicht nur um des Reimes willen. Kleine Ergänzung gefällig? Wohlan: "O Jesu, Jesu, setze / mir selbst die Fackel bei, / damit, was dich ergötze, / mir kund und wissend sei" (Paul Gerhardt).

"ZUGIGE ZEITEN" konstatierte ein Kollege, und da er schon die Nase im Wind hatte, spürte er die Zugluft auch in der Globalisierung. Leser W. war von der "zugigen Globalisierung" so irritiert wie Georg Kreisler einst vom Fernsehen, weswegen er sang: "Dreh das Fernseh'n ab, Mutter, es zieht!"

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: