Literatur:Start in Braun

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Knud von Harbous Buch über die SZ

Von Anna Steinbauer, München

Die Gleichzeitigkeit von Ereignissen ist manchmal erschreckend pervers: Im Haus der Kunst werden Werke jüdischer Künstler mit Hakenkreuzen und Davidstern beschmiert, und währenddessen - nicht weit entfernt - wird im Literaturhaus die publizistische Anfangszeit der Süddeutschen Zeitung aufgedeckt. Antisemitismus und Nationalsozialismus, längst vergangen und vergessen? Offensichtlich nicht. Aufgearbeitet ist dieses Kapitel noch lange nicht. Verdrängen, vergessen, vertuschen: Diese Haltung prägte die unmittelbare Nachkriegszeit und auch die Gründerjahre der SZ. Dass die im Oktober 1945 gegründete Tageszeitung bis in die 1950er-Jahre hinein weniger freiheitlich orientiert, sondern von Judenhass, rechten Ideologien und einer Führungsriege von Altnazis geprägt war, enthüllt Knud von Harbou in seinem Buch "Als Deutschland seine Seele retten wollte".

Der ehemalige Redakteur und stellvertretende Feuilletonchef der SZ nimmt die ersten zehn Jahre der Zeitung in den Fokus seiner akribischen Untersuchung. 30 000 Zeitungsseiten wälzte er, Politikteil und Feuilleton dienten ihm als Hauptquelle für seine Analyse. Das Resultat fällt unangenehmer aus, als Harbou selbst gedacht und gehofft hatte: "Es ist eine klare braune Kontaminierung zu konstatieren", sagt Harbou bei der Buchpräsentation, bei der er mit dem Historiker Norbert Frei die publizistischen Neuanfänge unter US-Besatzung kritisch beleuchtet. Bei näherer Betrachtung stelle sich die frühe SZ als besonders dröge heraus, sagte Harbou. Vor allem die Haltung gegenüber der Gruppe 47 moniert er: "Im Feuilleton war ein Ernst Wiechert bedeutungsvoller als ein Böll oder Borchert." Als noch weniger ruhmreich erweisen sich ein paar Figuren aus der Chefetage: Über den Mitherausgeber Franz Josef Schöningh und seine Verwicklung in die Deportation und Vernichtung von Juden in Tarnopol ist durch Harbous Biografie bereits einiges bekannt. Doch auch Hermann Proebst, SZ-Chefredakteur von 1960 bis 1970, und Hans Schuster, Innenpolitikchef und bis 1976 Mitglied der Chefredaktion, sind wenig rühmliche Gestalten der SZ-Vergangenheit. Proebst war Verbindungsmann der Nazis in Kroatien, wo er rassistische Propagandatexte schrieb, Schuster verfasste 1939 eine antisemitische Dissertation über die "Judenfrage in Rumänien".

Die frühe SZ, so Harbou, sei ein Spiegel der Adenauer-Ära, die geprägt und traumatisiert von rechtem Gedankengut und Krieg war, während die Entnazifizierung vorangetrieben wurde. Erschreckende Gleichzeitigkeit auch hier: Man nahm zwar Abstand von den Gräueltaten der Nazizeit, eine Kollektivschuld anzuerkennen lag allerdings noch in weiter Ferne. Lieber lobte man die Vorzüge des nationalsozialistischen Verwaltungsapparats oder druckte Leserbriefe eines Adolf Bleibtreu ab, der ernsthaft die Frage stellte, warum nicht alle Juden vergast worden seien.

Während Knud von Harbou sich sehr kritisch gegenüber den Inhalten der SZ dieser Zeit äußerte, nahm Norbert Frei die Rolle des beherzten Verteidigers ein und bezeichnete die Zeitung als "Leuchtturm der Lizenzpresse". Er lobte die alliierte Pressepolitik als eindrucksvollen Beleg für Demokratisierungsprozesse, die besonders verdeutliche, wie es in einem gesetzten Rahmen dennoch möglich gewesen sei, dass eine naziverseuchte Gesellschaft ihre eigene Zeitung schreibt. Erst Mitte der 1950er-Jahre kündigte ein neuer Sprachduktus in Texten von Autoren wie Jürgen Habermas und Joachim Kaiser eine andere Zeit an.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels waren zwei falsche Namen enthalten. So heißt der Autor von "Als Deutschland seine Seele retten wollte" nicht Knud von Harbouch, sondern Knud von Harbou. Mitdiskutant des früheren SZ-Redakteurs war der Historiker Norbert Frei (nicht Frey). Moderiert wurde die Veranstaltung von SZ-Redakteur Joachim Käppner.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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