Starnberger Flügelbahnhof:Bahnhofshalle mit Herz

Hauptbahnhof, HBF MÜnchen

Der Eingang zum Starnberger Flügelbahnhof.

(Foto: Florian Peljak)

Was die Flüchtlinge als erstes sehen, wenn sie in München ankommen: Der Starnberger Flügelbahnhof ist zum Symbol der Hilfsbereitschaft geworden. Dabei schienen seine Tage schon längst gezählt.

Von Marco Völklein

Als die ersten Sonderzüge dann endlich eintreffen, stehen die Polizisten schon bereit, ebenso die Leute der Bahn. Viele Münchner sind gekommen, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Sie schauen, winken, klatschen. Und verfolgen aufmerksam, wie die Menge von Polizisten in den Starnberger Flügelbahnhof geleitet wird. Die Leute drücken hinein in die alte Schalterhalle, von hinten schieben weitere nach. Irgendwann greift ein Mann zum Megafon. "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei", ruft er. "Liebe DDR-Mitbürger, Sie bekommen alle Ihr Begrüßungsgeld. Aber bitte nicht alle auf einmal!"

Die Szene spielt im November 1989. Und sie zeigt: Schon damals, kurz nach der Öffnung der Berliner Mauer, stand der Starnberger Flügelbahnhof im Zentrum des Interesses. Ähnlich wie heute schleusten Polizisten und Bahnmitarbeiter Tausende Neuankömmlinge durch das Gebäude. Ähnlich wie heute wurde die kleine Ankunftshalle, die im Schatten des großen Hauptbahnhofs ein eher tristes Dasein fristet, für viele zur Auffangstation nach einer langen Reise. Für manche vielleicht gar zu einem Ort ihrer erfüllten Sehnsüchte. Endlich im Westen. Endlich in Freiheit.

Starnberger Flügelbahnhof: Die Eingangshalle, nun mit einem völlig anderen Zweck: Absperrgitter weisen den Flüchtlingen den Weg.

Die Eingangshalle, nun mit einem völlig anderen Zweck: Absperrgitter weisen den Flüchtlingen den Weg.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Als an den vergangenen beiden Wochenenden jeweils knapp 20 000 Geflüchtete versorgt und untergebracht werden mussten, als Oberbürgermeister Dieter Reiter einen flehenden Hilferuf sandte, da hatten TV-Sender aus aller Welt entlang der Arnulfstraße einen Übertragungswagen neben dem anderen aufgebaut.

Die Bilder von Flüchtlingen, die aus der Halle kommend über die Freitreppe zu den Bussen geleitet wurden, gingen in die ganze Welt. Nicht wenige dürften gedacht haben, dieses leicht angegraute, lachsrosa-farbene Gebäude mit den neoklassizistischen Säulen aus den Fünfzigerjahren - das ist der Münchner Hauptbahnhof. Dabei ist der Starnberger Flügelbahnhof eher ein Appendix, das nördliche Anhängsel, von dem aus die Züge in Richtung Tegernsee und Schliersee abfahren und die ins Werdenfelser Land.

Ein Bahnhofsteil, in dem wenig los ist - eigentlich

Ein Bahnhofsteil, in dem wenig los ist. In dem ein Kinder- und Jugendmuseum Ausstellungen veranstaltet, die Kleine wie Große dazu bringen, in langen Schlangen entlang der Arnulfstraße auf Einlass zu warten (beispielsweise dann, wenn es um Legosteine geht). Ein Bahnhof, der allerdings auch dem Abriss geweiht ist. Und in dem deshalb nur noch das Nötigste gemacht wird, um ihn in Schuss zu halten. Und doch hat dieser Bahnhof eine Menge zu erzählen. Nicht nur über München und seine Verkehrsbeziehungen ins Umland. Vielmehr auch aus der Zeit nach dem Krieg, als sich die Landeshauptstadt wieder aufrappelte, den Staub von der Jacke klopfte - und einen Bahnhof brauchte. Wer mit Sibylle Schnapp vom Kinder- und Jugendmuseum in die alten Katakomben hinabsteigt, der kann eintauchen in diese Historie. Der sieht dort noch Reste einer längst vergangenen Zeit.

Erbaut wurde das jetzige Gebäude von Heinrich Gerbl auf den Ruinen des ersten Flügelbahnhofs. Damals war der neue Bahnhof ein Symbol des Neubeginns nach dem Krieg, auch wenn Kritiker meinten, Gerbls monumentale Säulenhalle sei zu nah dran am Architekturstil der Nazis. Bei der Einweihung im Frühjahr 1950 erinnerten Festredner an den ersten Vorgängerbau, den die Königlich Bayerische Eisenbahn 1897 errichtet hatte, zunächst als unscheinbare Holzhütte. Diese wurde 1922 durch ein massives Gebäude ersetzt. Während der Winterspiele 1936 avancierte die Station gar zum "Olympia-Bahnhof"; Sonderzüge fuhren Richtung Garmisch-Partenkirchen. Nach dem Krieg errichtete Gerbl an der Stelle der von Bomben zerstörten Station das neue Gebäude.

Durch die S-Bahn gerät der Bahnhof in Vergessenheit

Charakteristisch war vor allem die Empfangshalle, aber auch eine Bahnhofsgaststätte mit eigener Küche und Schlachterei. Beim Rundgang mit Sibylle Schnapp sieht man noch Reste aus dieser Zeit: die Fliesen der einstigen Metzgerei, die schweren Türen der Kühlräume. Im großen Speisesaal mit seinen hohen Fenstern, der dem Museum heute als Raum für Ausstellungen dient, steht noch eine in den Treppenaufgang eingelassener Bestecktruhe aus Holz. Und dort, wo heute die Besucher das Museum betreten, war einstmals ein kleiner Andachtsraum. Der Legende nach soll Franz Josef Strauß dort, bevor er auf Reisen ging, öfter mal kurz durchgeschnauft haben. Dann allerdings wuchs der eigentliche Hauptbahnhof als Konkurrenz heran.

Spätestens als mit dem Start der S-Bahn im Jahr 1972 viele Vorortzüge nicht mehr in den Flügelbahnhof einfuhren, sondern als S-Bahnen unter der Arnulfstraße hielten, geriet auch der Flügelbahnhof in Vergessenheit. Ein neuer Zugang direkt zur S-Bahn lenkte die Passagierströme an der Empfangshalle vorbei. Es wurde still. Arbeiter verklebten die Scheiben an den Ticketschaltern. Fahrscheine erwirbt hier schon lange niemand mehr. An einigen Stellen bröckelt der Putz.

Und im Kindermuseum, sagt Schnapp, trauen sie sich oft gar nicht, die Fenster richtig zu putzen, "weil man Angst hat, dass einem die Scheibe entgegenkommt". Schnapp ist seit 20 Jahren dabei, als Praktikantin fing sie an, zur Museumseröffnung im November 1995. Und sie blieb bis heute, genauso wie das Kindermuseum. Obwohl den Machern schon vor 20 Jahren gesagt wurde, dass ihre Tage gezählt seien.

Andere Pläne wurden verworfen

Schon damals hatte die Bahn andere Pläne mit dem Bau. Von einem "Medienzentrum" war mal die Rede, das ein Investor aufziehen wollte. Ein anderer plante, einen siebengeschossigen Hotelturm zu errichten. Das erinnert wiederum an heute. Seit Jahren schon gibt es Pläne der Bahn, den alten Teilbahnhof abzureißen, ebenso wie das gesamte Hauptbahnhofsgebäude. Ein neues Empfangsgebäude soll entstehen, mit vielen zusätzlichen Verkaufsflächen. Und mit einem 75 Meter hohen Büro- oder Hotelturm an der Stelle des Starnberger Flügelbahnhofs. Bis zu eine Milliarde Euro soll der Umbau kosten. Und die Deutsche Bahn hätte die Abrissbagger vermutlich längst losgeschickt, wenn da nicht die Dauermisere mit der zweiten S-Bahn-Stammstrecke wäre. Denn bevor nicht die Zugänge zum Tunnel gebuddelt sind, kann der Konzern auch nicht den neuen Kommerzbahnhof errichten. Das bedingt der geplante Bauablauf.

Dabei ist so mancher in diesen Tagen ganz froh, dass es soweit noch nicht gekommen ist - und dieser alte Bahnhof noch immer steht. Denn so konnten die Krisenhelfer das Gebäude und den weiten Vorplatz nutzen, um die vielen Menschen aufzunehmen und zu versorgen. "Wir sind derzeit heilfroh, dass wir diese Flächen haben", sagt Bahnhofsmanager Heiko Hamann. Anders hätte man all das, was zur Versorgung der Flüchtlinge nötig ist, den Raum für die Busse, die Zelte, die Lagerplätze für Essen und Trinken, gar nicht zur Verfügung stellen können. Ganz ähnlich dürfte es 1989 gewesen sein.

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