Syrien-Konflikt:Kerry und Steinmeier hoffen auf Putin

Lesezeit: 4 min

Reden über Syrien: Die Außenminister Frank-Walter Steinmeier und John Kerry (rechts) in der Villa Borsig in Berlin. (Foto: Miriam May/Getty Images)

Gibt es doch noch eine diplomatische Lösung des Syrien-Konflikts? Ein Angebot aus Moskau klingt für die USA und Europa vielversprechend. Aber welches Ziel verfolgt Russlands Präsident Wladimir Putin wirklich?

Von Stefan Braun, Berlin, und Nicolas Richter, Washington, Berlin/Washington

Mehr als vier Jahre nach dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs gedeiht die Hoffnung, dass neue diplomatische Initiativen den Konflikt doch noch politisch lösen könnten. Nahrung dafür lieferten am Sonntagabend auch US-Außenminister John Kerry und sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier. Nach einem gut dreistündigen Treffen erklärten beide, die Welt habe die politische und moralische Verpflichtung, "dem Töten ein Ende zu setzen". Kerry betonte, die Länder der Welt müssten dringend zusammenarbeiten, "um diesen Krieg zu beenden, der schon viel zu lange dauert".

Steinmeier begrüßte ausdrücklich, dass Kerry zuletzt auch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow über Wege zur Lösung der Krise gesprochen hatte. Kurz zuvor hatte Kerry in London erklärt, er wolle "diesen Moment ausnutzen", da Russland mehr als bisher gegen die Terroristen des Islamischen Staats in Syrien unternehme. Steinmeier ergänzte in Berlin, dringend erforderlich sei es nun, alle wichtigen Staaten, also auch Iran, Saudi-Arabien und die Türkei zu Gesprächen und zu einer gemeinsamen Grundlage für eine große diplomatische Initiative zu gewinnen. Seit Tagen reisen enge Mitarbeiter Steinmeiers durch die Region, um für einen gemeinsamen Anlauf zu werben.

Kerry und Steinmeier hatten vor ihrem Auftritt knapp eine Stunde mit syrischen Flüchtlingen gesprochen. Die Politiker wurden dabei unisono massiv aufgefordert, endlich mit vollem Einsatz etwas gegen das Töten in Syrien zu unternehmen. Unter dem Eindruck der dramatischen Lebensgeschichten der Flüchtlinge versprachen beide Außenminister, sich voll für eine Friedenslösung einzusetzen.

Angebot aus Moskau macht Hoffnung auf diplomatische Lösung

Mit Blick auf den Umgang mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad sagte Kerry, es sei eine Illusion zu glauben, Assad könne Syrien vereinen und in eine Demokratie führen. Im Augenblick aber gehe es zuallererst um eine Übergangsphase, so wie es in Genf einst besprochen worden sei - und wie es Russland offiziell mittrage. Wie diese Phase des Übergangs im Detail aussehen werde, könne derzeit aber niemand präzise sagen. "Ich habe immer gesagt, dass Assad gehen muss, aber es muss nicht an einem speziellen Tag oder Monat geschehen. Dies ist ein Prozess", so Kerry.

Auslöser für die neue diplomatische Bewegung ist ein Angebot Moskaus an die US-Regierung, bei der Bekämpfung der IS-Terroristen in Syrien zusammenzuarbeiten. Russland ist dabei, einen Stützpunkt in der Nähe der syrischen Stadt Latakia auszubauen, um die Terroristen anzugreifen, die Teile Syriens kontrollieren.

Allerdings hat die Aufrüstung auch neues Misstrauen gegen Moskau geschürt. Kerry sagte am Wochenende, Russland habe Boden-Luft-Raketen nach Syrien geschafft sowie Flugzeuge mit der Fähigkeit, andere Flugzeuge anzugreifen. Da der Islamische Staat keine Flugzeuge besitzt, rätselt die US-Regierung, was Russlands Präsident Wladimir Putin eigentlich vorhat. Außerdem befürchtet das Pentagon, dass sich russische und amerikanische Kräfte in Syrien versehentlich gegenseitig angreifen könnten.

Putin genießt im Westen kaum noch Vertrauen. Er hat Syriens Diktator Assad - trotz der Gewaltexzesse syrischer Sicherheitskräfte gegen die Opposition - vor jeglicher Kritik des UN-Sicherheitsrats geschützt. Als Aggressor in der Ukraine hat er sich bei den Regierungen der USA und der EU diskreditiert. Doch angesichts von mehr als 200 000 Toten in Syrien und einer massiven Flüchtlingskrise sind Amerikaner und Europäer bereit, die Absichten Putins in Syrien zumindest zu prüfen.

Bisher sind sie ein Rätsel: Will Putin den IS bekämpfen, gegen den die USA mit einer Koalition von 60 Ländern vorgehen? Oder möchte er Assad stützen und Russlands Einfluss in Nahost ausbauen? Das Weiße Haus sagte jüngst, es wolle Russland jedenfalls ermutigen, sich "konstruktiv" am Kampf gegen den IS zu beteiligen.

Auch die Bundesregierung setzt immer größere Hoffnungen in die diplomatische Bewegung, die nicht nur, aber auch durch die russischen Aktivitäten in Syrien und durch das Iran-Abkommen ausgelöst wurden. Berlin sieht sich dabei vor allem als Vermittler zwischen den bislang noch divergierenden Interessen. Seit Langem unterstützt Berlin mit Vehemenz den UN-Sondervermittler Staffan de Mistura. Jetzt sieht man in Berlin eine Chance, dessen Bemühungen mit dem neuen Engagement in Washington und Moskau zu verknüpfen.

Aufmerksam verfolgt Berlin, wie Putin Kontakt zur Türkei sucht

Wie in Washington herrscht auch in Berlin Misstrauen, was der Kreml mit den Waffenlieferungen und Truppenstationierungen bezweckt. Aber neben der Sorge, dass Moskau damit eigene Interessen verfolgt, um das Regime zu stützen und die einzige russische Marine-Basis im Mittelmeer zu schützen, wächst die Hoffnung, dass es gelingen könnte, mögliche gemeinsame Interessen des Westens und Russlands für eine Initiative zu nutzen.

Aufmerksam verfolgt man in Berlin, wie Putin zuletzt mit den Führungen der Golfstaaten gesprochen hat und offenkundig auch Kontakt zur Türkei sucht. Letzteres ist bemerkenswert, weil Ankara und Moskau bislang im Umgang mit dem Regime in Damaskus weit auseinander gelegen haben. Während Putin das Regime stützt, vertrat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan von Anfang an die Position, dass Assad vor jedem weiteren politischen Schritt gestürzt werden müsse.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Obama Putin verachtet

Offenbar scheinen beide Seiten nun von ihren Maximalpositionen abzurücken. Dafür spricht auch, dass Erdoğan Anfang dieser Woche Putin in Sotschi treffen wird. Zentrales Thema: Syrien.

Eines der Motive Putins ist es auch, sich aus der Isolation zu befreien, in die er wegen seiner Rolle in der Ukraine-Krise geraten ist. Offenbar strebt der russische Staatschef nun sogar ein Treffen mit US-Präsident Barack Obama an; es könnte am Rande der bevorstehenden UN-Generaldebatte in New York stattfinden. Das Weiße Haus hat sich dazu noch nicht geäußert, es ist ein offenes Geheimnis, dass Obama Putin verachtet. Aber es ist nicht zu übersehen, dass Putins Syrien-Initiative beide Seiten wieder ins Gespräch bringt.

Am Freitag telefonierten US-Verteidigungsminister Ashton Carter und sein russischer Kollege Sergej Schoigu, wobei es zunächst nur darum ging, dass sich amerikanische und russische Flugzeuge bei Operationen in Syrien nicht in die Quere kommen. Allerdings könnte daraus längerfristig auch mehr werden. Kerry und Steinmeier betonten in Berlin, es sei gut, wenn die Kontakte angesichts der Lage intensiver würden.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: