Viruserkrankung BVD:Tierärzte verbreiteten gefährliche Rinderseuche

Kuh schaut aus dem Fenster

Die Bovine Virusdiarrhoe: Die massenhafte Erkrankung von Rindern im Jahr 2012 war durch Tierärzte und Viehhändler ausgelöst worden.

(Foto: dpa)

Haben Menschen dazu beigetragen, dass sich die gefährliche Bovine Virusdiarrhoe im Westen Deutschlands ausbreiten konnte? Forscher werfen Tierärzten Versäumnisse vor.

Von Tina Baier

Als Erstes fiel dem Bauern im nordrhein-westfälischen Kreis Kleve auf, dass seine Kühe weniger Milch gaben als sonst. Kurz darauf fing eines der Kälber an, schwer zu atmen. In den folgenden Wochen hatten mehrere Kühe eine Fehlgeburt. Weitere sieben Kälber bekamen hohes Fieber und starben, außerdem fünf Färsen und drei erwachsene Kühe. Doch immer noch war unklar, was die Ursache des Leidens war. Als die Tierärzte schließlich in zwei Kälbern, die tot zur Welt gekommen waren, Erreger der Bovinen Virusdiarrhoe (BVD) fanden, war es zu spät. Das Virus hatte sich bereits verbreitet und Rinder auf anderen Höfen befallen. Es war der Beginn einer der schwersten BVD-Krisen in Deutschland.

Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler- Instituts (FLI) auf der zur Stadt Greifswald gehörenden Insel Riems berichten jetzt in der Fachzeitschrift Heliyon, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit Tierärzte und Viehhändler waren, die das gefährliche Virus in der Zeit um den Jahreswechsel 2012/2013 von Stall zu Stall geschleppt haben. "Das ergibt sich aus der Rekonstruktion der Routen von Menschen, die sich im fraglichen Zeitraum in den betroffenen Ställen aufgehalten haben", sagt Franz Conraths, Leiter des Instituts für Epidemiologie am FLI. Die Wissenschaftler besuchten acht Höfe selbst, von weiteren 13 ließen sie sich die Daten geben.

Das Virus zählt zu einer seltenen und besonders aggressiven Variante

"Wir waren überrascht, wie effektiv die Übertragung von einem Hof auf den anderen war, ohne dass die Tiere miteinander Kontakt hatten", sagt Jörn Gethmann, der die Untersuchung geleitet hat. Die Menschen transportierten das gefährliche Virus, das kranke Tiere unter anderem mit dem Kot ausscheiden, vermutlich an den Schuhsohlen oder mit ihrer Kleidung von Stall zu Stall. In einem Fall recherchierten die Wissenschaftler ein Gülle-Fahrzeug, das sich ein Bauer von einem Nachbarn ausgeliehen hatte, als einzigen Kontakt zweier Bestände, zwischen denen das Virus übertragen worden war.

Das Ergebnis der Studie zeige, wie wichtig es ist, dass Personen die einen Stall betreten, ihre eigene Kleidung gegen betriebseigene wechseln, sagt Conraths. Bei Geflügel- und Schweinebeständen sei das üblich, um die Verbreitung von Krankheitserregern von einem Stall in den anderen zu vermeiden. Nur bei Kühen werde das aus Traditionsgründen oft nicht so gehandhabt, sagt Conraths. Bis die Seuche eingedämmt werden konnte, waren 21 Höfe mit 5325 Rindern in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen betroffen. 500 Tiere starben. "Auch die hohe Todesrate hat uns überrascht", sagt Jörn Gethmann. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein infiziertes Tier starb, lag bei 60 Prozent. Normalerweise verläuft die Bovine Virusdiarrhoe harmloser.

Eine genaue Analyse des Erregers ergab, dass es sich um ein BVD-Virus vom Typ 2c handelte. BVD-Viren werden in zwei Arten eingeteilt: BVDV-1 und BVDV-2. Letztere haben zusätzliche Informationen in ihrem Erbgut, die sie aggressiver und gefährlicher machen. In Deutschland sind die Viren der zweiten Art eher selten. Nur 9,5 Prozent der BVD-Viren gehören zu dieser gefährlicheren Art; wie der Erreger auf den Hof in Kleve gekommen ist, wissen die Wissenschaftler nicht. Alle BVD-Viren gehören zu den sogenannten Pestviren. Ihr Erbgut besteht aus einem einzigen Strang RNA. Es mutiert rasant, was zur Folge hat, dass es viele verschiedene Varianten des Virus gibt.

Weil die Impfung starke Nebenwirkungen haben kann, sind nur wenige Kälber geschützt

In jedem Fall ist die Bovine Virusdiarrhoe eine der häufigsten Infektionskrankheiten bei Rindern. Schätzungen zufolge verursacht sie jedes Jahr wirtschaftliche Schäden von mehreren Millionen Euro. Aus diesem Grund startete im Jahr 2008 ein deutschlandweites Programm, mit dem Ziel, die Krankheit auszurotten.

Die Strategie, die die sogenannte BVD-Verordnung empfiehlt ist, Virus-Träger - also Tiere, die den Erreger in sich tragen und andere anstecken können, ohne selbst Symptome zu zeigen - ausfindig zu machen und zu schlachten. Mehr als 40 000 Rinder wurden deshalb im Zeitraum von Januar 2011 bis September 2013 geschlachtet. Auch eine Impfung ist theoretisch möglich. Die ist bei den meisten Bauern aber unbeliebt, weil einer der Impfstoffe bei Kälbern schwere Nebenwirkungen haben kann.

Auch einige der Höfe in Nordrhein-Westfalen, die von dem schweren Ausbruch 2012/2013 betroffen waren, hatten an dem Programm teilgenommen und wähnten sich BVD-frei. Die Tiere dieser Bauern waren deshalb weder geimpft noch gab es Virusträger-Rinder, deren Immunsystem möglicherweise auch das neue Virus hätte in Schach halten können. Der Erreger hatte leichtes Spiel.

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