EU und die Flüchtlingskrise:Angst vor den Reizwörtern

  • Vertreter der EU-Staaten bemühen sich derzeit das Scheitern des geplanten Sondertreffens der Innenminister an diesem Dienstag zu verhindern, indem sie Reizwörter wie "verpflichtend" oder "freiwillig" meiden.
  • Derzeit wird beraten wie sich Staaten freikaufen können, die keine verbindliche Anzahl an Flüchtlingen aufnehmen wollen.
  • Neben finanziellen Leistungen sieht eine weitere Idee vor, dass Staaten, die sich für überfordert erklären, ein halbes Jahr Zeit gelassen wird, bevor sie bei der Verteilung mitmachen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

In mehreren Gesprächsrunden haben Vertreter der EU-Staaten am Montag in Brüssel versucht, ein Scheitern des Sondertreffens der Innenminister an diesem Dienstag zu verhindern. Nachdem sich die Minister vergangene Woche vertagt hatten, wollen sie nun endgültig über den Plan der EU-Kommission entscheiden, 120 000 Flüchtlinge aus besonders belasteten Staaten in der Union zu verteilen. Die Bundesregierung unterstützt den Plan; vor allem die vier Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei sperren sich aber gegen feste Aufnahmequoten.

Im ungünstigsten Fall müsste eine Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden, die nicht nur den Riss zwischen Ost und West offenbar machen würde. Die politische Krise, die daraus entstehen könnte, wäre auch eine schwere Belastung für den Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch.

Die luxemburgische Ratspräsidentschaft sucht daher nach einem für alle erträglichen Kompromiss. An erster Stelle geht es darum, Reizwörter wie "verpflichtend" oder "freiwillig" zu vermeiden. Das Treffen in der vergangenen Woche war am Wunsch Polens gescheitert, nur "freiwillig" mitzumachen. Entscheidend sei, dass die Zahl 120 000 erreicht werde und dass der Mechanismus funktioniere, hieß es in Diplomatenkreisen. Alles andere stelle eine "künstliche Debatte" dar. Offenbar kann auch die Bundesregierung inzwischen mit einer Lösung leben, bei der den Ländern eine Anzahl Flüchtlinge zugeteilt wird, ohne dass von Quoten oder Prozentzahlen die Rede ist, an die sich die Osteuropäer gebunden fühlen würden.

Umstritten bleibt, ob und wie sich Staaten freikaufen können

Umstritten bleibt, ob und wie sich Staaten freikaufen können. Bisher war eine Summe von bis zu 0,002 Prozent der Wirtschaftsleistung im Gespräch. Ein neuer Vorschlag sieht 6500 Euro pro nicht aufgenommenem Flüchtling vor. Weil das nicht viel wäre, schlagen einige vor, sich von höchstens einem Drittel der zugeteilten Migranten entledigen zu können. Besonders strittig ist, ob dies ohne Weiteres oder nur nach Katastrophen oder Ähnlichem möglich wäre. Gemäß einer weiteren Idee soll Staaten, die sich für überfordert erklären, ein halbes Jahr Zeit gelassen werden, bevor sie bei der Verteilung mitmachen.

Ungarn will auf keinen Fall mitmachen, weshalb auch noch offen ist, was mit den 54 000 Flüchtlingen geschieht, die von dort verteilt werden sollten. Davon könnten Griechenland und Italien profitieren, vielleicht aber auch Länder wie Slowenien oder Kroatien, die von der Krise nun ebenfalls betroffen sind. Auch wenn allen in Brüssel bewusst ist, dass die Umverteilung von 120 000 Flüchtlingen die Krise nicht lösen wird, steht ein permanenter Verteilungsmechanismus, wie ihn die Kommission fordert, derzeit nicht mehr zur Debatte. Es sei auch so schon alles schwierig genug, hieß es.

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