Ausstellung:In die Irre geführt

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In der Starnberger Ausstellungsreihe "Nah - fern" zeigen Annette Bastian, Anton Kammerl und Steffen Kern Bilder, die mit der Realität spielen und ins Niemandsland führen

Von Katja Sebald, Starnberg

Die Welt in Bildern zu bannen, das war lange Zeit das Streben des Menschen. Aber jetzt hat die Welt den Menschen mit ihren Bildern gebannt: Längst sind wir alle Sklaven einer nicht versiegen wollenden Bilderflut und produzieren, gehorsam das Handy zückend, selbst ständig neue Bilder von der uns umgebenden Realität, um sie in diese Flut einzuspeisen. In dieser schönen neuen Welt haben Bilder, die der Realität ein Schnippchen schlagen wollen, einen besonderen Reiz. Solche Bilder versammelt unter dem Titel "Verfremdung" die aktuelle Ausstellung der Reihe "Nah - fern" in der ehemaligen Schalterhalle des historischen Bahnhofs in Starnberg.

Die Bilder der Münchner Künstlerin Annette Bastian suggerieren zunächst Eindeutigkeit. Die einzelnen Bildelemente sind klar umrissen, die Formate überschaubar, meist quadratisch. Die Bildflächen sind in überaus appetitlichen Farben makellos glatt und ohne jede Spur gestischer Malerei. Die Motive erinnern an Piktogramme, die uns Handlungsanweisungen geben oder den Weg weisen, oder an Figuren aus Mangas, die leicht verständliche Geschichten vermitteln wollen. Wenn wir jedoch als bildergeübte Zeitgenossen auf ihre Signale reagieren und ihre Befehle ausführen wollen, wenn wir ihre Geschichten verstehen wollen - dann werden wir scheitern: Wir verstehen nicht, warum jener Mann durch ein Loch in seiner Zeitung greift, wir wissen nicht einmal, ob es sich überhaupt um eine Zeitung handelt. Die Bildwelten von Annette Bastian lassen sich nicht mit der Realität verknüpfen, sie sind aber auch keine Illusion. Sie sind absurd und rätselhaft, in alle Richtungen offen.

"Offener Dialog" hat der Künstler Anton Kammerl ein wenig hinterhältig dieses Doppelporträt von Frau und Mann genannt. (Foto: Georgine Treybal)

Auch die Arbeiten von Steffen Kern führen den Betrachter in die Irre. Man möchte sie eilig als leicht körnige Schwarzweißfotos ins Bildgedächtnis einsortieren: ein Bett mit zwei Kissen, der Lichtkegel einer Lampe, ein Treppenhaus, ein Wohnzimmerfenster mit Vorhang, eine dunkle Wand mit einem Schriftzug. Aber es handelt sich keineswegs um Abbilder von realen Gegebenheiten und erst recht nicht um Fotografien. Kern, der bei Karin Kneffel an der Münchner Kunstakademie studiert, ist ein akribischer Zeichner, der mit einem Kohlestift und hochverdichtetem Gestrichel zwar bewusst die Anmutung eines Fotos imitiert, aber eben keine fotografischen Vorlagen umsetzt, sondern erdachte und bewusst "falsche" Bildideen. Seine "Interieurs" sind eine beklemmende Welt voller Unstimmigkeiten, ein düsteres Niemandsland zwischen Realität und Fiktion.

Anton Kammerl schließlich ist ganz offensichtlich von der klassischen Modefotografie beeinflusst. Seine Frauenporträts und Akte könnte man als durchaus konventionelle Bildinszenierungen bezeichnen, würde er sie nicht als "Filzfotografie" auf der Ebene der Materialität abhandeln: Er druckt alle seine Motive auf einen Filzuntergrund. Die dabei entstehenden "Fehlfarben" und ungewöhnlichen Strukturen, vor allem in den hellen Bildflächen, nutzt er ebenso zur Bildgestaltung wie die Plastizität, die man im Allgemeinen nicht mit Fotografien in Verbindung bringen würde. Und natürlich kann das seit Beuys symbolhaft aufgeladene Material Filz in der Kunst nicht ohne Bedeutungszuschreibung zum Einsatz kommen: Kammerl bezeichnet es als "weich, warm und weiblich" und deshalb als für seine Motive besonders geeignet.

Scheinbar verständlich, tatsächlich absurd: Bild von Annette Bastian. (Foto: Georgine Treybal)

"Verfremdung" ist bis 11. Oktober 2015 jeweils Freitag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr zu sehen.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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