Protestaktionen:Götterdämmerung

Klinikmitarbeiter protestieren gegen Krankenhausreform

In ganz Bayern - hier in Nürnberg - protestierten Klinikmitarbeiter gegen die geplante Krankenhausreform.

(Foto: D. Karmann/dpa)

2500 Klinikmitarbeiter gehen allein in Nürnberg gegen die Berliner Reformpläne auf die Straße. Manche sind sogar extra aus dem Urlaub gekommen

Von Dietrich Mittler und Olaf Przybilla, Nürnberg

Der Zug der Demonstranten beginnt am Nürnberger Opernplatz. Direkt über den Transparenten und Fahnen von Krankenhausmitarbeitern hängt indes ein viel größeres Banner: "Götterdämmerung" steht darauf. Für Harald Raab-Chrobok - er ist Pflegedienstleiter am Nürnberger Krankenhaus Martha-Maria - hat dieses wahrlich unübersehbare Werbebanner des Opernhauses Symbolkraft. Dass in Nürnberg nun laut Polizei gut 2500 Ärzte, Pflege- und Verwaltungskräfte aus allen Kliniken Mittelfrankens auf die Straße gehen, um zu protestieren, bringt er auf die kurze Formel: "Ein Feind vereint!" Dieser gemeinsame Feind, das zeigen die mitgebrachten Transparente, ist die von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) geplante Krankenhausreform.

Der dazu vorliegende Gesetzentwurf soll bereits Anfang kommenden Jahres in Kraft treten. Nicht nur Harald Raab-Chrobok wird da angst und bange. Viele tausend Pflegekräfte und Ärzte aus ganz Bayern taten es ihm am Mittwoch gleich - in Augsburg, Regensburg, Würzburg, Landshut und mehr als 60 weiteren Klinikstandorten im Freistaat. Landesweit wurden bei "aktiven Mittagspausen" direkt vor den Kliniken mit Helium gefüllte Luftballons himmelwärts geschickt, mit der klaren Botschaft auf einem roten Zettelchen: "Krankenhaus-Reform? So nicht!" Zudem mischten sich bei der Zentralkundgebung in Berlin am Brandenburger Tor gut 1600 Bayern unter die Protestierenden.

Vergleichbares habe er in den letzten 35 Berufsjahren noch nie gesehen, sagt Raab-Chrobrok, und er habe schon viele Gesundheitsreformen erlebt. Da habe er immer das Gefühl gehabt, dass es durch die nicht besser wurde. Eher im Gegenteil. Eines ist aber neu: "Jetzt schon kämpfen die Krankenhäuser ums Überleben", sagt der Nürnberger Pflegedienstleiter. Was er als Gefahr empfindet, ist durch Zahlen belegt. Mehr als die Hälfte der knapp 370 Krankenhäuser in Bayern wird 2015 ein Defizit erwirtschaften, wie eine Umfrage der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG) ergeben hat. Unter dem finanziellen Druck hat in den Kliniken längst eine Arbeitsverdichtung stattgefunden, die auch den Patienten nicht entgehen kann: Ärzte haben kaum Zeit für Gespräche, das Pflegepersonal wirkt oft gehetzt. Und, was die Pflegekräfte persönlich betrifft: Unter sich verschärfenden Arbeitsbedingungen droht am Ende die eigene Gesundheit Schaden zu nehmen. BKG-Geschäftsführer Siegfried Hasenbein, der sich in Nürnberg unter die Protestierenden gemischt hatte, befürchtet, dass durch Gröhes Pläne alles nur noch schlimmer werde, falls der Druck der Straße nicht doch noch ein Umdenken bewirke. "Wenn die Politik so weitermacht, wird die Belastung der Mitarbeiter weiter zunehmen, das ist unstrittig", sagt er. Und die sei jetzt schon grenzwertig.

Hasenbein geht seit vielen Monaten gegen die wesentlichen Inhalte der Gröhe-Reform an. Seine Kritik an dem 126 Seiten starken Gesetzesentwurf: Gröhe wolle den Kliniken zwar finanzielle Anreize bieten, wenn diese ihre Versorgungsqualität erhöhen, doch ebenfalls geplante Abschläge - etwa dann, wenn eine Klinik das zuvor vereinbarte Leistungsangebot erhöhe - seien weit größer. Auch weitere von Gröhe anvisierte Verbesserungen, etwa das Pflegeförderprogramm oder mehr Geld im Bereich Notfallversorgung, seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Klar ist: Berlin will für Krankenhäuser nicht mehr Geld als bislang ausgeben. Die Reform soll "kostenneutral" laufen, sprich die Haushalte der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht weiter belasten. Und sie soll medizinisch nicht unbedingt gebotene Eingriffe am Patienten unattraktiv machen, mit denen die Häuser ihren Etat aufbessern könnten.

Aus Sicht der Kassen gibt es ohnehin "zu viele Krankenhäuser", eine These, die etwa die Techniker Krankenkasse (TK) propagiert. Die Betriebskrankenkassen (BKK) zitieren indes eine Studie, die besagt, dass die Behandlungsqualität den Menschen wichtiger sei als die jeweilige Wohnortnähe eines Krankenhauses: Fast 80 Prozent der Befragten würden demnach längere Wege zur Klinik in Kauf nehmen. Sigrid König, die Vorsitzende des BKK-Landesverbandes Bayern warnt wie ihre TK-Kollegen vor dem Problem einer "Überversorgung". Die "bemerkenswerte Zunahme der Operationen", die aus ihrer Sicht nicht geboten und zum Teil gar "zu Lasten der Patienten" gehe, spreche für sich. Eine Strukturreform für Krankenhäuser sei dringend geboten. Diese investierten, so ist sich König sicher, viel mehr in Ärzte als in Pflegekräfte, weil Ärzte "als Umsatzträger" - etwa durch mehr OP-Eingriffe - höhere Gewinne sicherten. Gröhes Reform sei daher richtig.

Solchen Argumenten setzten die Demonstranten in Nürnberg nun lautstarken Protest entgegen. "Wir brauchen eine am Wohl des Patienten orientierte Krankenhaus-Reform, und damit eine Reform, die insbesondere den Beschäftigten in unseren Krankenhäusern wieder die Luft zum Atmen gibt", sagte Heidemarie Lux, die Vizepräsidentin der Bayerischen Landesärztekammer. Dass die Patienten auch am Protesttag gut versorgt werden, war indes allen Demonstranten ein Anliegen. Um das sicherzustellen, so sagt Harald Raab-Chrobok, "sind manche von uns sogar aus dem Urlaub zurückgekommen."

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