Steuern:Mein Briefkasten, dein Briefkasten

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Domizil für viele Firmen: Die günstigen Steuerregeln lockten viele internationale Unternehmen nach Luxemburg - große Büros brauchten sie dort nicht. (Foto: Mario Fourmy/laif)

Schäuble und die Kavallerie: Vier Finanzminister stellen sich dem Sonderausschuss zur Aufklärung der Lux-Leaks-Affäre. Sie wollen eine andere Steuerpolitik - aber das ist nicht einfach.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Wenn es eine Frage gibt, die an diesem Abend dringend gestellt werden muss, dann ist es diese: Warum habt ihr euch nicht gekümmert? Ja, warum haben die Finanzminister der Europäischen Union jahrelang zugeschaut, wie Konzerne das Großherzogtum Luxemburg genutzt haben, um ihre Steuerlast auf teils unter ein Prozent zu drücken?

Es ist Dienstagabend, vier Finanzminister sind nach Brüssel gekommen, um darauf eine Antwort zu geben. Sie sind vor dem Sonderausschuss zur Aufklärung der Lux-Leaks-Affäre erschienen; sie sollen den Abgeordneten des Europaparlaments Rede und Antwort stehen.

Und so sitzen sie in diesem kreisrunden Saal im fünften Stock und versuchen es: Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister, sein französischer Kollege Michel Sapin sowie Pier Carlo Padoan aus Rom und Luis De Guindos aus Madrid. Jeder hat zunächst fünf Minuten Zeit, um sein Glaubensbekenntnis in Sachen Steuerpolitik abzulegen. Es folgen die Abgeordneten, gut ein Dutzend sind es, jeder stellt etwa zwei bis drei Fragen.

Es ist dann Wolfgang Schäuble, der die Frage des Abends aufgreift. "Warum habt ihr euch nicht gekümmert?", fragt der Minister aus Berlin. Er macht eine kurze Pause und sagt: "Mein Vorgänger wollte die Kavallerie nach Luxemburg senden." Man brauche aber keine deutsche Kavallerie, sei die Reaktion des Großherzogtums gewesen, die hätte man schon einmal gehabt. "Die Mitgliedsstaaten sind sensibel", sagt Schäuble. Und das Steuerrecht sei nun mal ein Primärrecht. In Deutschland etwa ist die Steuerverwaltung Sache der Bundesländer. Diese föderale Struktur, so Schäuble, sei eine Lehre "aus unserer schrecklichen Vergangenheit".

Was macht man also mit einem Land wie Luxemburg, das sich zum Komplizen des großen Geldes gemacht hat, zum Helfer von Unternehmen, die ihre Gewinne zwischen Tochterfirmen so trickreich hin und her schoben, dass die Behörden am Ende nicht mehr genau durchschauten, wie das eigentlich funktionierte? Schon wahr, das war alles legal, und nicht nur Luxemburg hat dieses Briefkasten-Spiel mitgemacht. Man findet dieses Problem in vielen EU-Staaten, in den Niederlanden, in Belgien oder in Großbritannien.

Für Schäuble ist deshalb klar: Die sogenannten Tax-Rulings dürften nicht als "Instrument eines schädlichen Steuerwettbewerbs eingesetzt werden". Dabei geht es um schriftliche Erklärungen von Steuerbehörden, die unter anderem festlegen, wie die Unternehmensteuer zu berechnen ist. Steuerwettbewerb brauche, so Schäuble, einen Ordnungsrahmen. Und, ja, die Arbeiten an diesem Rahmen benötigten einen neuen Impuls. Nur sei das alles relativ schwierig und leichter gesagt als erreicht. "Wir müssen Steuerhinterziehung noch effizienter bekämpfen", sagt Schäuble. Man sei in den letzten Jahren weiter vorangekommen, als man es vor fünf Jahren für möglich gehalten habe. Der automatische Informationsaustausch zwischen den EU-Staaten werde 2017 eingeführt.

Eines konnte bislang nicht geklärt werden: die Frage der politischen Verantwortung

Doch wie auch schon bei der letzten Ausschuss-Sitzung sind die Antworten auf die Fragen der Abgeordneten mehr oder weniger konkret. Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zusammen mit seinem Steuerkommissar Pierre Moscovici vergangene Woche auftrat, konnte eines nicht geklärt werden: die Frage der politischen Verantwortung. Und es ist offen, ob es überhaupt so weit kommen wird. Das Mandat des Sonderausschusses endet am 30. November. Dabei fordern die Abgeordneten weitere Dokumente von Kommission und Mitgliedsstaaten. "Wir haben hier im Ausschuss umfassende Erkenntnisse gewonnen, aber viele Informationen fehlen", sagt Michael Theurer (FDP), Sonderberichterstatter des Ausschusses. Er plädiert daher wie die Grünen und die Linke für eine Mandatsverlängerung.

Doch die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) ist dagegen. Die Sozialdemokraten beraten noch. Peter Simon (SPD), Sprecher der S&D-Fraktion im Sonderausschuss, sieht als ein zentrales Instrument im Kampf gegen aggressive Steuerplanung von Unternehmen die Einführung eines Country-by-Country-Reportings, also die Verpflichtung für Unternehmen, öffentlich zu machen, wie viele Steuern sie in welchem Land zahlen.

Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold hält die Befragung der Minister und des Kommissionspräsidenten für "nicht zielführend". Er fordert deshalb wie der Linken-Politiker Fabio de Masi einen Untersuchungsausschuss, um die politische Verantwortung Junckers aufzuklären. Dafür wäre allerdings ein Mehrheitsbeschluss des Europaparlaments nötig - und diese Mehrheit gibt es zurzeit nicht.

Am Ende seines Auftritts in Brüssel will Wolfgang Schäuble noch eines loswerden: "Es gibt Grenzen, sich total zu offenbaren." Deshalb sei das Steuergeheimnis ein Grundprinzip des deutschen Steuerrechts. Jedes Land hat eben so seine Eigenheiten. Die EU-Kommission jedenfalls verfolgt ein Ziel. Pierre Moscovici, der Steuerkommissar der Brüsseler Behörde, sagt: "Die Unternehmen müssen dort ihre Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften." Und die Kommission war es auch, die im Frühjahr vorschlug, dass sich die EU-Staaten gegenseitig über ihre Tax-Rulings austauschen, um damit für mehr Transparenz zu sorgen. Moscovici zufolge wird eine Einigung der Finanzminister am 6. Oktober in Luxemburg angestrebt.

Und das wäre dann auch die Botschaft dieses Abends: Sie wollen sich schon kümmern; aber leicht wird es nicht.

© SZ vom 24.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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