Vorschlag-Hammer:Vergessenskultur

Es war im vergangenen Jahr beim Filmfest in Venedig, dass mein Beruf mich so richtig ins Schwitzen gebracht hat. Ich sollte mit älteren israelischen Schauspielern ein Interview führen. Das Thema des Spielfilms: Euthanasie in einem Jerusalemer Altersheim

Von Susanne Hermanski

Beinahe hatte ich die Sache schon wieder vergessen. Denn es war schon im vergangenen Jahr beim Filmfest in Venedig, dass mein Beruf mich so richtig ins Schwitzen gebracht hat. Nicht etwa, weil das Wetter am Lido gerade großartig war. Das kam nur erschwerend hinzu. Was mich derart in Verlegenheit brachte, war ein Film. Besser gesagt, das unverhoffte Angebot, nicht nur mit den jungen Filmemachern, sondern auch mit den deutlich älteren Schauspielern spontan ein Interview zu führen. Das Thema des Spielfilms: Euthanasie in einem Jerusalemer Altersheim. Eine Tragikomödie über einen genialen alten Tüftler namens Yehezkel, der eine Tötungsmaschine erfindet. Kann man sich als deutsche Journalistin etwas Komplizierteres vorstellen?

Wie blond und blauäugig kann man eigentlich sein, sich nicht auf der Stelle in eine anständige Ohnmacht zu flüchten - das dachte ich mir gerade noch, da saß ich auch schon sechs großen Mimen der israelischen Film- und Theatergeschichte gegenüber. Sie im Schatten unter dem Vordach der Villa degli Autori, ich ihnen gegenüber, im Rücken eine Sonne, die fast genauso fies auf meinen Schultern brannte wie die Last der deutschen Geschichte. Das Geschwafel von der Gnade der späten Geburt, habe ich immer schon als peinliche Ausrede empfunden. Also los. Journalisten fangen solche Gespräche ja gern mal an mit einem Lob für die Arbeit ihres Gegenübers: "Sehr lustig, fand ich . . ." oder "wahnsinnig rührend sind ja diese Sterbeszenen . . ." Das schloss sich in diesem Fall freilich alles strikt aus.

Der Schweiß bildete schon einen Bach zwischen meinen Schulterblättern. Ich wollte gerade die Flucht nach vorn ergreifen und setzte mit umständlichen Worten an zu sagen, dass sich in Deutschland für Filmemacher ein derart amüsanter Umgang mit dem Thema Euthanasie freilich verbiete. Levana Finkelstein, die in dem Film Yehezkels Frau spielt, die schwer an Alzheimer erkrankt, rief als erste: "Bringt ihr ein Glas Wasser". Sie und ihre Kollegen wollten mich aus meiner Pein erlösen: "Ach wissen Sie, Sterbehilfe ist ja dann doch etwas anderes, als Juden in der Gaskammer umzubringen", rief einer, und die anderen lachten freundlich bis schallend.

Was soll ich sagen? Ich liebe den jüdischen Witz. Ich rückte zu den Sechsen in den Schatten, und wir redeten zwei Stunden lang weiter. Der Film trägt den Titel "Am Ende ein Fest". Am Ende ist er schwächer als am Anfang. Aber sehenswert ist er allemal. Er läuft an diesem Donnerstag in München gleich in drei Kinos an.

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