Gipfel im Kanzleramt:Wie Deutschland die Flüchtlingskrise bewältigen will

  • Beim Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt beschließen die Teilnehmer von Bund und Ländern, die Asylverfahren massiv zu beschleunigen.
  • Weitere Balkanstaaten sollen als sichere Herkunftsländer ausgewiesen werden.
  • Abgewiesene Asylbewerber sollen schneller und konsequenter abgeschoben, Flüchtlinge mit guten Aussichten schneller integriert werden.

Von Stefan Braun

Geld ist bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise wichtig, sehr wichtig. Es steht für Bund, Länder und Kommunen seit Wochen an erster Stelle. Und so ist es wenig verwunderlich, dass darüber vor und auf dem Gipfeltreffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten am Donnerstag bis zuletzt am meisten gerungen worden ist. Wenn nicht verwunderlich, so doch bemerkenswert ist dagegen der Umstand, dass alle drei Seiten sich einigermaßen rasch auf die Grundzüge verständigen konnten.

Drei Trends standen früh fest: Erstens sollen alle Asylverfahren massiv beschleunigt werden. Zweitens wird die Lage für Menschen, die dem syrischen Bürgerkrieg entfliehen, spürbar besser. Und drittens wird sich vor allem für Flüchtlinge vom westlichen Balkan einiges verschlechtern. Seit Monaten beklagen die Länder, dass die Zeit von der Registrierung der Asylbewerber bis zur abschließenden Entscheidung über ihre Anträge viel zu lange dauere.

Nach den zum Teil chaotischen Verhältnissen der letzten Wochen, in denen viele Tausend Flüchtlinge ohne Registrierung über die Grenzen kamen und schnell auf die Länder verteilt wurden, hat sich der Bund nun verpflichtet, Wartezentren für die Flüchtlinge einzurichten, um sie dort zu registrieren und danach auf Basis des Königsteiner Schlüssels auf die Länder zu verteilen. Dieser Schlüssel war schon in der Vergangenheit Grundlage für die Verteilung innerhalb Deutschlands. Zuletzt war er aber durch den Andrang der Flüchtlinge faktisch außer Kraft gesetzt.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge soll Mitarbeiterzahl verdoppeln

Außerdem will der Bund das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge neu aufstellen. Der neue Leiter der Behörde, Frank-Jürgen Weise, kündigte im Kanzleramt an, er werde die Mitarbeiterzahl von 3300 auf 6300 verdoppeln. In der Schlussvereinbarung verpflichtet sich der Bund, die Asylverfahren trotz steigender Flüchtlingszahlen auf durchschnittlich drei Monate zu verkürzen, die Altfälle abzuarbeiten und den Zeitraum zwischen der Registrierung und der Antragstellung ebenfalls erheblich zu verkürzen. Als Ziel wird angestrebt, dass zwischen der Erstaufnahme des Flüchtlings und einer abschließenden Entscheidung des Bamf über seinen Asylantrag 2016 durchschnittlich nur noch fünf Monate liegen werden.

Parallel dazu hat die Mehrheit der Länder den Vorschlag des Bundes mitgetragen, Albanien, Montenegro und Kosovo zu sogenannten sicheren Herkunftsländern zu erklären. Damit ist eine Verkürzung der Verfahren verbunden. Offenkundig wollten auch rot-grün geführte Länder, die das vor allem im Falle Kosovos eigentlich ablehnen, den Gipfel an dieser Stelle nicht scheitern lassen. Wie es am Rande aber hieß, habe unter anderem Thüringen dazu eine abweichende Protokollerklärung abgegeben. Die Begründung der Kritiker: Solange der Bundestag den Bundeswehreinsatz zur Stabilisierung von Kosovo verlängere, könne man nicht von einem "sicheren Herkunftsland" sprechen.

Migrants rest on beds at an improvised temporary shelter in a sports hall in Hanau

Flüchtlinge in einer Turnhalle - das will Hamburgs Senat vermeiden, wegen der Schulen. Leer stehende Immobilien sollen jetzt schnell her.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Flüchtlinge sollen länger in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben

Ebenfalls beschlossen wurde, die Asylbewerber künftig bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen zu lassen. Dazu sollen die Asylbewerber künftig verpflichtet werden können. Für Flüchtlinge soll das sogar auf die gesamte Dauer bis zum abschließenden Entscheid ausgedehnt werden. Zuletzt sind sie allein schon aus Kapazitätsgründen sehr schnell auf die Kommunen verteilt worden. Das hatte Vor- und Nachteile: Ihre Integration gelingt in den Kommunen oft schneller. Die Bearbeitung ihrer Anträge (von der Antragstellung über die Anhörungen bis zum Entscheid) dauert dagegen meist länger, wenn sie über ein ganzes Bundesland verteilt sind. Aus diesem Grund wollte der Bund sie künftig länger an einem Ort haben.

Hinter diesem Plan steht auch das Interesse, jene künftig schneller zurückschicken zu können, die "vollziehbar ausreisepflichtig" sind. Gemeint sind damit alle, deren Anträge abgelehnt wurden. Bleiben sie in der Erstaufnahmeeinrichtung, können sie, wenn sie nicht freiwillig gehen, auch leichter abgeschoben werden.

Flüchtlingsorganisationen sprechen schon von einem Gefängnis und fürchten, dass sich Konflikte zwischen Flüchtlingen mehren, wenn sie so lange auf engem Raum zusammen leben. Außerdem halten sie den Begriff "vollziehbar ausreisepflichtig" für problematisch, weil darunter auch Flüchtlinge fallen könnten, die aus anderen EU-Staaten kamen und nach den Dublin-Regeln der EU wieder dorthin geschickt werden müssten. Allerdings räumen selbst grüne Bundespolitiker und Vertreter rot-grün regierter Länder ein, dass abgelehnte Asylbewerber entschlossener zurückgeschickt und im Zweifel auch abgeschoben werden müssten.

Taschengeld soll durch Sachleistungen ersetzt werden

Der Bund und die Länder verpflichteten sich am Abend zu einer "konsequenten Durchsetzung". Bis zuletzt umstritten war, ob auch härtere finanzielle Einschränkungen beschlossen werden sollen. Am Ende verständigten sich Bund und Länder darauf, das bisherige monatliche Taschengeld weitgehend durch Sachmittel zu ersetzen, allerdings mit der Einschränkung, man werde das nur machen, "sofern dies mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich" sei.

Hintergrund ist, dass konservative Politiker, aber auch die Regierungschefs der Westbalkanstaaten betonen, dieses Taschengeld von derzeit etwa 150 Euro pro Monat entspreche in manchen der Länder dem Monatsgehalt eines Arztes. Es sei deshalb zu einem großen Anreiz geworden, selbst bei geringen Aussichten auf Asyl einen Antrag zu stellen, um für einige Monate das Geld zu erhalten. Die Einschränkung trägt nun Bedenken der Kritiker Rechnung. Sie warnen davor, dass ein Ende des Taschengelds den Verwaltungsaufwand dramatisch erhöhen würde.

Allerdings gibt es auch für die Menschen aus den Westbalkanstaaten nicht nur neue Hürden. Vereinbart wurde, für sie die Möglichkeiten zu erweitern, legal als Arbeitskraft nach Deutschland zu kommen. Für Menschen, die wie syrische Flüchtlinge sehr wahrscheinlich in Deutschland bleiben können, soll sich zudem vieles verbessern. Sie werden schon als Asylbewerber Integrations- und Sprachkurse besuchen können, werden früh die Möglichkeit zum Arbeiten erhalten und Eingliederungshilfen der Bundesagentur für Arbeit nutzen können. Außerdem wollen Bund und Länder Tausende unbetreuter Jugendliche besser versorgen. Sie benötigen sehr oft psychologische Betreuung und intensive Zuwendung. Bislang werden sie an wenigen Orten zentral betreut. Jugend- und Sozialarbeiter wollen das schon lange ändern.

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