Unglück in Mekka:"Als ob zwei Autos aufeinanderprallen, nur ohne Knautschzone"

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Mehr als 700 Menschen sind bei einer Massenpanik auf dem Pilgerweg von Mina nach Mekka ums Leben gekommen. Hunderte wurden verletzt. Es ist nicht das erste Mal, dass es bei der Wallfahrt zu einem Unglück kommt - fast jedes Jahr sterben dort Pilger. Gehört das also zu der Reise nach Mekka dazu? Lässt sich der Andrang zum Hadsch nicht besser organisieren? Amin Rochdi, 32, ist Muslim, Realschullehrer und Wissenschaftler - er bildet an der Universität Erlangen Islamlehrer aus. 2007 ist er selbst mit seinem Vater zum Hadsch in Mekka gereist.

Von Anna Fischhaber

SZ: Herr Rochdi, 2006 starben in Mina bei Mekka 364 Menschen bei einer Massenpanik, ein Jahr später sind Sie dorthin gereist. Hatten Sie keine Angst?

Amin Rochdi: So eine Reise ist natürlich nicht ungefährlich. Die TU in Dresden hat dazu mal eine Studie gemacht: Die Kraft, die auf einen Pilger in Mekka wirkt, ist vergleichbar mit der eines Kleinwagens mit 30 km/h. Wenn sich die Masse in Bewegung setzt, hat ein Einzelner keine Chance. Ich konnte dort nicht selbständig gehen, ich wurde geschoben. Mein Vater und ich haben deshalb versucht, Menschenmassen zu meiden, wo es geht.

Zum Hadsch reisen jedes Jahr Millionen Menschen nach Mekka - wie kann man da Menschen meiden?

Ich habe vor meiner Reise einen Hadschkurs in einer Moschee gemacht: Dort wurde die Pilgeranlage erklärt und auch gezeigt, wo ruhigere Plätze sind, wo man sich zurückziehen kann. Es gibt die Möglichkeit in Mekka, ohne Gedränge die Rituale durchzuführen, es dauert nur länger. Ich habe damals darauf verzichtet, die heilige Kaaba, zu der Muslime weltweit beten, anzufassen und sie stattdessen von weiter oben umrundet. Die Strecke ist mehr als einen Kilometer lang, dafür kann man gemütlich gehen und dieses wichtige Ritual in Mekka genießen.

Mekka
:Gefährlicher Hadsch

Millionen Gläubige pilgern jedes Jahr an die heiligste Stätte des Islam. Immer wieder kommt es in und um Mekka zu Katastrophen.

Sind Sie trotzdem in Situationen gekommen, in denen es eng wurde?

Ich wusste oft nicht mehr, wo oben und unten und rechts und links ist. Neben der Enge ist vor allem die Hitze ein Problem, in Mekka hat es manchmal bis zu 60 Grad und die Versorgung mit Wasser ist nicht immer gut. Viele Pilger sind schon älter und brechen ohne Trinken zusammen. Und wenn jemand umfällt und andere über ihn hinwegtrampeln, entsteht schnell Panik. Vor mir hat sich damals ein Mann auf den Boden geworfen und angefangen zu beten.

Wie haben Sie reagiert?

Ich konnte nicht stehen bleiben, also habe ich ihn einfach hochgerissen und weitergetragen. Bei der Massenpanik am Donnerstag sind zwei Gruppen an einer engen Straßenkreuzung aufeinandergeprallt. Sie konnten auch nicht einfach stehen bleiben, die Masse schiebt einen weiter - das ist, als ob zwei Autos aufeinanderprallen, nur ohne Knautschzone.

Ist 2007 nach Mekka gepilgert: Islamlehrer Amin Rochdi. (Foto: ; oH)

Was können die Behörden tun, um die Situation zu verbessern?

Viel wurde schon umgebaut, immer nebenbei. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist Mekka eine Baustelle. Eine Idee wäre, die Stätte einfach mal ein Jahr zu schließen und fertig zu machen. Aber das ist schwierig durchzusetzen: viele warten ein Leben lang darauf, einmal dorthin reisen zu können. Und die Baumaßnahmen sind natürlich umstritten, weil historische Orte verändert werden. Zudem können die Behörden viele Regeln aufstellen - wenn sich die Menschen nicht daran halten, hilft das wenig.

Wie meinen Sie das?

Die ganze Welt ist in Mekka zu Besuch und natürlich tickt jeder ein bisschen anders. In Mina bei Mekka, wo jetzt das Unglück passiert ist, gibt es Zeltstädte mit mehr als 100 000 Zelten und jedes Jahr ist eines abgebrannt und das Feuer griff auf die anderen Zelten über. Inzwischen gibt es feuerfeste Zelte und das Kochen mit Gas ist verboten, aber die Leute machen es trotzdem. Bei der Katastrophe jetzt hatten sich wohl einige Pilger nicht an den strengen Zeitplan der Behörden für das symbolische Ritual der Teufelssteinigung (mehr dazu hier) gehalten, der sichern soll, dass es nicht zum Gedränge kommt. Das passiert immer wieder.

Warum?

Es gibt inzwischen ein von allen Gelehrten anerkanntes Rechtsgutachten, dass Muslime die Steinigung 24 Stunden machen dürfen, damit die Massen durch Mina geschleust werden können. Aber viele wollen alles perfekt machen und gehen auf Teufel komm raus zu der Zeit hin, die vom Propheten Muhammad bevorzugt wurde. So war es wohl auch am Donnerstag.

Fast jedes Jahr sterben zahlreiche Pilger bei Unglücken in Mekka, dennoch hält sich die Aufregung in Grenzen. Wieso?

Vor dem Hadsch ist es die Sitte, Freunde und Familie einzuladen und alles ins Reine zu bringen, oft lässt man auch Geld für die Familie da, falls man nicht zurückkommt. Bis vor 50 Jahren war das eine Lebensreise, viele sind auf der Reise nach Mekka, dort oder auf der Heimreise gestorben. Auf der Pilgerreise zu Gott zu sterben, ist ein edles Ziel. Viele wünschen sich, in Mekka begraben zu werden - inzwischen reichen die Friedhöfe dort nicht mehr aus.

Und das ist immer noch so?

Diesmal hat das saudi-arabische Königshaus als Hüter der heiligsten Stätte Aufklärung gefordert. Das zeigt, dass sich etwas geändert hat. Das Königshaus will zeigen, dass es ein solches Großereignis ohne Pannen organisieren kann. Denn natürlich ist Mekka als Touristenziel auch eine enorme Einnahmequelle.

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