Krise bei Volkswagen:Was Matthias Müller jetzt tun muss

Volkswagen AG Says 11 Million Cars Affected Globally As Pollution Scandal Widens

Volkswagen-Chef Matthias Müller

(Foto: Bloomberg)

Aufklären. Aufräumen. Und dann? Der neue VW-Chef steht vor fünf gewaltigen Aufgaben.

Von Hans von der Hagen

Mit Unternehmen geht es oft dann bergab, wenn der Chef sagt: Wir wollen die Größten sein. Der nun als VW-Chef zurückgetretene Martin Winterkorn hatte da allerdings keine Befürchtungen. Unbeirrt machte er klar: Bis 2018 solle VW "Marktführer" sein, wie es in der Sprache der Ökonomen heißt. Erreicht hat er das Ziel sogar schon im ersten Halbjahr 2015 - VW verkaufte in der ersten Jahreshälfte mehr Fahrzeuge als Konkurrent Toyota.

Aber das muss Toyota nicht mehr beschäftigen, denn nun geht es mit VW bergab. Winterkorn hat den größten Autokonzern der Welt krachend vor die Wand gesetzt. Aufräumen braucht er allerdings nicht mehr, das übernimmt nun der neue VW-Chef Matthias Müller.

Und der steht nun vor fünf gewaltigen Aufgaben.

1. Vertrauen zurückgewinnen

Weltweit fragen sich VW-Fahrer derzeit: "Was bedeutet die Abgasaffäre für mich und mein Auto?" Vor allem: "Ist mein Diesel nun weniger wert?" Hinzu kommt: Potenzielle Käufer dürften sich nun zurückhalten. Entsprechend drohen die Absätze bei Volkswagen im Dieselsegment einzubrechen.

Damit dem Image-Desaster nicht noch ein finanzielles folgt, muss Müller also zunächst das Vertrauen der Kunden zurückgewinnen. Die Aufgabe ist anspruchsvoll, weil sie nicht durch schöne Managerworte zu bewerkstelligen ist. Vielmehr muss VW die Technik in elf Millionen Fahrzeugen nachbessern. Sollte dies nicht gelingen, bräuchten die Käufer alternativ eine Entschädigung. Und die muss dann auch so üppig ausfallen, dass die Kunden VW nicht dauerhaft den Rücken kehren.

Dass das alles ganz schön teuer werden kann, wissen die Wolfsburger. Sie haben schon jetzt 6,5 Milliarden Euro zurückgestellt - für "notwendige Servicemaßnahmen" und "weitere Anstrengungen, um das Vertrauen unserer Kunden zurück zu gewinnen". Der Betrag unterliegt freilich, wie es VW formuliert, "Einschätzungsrisiken".

2./3. "Unregelmäßigkeiten" aufklären, das Unternehmen aufräumen

Schon jetzt sind 40 Sammelklagen allein in den USA und Kanada gegen VW eingereicht worden. Weltweit ermitteln Staatsanwälte, prüfen Behörden und untersuchen Anwälte. Alle wollen wissen, ob VW Gesetze gebrochen hat und entsprechende Strafen und Schadenersatzansprüche durchsetzen. Die US-Bundesumweltschutzbehörde Environmental Protection Agency (EPA) nennt auch gleich schon eine mögliche Strafsumme: bis zu 18 Milliarden Dollar.

VW spricht bislang von "Unregelmäßigkeiten". Was sich hinter diesem Wort verbirgt, muss Müller aufklären lassen.

Ex-Chef Martin Winterkorn versicherte, dass dies externe Prüfer erledigen würden. So hatte es auch Siemens beim Skandal um geheime Kassen gemacht. Allein externe Prüfer besitzen in einem solchen Fall die erforderliche Glaubwürdigkeit.

Die müssen nun bei VW klären, wie es zu den Software-Tricksereien kam und wer alles davon wusste. Volkswagen will die Öffentlichkeit "fortlaufend und transparent" unterrichten - auch das wird Müller erledigen müssen.

Zugleich muss er glaubhaft machen, dass er selbst nichts von alledem wusste. Das wird nicht leicht - immerhin war Müller vor seiner Zeit als Porsche-Chef bei Audi und später bei VW für die Produktstrategie zuständig.

3. Das Unternehmen aufräumen

VW ist ein gewaltiger Konzern geworden. Was das für Folgen hat, zeigte sich nun bei Martin Winterkorn: Entweder verlor er als Chef den Überblick und bekam deshalb von den "Unregelmäßigkeiten" nichts mit. Oder er wusste davon, befand aber, dass VW sich nicht an Regeln halten müsse.

Wie auch immer es wirklich war - an beiden Punkten muss Müller nun ansetzen. Sofern mangelnde Transparenz die Softwaretricks möglich gemacht haben, wird VW den Konzern soweit umgestalten müssen, dass der Vorstand wieder weiß, was im Unternehmen passiert.

Genauso wichtig aber ist es, die Kultur im Konzern zu überprüfen. Die New York Times schrieb kürzlich auf, wie die Autokonzerne schon seit Jahrzehnten versuchen, bei den Abgastests zu tricksen.

Nimmt man in Wolfsburg solche Manipulationen überhaupt noch als Unrecht wahr? Gibt es Widerspruch gegen zweifelhaften Methoden? Oder hat der allmächtige Winterkorn gar keinen Widerspruch mehr zugelassen?

Autotester erzählen gerne, wie trickreich Unternehmen Fahrzeuge für die Tests aufhübschen. Mit Hochleistungsölen etwa, oder mit zusätzlichen Dämmmatten für leisere Innenräume. Die Kunden wundern sich dann hinterher, warum die Tests so wenig mit der Wirklichkeit in den Serienwagen zu tun haben.

Wie ist es bei VW? Müller wird das herausfinden und die Unternehmenskultur anpassen müssen. So wie Siemens vor einigen Jahren lernen musste, dass sich schwarze Kassen nicht gehören, so wird VW lernen müssen, dass die Kunden fair behandelt werden wollen.

4./5. Die Investoren beruhigen, den Diesel retten

VW ist eine Aktiengesellschaft. Die Papieren zählen zu den 30 Werten im Index Dax - mithin zu den an sich solidesten Unternehmen, die die deutsche Wirtschaft zu bieten hat. Wie dehnbar freilich der Begriff "solide" ist, haben in den vergangenen Tagen die Aktionäre gemerkt: Nach Bekanntwerden des Skandals waren die VW-Papiere plötzlich ein Drittel weniger wert.

Da stellt sich auch die Frage, ob die Aktionäre nicht womöglich viel zu spät informiert wurden. Immerhin streitet VW schon länger mit der EPA über die Abgase der Diesel-Modelle.

Die Aktionäre haben auch keine Vorstellung von dem, was an möglichen weiteren Verlusten auf sie zukommt. Manche fragen sich besorgt: Ist die Krise für Volkswagen am Ende gar existenzbedrohend? 6,5 Milliarden Euro hat VW schon zurückgestellt. Reicht das? Es kommen ja noch die bis zu 18 Milliarden Dollar an Strafzahlungen in den USA hinzu, sowie womöglich weitere Strafen in anderen Ländern. VW hat bereits eingeräumt, dass auch Fahrzeuge in Europa betroffen sind. Müller wird allen Anlegern glaubhaft machen müssen, dass Volkswagen die Belastungen stemmen kann und künftig ein verlässlich handelnder Konzern ist.

5. Diesel retten

Die Öffentlichkeit hat nun gelernt: Versprochene Abgaswerte lassen sich bei VW zumindest bei einigen Modellen offenbar nur durch einen Software-Trick im Fahrzeug erreichen. Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Kann VW wirklich Diesel?

Oder stößt die Technologie an Grenzen und ist eine derzeit kaum verbesserbare Dreckschleuder? Gerade die deutschen Autohersteller setzen auf den Diesel.

Eilig warnt darum nun die Auto-Lobby davor, Dieselfahrzeuge grundsätzlich in Frage zu stellen. "Es handelt sich bei diesem Vorgang in den USA, den wir sehr bedauern, nicht um ein prinzipielles Diesel-Problem", sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann bei der Abschlusspressekonferenz der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA. Moderne Dieseltechnologien seien aber für das Erreichen der europäischen Klimaschutzziele unverzichtbar.

Dass sich auch mit VW-Dieseln Klimaschutzziele erreichen lassen - das wird Müller nun ebenfalls beweisen müssen.

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