Icking:Icking ist gespalten

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In wenigen Tagen ziehen die ersten Asylbewerber in die Turnhalle des Gymnasiums ein. Manche Eltern haben deshalb Angst um ihre Kinder. Andere Ickinger wollen Flüchtlinge unbedingt zu Hause aufnehmen.

Von Pia Ratzesberger, Icking

Die Fragen aus dem Publikum donnern nach vorne. "Wie viele Flüchtlinge kommen denn, wie viele Männer? Ich hab' schließlich Mädchen zu Hause", ruft eine Frau von ihrer Sitzbank, das Kind umschlungen auf dem Schoß. "Was können wir denn tun, wir sind doch gekommen um zu helfen", ruft ein Herr aus den hinteren Reihen des Saals. Gerade lief alles noch so gut für Thomas Bigl, den Sozialamtsleiter des Tölzer Landratsamtes, er hat wie üblich zum Asylsystem in Deutschland, zu Aufnahmequoten und Sprachkursen referiert - ein routinierter Vortrag, bei dem jede Pointe sitzt. Mehr als 300 Bürger, die an diesem Donnerstagabend zur Asyl-Infoveranstaltung in die evangelische Kirche in Icking gekommen sind, drängen sich vor ihm auf den Sitzbänken und stehen sogar an den Wänden. Doch viele von ihnen wollen sich mit Bigls Ausführungen nicht zufrieden geben.

In die Turnhalle des örtlichen Gymnasiums, nur wenige Schritte von der Kirche entfernt, sollen am kommenden Donnerstag 35 bis 40 Asylbewerber einziehen, insgesamt sollen in den darauffolgenden Wochen bis zu 85 dort unterkommen. In Icking, wo bisher nur sieben Asylbewerber leben, wo es kaum Mietwohnungen gibt, sondern fast nur Eigentum, wo viele Gartenhecken hoch sind und die Eingangstore groß, bringt das unterschiedliche Reaktionen mit sich. Die beiden Fragen aus dem Publikum zeigen ziemlich gut, welche: Da sind die Eltern, deren Kinder hier ins Gymnasium gehen, in die nahe gelegene Grundschule oder den Kindergarten. Die sich um die Sicherheit ihres Nachwuchses sorgen, wenn direkt nebenan plötzlich 80 Fremde leben, womöglich vor allem junge Männer. Und da sind die Engagierten, die sich im Helferkreis organisieren, es kaum erwarten können, die Ankommenden mit Kaffee und Gebäck zu begrüßen. Natürlich sind diese beiden Seiten, Angst und Euphorie, zwei Extreme. Es gibt vermutlich genauso viele Ickinger, die sich selbst irgendwo dazwischen sehen. Doch die äußern sich an diesem Abend nicht.

"Ich hätte auch Angst, wenn das 80 deutsche Männer wären", sagt die Frau mit dem Kind auf dem Schoß. Aber es könne doch nicht sein, dass die Turnhalle nun der Platz sei, an dem Neuankömmlinge integriert werden, "direkt neben unseren Kindern". Sie spricht als Einzige aus, was viele nur abseits der großen Runde in kleineren Gruppen sagen. Ein Herr entgegnet darauf: "Ich habe auch zwei Töchter, aber ich stelle nicht gleich jeden Flüchtling unter Generalverdacht, ein Vergewaltiger zu sein."

Schulleiterin Astrid Barbeau versucht zu beschwichtigen. Auch wenn das Gymnasium zum Glück als offen wahrgenommen werde, gebe es ein "klares Sicherheitskonzept". Das Landratsamt habe ihr eine zusätzliche halbe Hausmeisterstelle versprochen sowie eine stärkere Beleuchtung des Außengeländes. Bigl und auch Bürgermeisterin Margit Menrad werden nicht müde zu betonen, dass die Turnhalle nur eine Notlösung sei. Menrad bezeichnet diese sogar als "Armutszeugnis". Es brauche alternativen Wohnraum. Eine Frau aus dem Publikum bietet ihr Gästezimmer an. Das aber helfe wenig, sagt Bigl. Man suche komplette Wohnungen mit Küche und Bad.

Die Turnhalle am Ickinger Rainer-Maria-Rilke-Gymnasium ist schon für die Asylbwerber eingerichtet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Gegen Ende der Veranstaltung kommt die Idee auf, eine Teestube als Treffpunkt zum Kennenlernen einzurichten - Euphorie ist zu spüren, Gemeinderätin Claudia Roederstein lobt die "positive Wendung des Abends". Zu diesem Zeitpunkt aber sind einige Bänke schon auffallend leer.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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