Theater:Standbein, Spielbein, Treppeneinsatz

Prinz Friedrich von Homburg©Andreas Pohlmannv.l. Johannes Zirner (Graf Hohenzollern), Shenja Lacher (Prinz Friedrich Arthur von Homburg), Ulrike Willenbacher (Die Kurfürstin), Simon Werdelis (Graf Reuß), Franz Pätzold (Rittmeister von der

"In Staub mit allen Feinden Brandenburgs": Homburg (Shenja Lacher, 2.v.l.) hat mit seinen Leuten die Schweden geschlagen. Auf eigene Faust.

(Foto: Andreas Pohlmann)

Das Münchner Residenztheater beginnt die Saison mit Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" und einem Stück über die Netzwelt von Jennifer Haley - beides ist aber allzu brav.

Christine Dössel

Wer in der Sommerpause am Münchner Residenztheater vorbeikam, konnte an der Fassade in riesigen weißen Lettern auf rotem Plakatgrund lesen: "Wer keinen Feind mehr hat, trifft ihn im Spiegel" - ein Vorgeschmack auf die neue Spielzeit, die unter dem Motto "Der Feind im Innern" steht. "In vielen Stücken richtet sich der Verdacht nach innen, sitzt der (vermeintliche) Feind im eigenen Lager", heißt es in der Ankündigung des Chefdramaturgen Sebastian Huber, der mit dem Regisseur David Bösch auch gleich die erste Produktion zur introspektiven Feinderspähung verantwortet: Kleists "Prinz Friedrich von Homburg". Das dunkle, zwischen Obrigkeit, Ordnung und Ohnmachtsanfällen irrlichternde Preußenkriegsdrama, dargeboten in einer 105-minütigen Kompaktversion, die Huber klug eingestrichen hat, das muss man ihm lassen, die dann aber so robust und entschlossen daherkommt, dass für Irritationen und Aporien kein Platz ist.

Kriegsverherrlichung hat man dem Drama vorgeworfen. Das verlangt eine Haltung

Der "Homburg" ist Kleists letztes Drama, er hat das "vaterländische Schauspiel" kurz vor seinem Selbstmord 1811 vollendet. Am preußischen Hof war man einigermaßen entsetzt über den schlafwandelnden Titelhelden mit seinen entrückten Zuständen und seiner gar nicht heldenhaften Todesfurcht.

Angefacht durch den Traum, mit dem das Stück so rätselhaft somnambul beginnt, einen Lorbeer-Traum von Kriegsruhm und Liebesglück, prescht Homburg, General der "Märkischen Reuterei", in der Schlacht von Fehrbellin eigenmächtig gegen die Schweden vor. Er siegt, wird aber trotzdem vor das Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt, hat er doch draufgängerisch und gegen den Befehl des Kurfürsten gehandelt.

Letzterer ist zwar bereit, Homburg zu begnadigen, aber nur unter einer Bedingung: "Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten." Damit ist der Prinz zum eigenen Urteil über seine Tat verdonnert. Seine Schuld erkennend, will er "das heilige Gesetz des Kriegs", das er verletzt hat, "durch einen freien Tod verherrlichen" - ein Hammersatz, der mit zum Generalverdacht der Kriegsverherrlichung, unter dem das Drama für viele steht, und auch zu seinem Missbrauch etwa durch die Nazis beigetragen hat und schon deshalb von jedem Regisseur eine Haltung verlangt. Eine solche aber verweigert David Bösch in seiner strammen, von keinem größeren Gedanken oder tieferen Zweifel angekränkelten Resi-Inszenierung, die vor allem eines bedient: das gute, alte Stadttheater, in dem es dem Zuschauer schon genügen soll, wenn der Klassiker nicht entstellt und der Text schön und klar gesprochen wird (das wird er hier), und es bitte nicht zu lange dauert. Traurig, was für ein braver Routinier aus dem einst so stürmisch drängenden, die alten Dramen mit dem heißen Herzen eines jungen Menschenfreundes lesenden Regisseur Bösch geworden ist. Beim "Homburg" greift er auf ein erstaunlich überkommenes Theatergestenrepertoire zurück, das er zwischendurch aufdonnert mit ein paar Tricks aus dem Handkoffer des modernen Jungregisseurstheaters, etwa: kurzes Aufdrehen von Techno-Rhythmen, sachte Beigabe von heutigen Requisiten und Accessoires, wabernder Nebel.

Vor allem aber fallen auf: der Standbein-Spielbein-Treppeneinsatz und das steife Herumgestehe der - leider sehr lauen, dafür umso dienstbeflisseneren - Offiziersschar (mit hinter dem Rücken gefalteten Händen). Ihre schwerbestiefelten Auf- und Abtritte halten den statischen Abend immerhin in Bewegung. Vor der Schweden-Schlacht machen sich die braven Herren eilfertig wie Schüler Notizen, nach der Schlacht erscheinen sie ganz erschröcklich blutverschmiert im Rauchschwaden-Zwielicht. Graf Reuß (Simon Werdelis), Rittmeister Golz (Franz Pätzold), die Ober-Brüllhälse Kottwitz (Gerhard Peilstein) und Feldmarschall Dörfling (Arnulf Schumacher): gestandene Kriegsherren, die hier ohne Profil bleiben. Nur Johannes Zirner als Homburgs wackliger Freund Hohenzollern sticht als Charakter heraus.

Die düstere Einheitsszenerie von Falko Herold, eine grauschwarze, verliesartige Stufenbühne, tut das ihrige, um Statik und Kargheit zu erzwingen - viel Spiel ist da nicht möglich, der Wechsel zwischen Tag- und Nacht-, Außen- und Innenszenen fällt weg. Mit wenigen Requisiten werden Raumwechsel angedeutet: eine Matratze für Homburgs Zelle, ein Schreibtisch für den Kurfürsten, der bei Oliver Nägele erfreulicherweise ein echter Mensch ist. Wärme ist da zu spüren, auch die Müdigkeit des Staatslenkers im Kriegszustand. Aus Böschs mangelnder Personenregie weiß der alte Fuchs Nägele noch das Beste zu machen. Die Frauen indes, Ulrike Willenbachers steife Kurfürstin und die sich ins Burschikose flüchtende Friederike Ott als Natalie, sind allein gelassen auf weiter Flur.

Den Homburg spielt Shenja Lacher. Er kann das, das glühende Außer-sich-Sein genauso wie die seelenvolle Innenschau. Da ihm aber niemand gesagt hat, was und wen genau er hier spielen soll, spielt sich Lacher durch die verschiedensten Homburg-Facetten, ist mal kindlich täppischer Poet im Schiller-Hemd, mal eitler In-die-Kriegsbrust-sich-Werfer, mal Träumer, mal Traumatisierter. Man folgt ihm auf und ab, nur nicht hinein in sein tief verwirrtes Inneres. Wenn er eingangs die Stufen herabkommt, ist er unendlich erschöpft. Weinend kauert er sich mit dem Lorbeer auf den Boden, ein vom Krieg Zerstörter. Mit dem gleichen Bild endet die Aufführung. Homburg, der glaubt, nun hingerichtet zu werden, wird zwar - mit verbundenen Augen - zunächst tatsächlich erschossen. Aber das ist nur eine Angstvision. Sogleich wird die Szene wiederholt, nun textgetreu. Silberflitter knallt aus Kanonen: "In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!" Nur Homburg macht nicht mit. Weinend liegt er da, in Embryohaltung. Weinen möchte man ob dieser wohlfeilen Schüler-Digest-Version auch als Kritikerin. Das Publikum aber scheint glücklich, es gab einen Riesenapplaus. Das "Bekenntnis zum klassischen Staatstheater", mit dem Intendant Martin Kušej in seine fünfte Spielzeit gestartet ist, es wird fast demonstrativ geteilt - vielleicht auch als eine Art Kampfansage an das Hybrid-Theater, das Matthias Lilienthal, der neue Intendant an den Kammerspielen, veranstalten wird, wenn er nächste Woche beginnt. Bis dahin wird der Feind noch im "Inneren" ausgemacht, so auch in dem Stück "Die Netzwelt" der US-amerikanischen Autorin Jennifer Haley, das im Cuvilliéstheater als deutsche Erstaufführung herauskam. Darin verspricht eine technisch optimierte Version des heutigen Internets unbegrenzte Möglichkeiten. In der Domain "Refugium", die der pädophile Sims betreibt - Norman Hacker gibt ihn wie einen nonchalanten James-Bond-Bösewicht -, können User unter fremder Identität ihre perversesten Wünsche ausleben, von Kindesmissbrauch bis hin zu Kindsmord. Die Kinder im Angebot, dargestellt von Studierenden des Mozarteums, bieten sich allerliebst beim analogen Schlittschuhtanz dar oder in unheimlichen Videos auf der gekrümmten Großleinwand. Sims' Liebling Iris (eine Entdeckung: Valentina Schüler) bezaubert die Kunden mit Kulleraugen, Charme und Chuzpe und der Verlockung, "zu entdecken, wer man sein könnte". Man kann sie mit der Axt erschlagen - die virtuelle Tat bleibt ohne Konsequenzen. Genau darum geht es der Ermittlerin Morris, von Juliane Köhler gespielt als verbissene, penetrant rechthaberische Netz-Politesse. Wo Sims auf die Freiheit der Fantasie pocht, will Morris ihn als Schuldigen überführen: "Bilder erschaffen Realität." Morris, eine schwache Figur mit Problemkindheit, verstrickt sich bald selber im Triebgestrüpp der Halbwelt, wobei sie sich eines männlichen Avatars bedient. Der heißt Woodnut und ist bei Marcel Heuperman ein schmieriger Samtfrack-Onkel. Amélie Niermeyer inszeniert den düsteren Plot zaghaft als Mischung aus reellem Polizeiverhör an vier Tischen und waberndem Gruselschocker in virtueller Alice-im-Albtraumland-Atmosphäre, mit seltsam altbacken anmutenden Videobildern (Jan Speckenbach). Ein Abend mit viel technischem Aufwand, der einige interessante Fragen aufwirft, rechtlich wie moralisch. Ästhetisch aber auch hier: wenig Wagnis.

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