Dritte Staffel "Weissensee":Wenn das Fernsehen Volkshochschule sein will

Weissensee ARD

Die Wende ist da: Auch Martin Kupfer (Florian Lukas) und seinen Neffen Roman (Ferdinand Lehmann) zieht es am 9. November 1989 nach West-Berlin.

(Foto: ARD/Julia Terjung)

"Weissensee" zeigt seit Jahren, was im TV hierzulande möglich wäre - und warum es so oft schiefgeht.

Von Katharina Riehl

Man könnte fast ein bisschen Mitleid haben mit Volker Herres, und Mitleid ist im Normalfall nicht die allererste Emotion, die einem im Zusammenhang mit dem Programmdirektor des Ersten Deutschen Fernsehens so einfallen würde. Herres hat, er beschreibt das mit stolzen Worten im Presseheft, eine für seine Verhältnisse beinahe ausgeflippte Entscheidung getroffen: Die dritte Staffel der DDR-Serie Weissensee läuft an drei aufeinanderfolgenden Abenden in Doppelfolgen - eine "Eventprogrammierung", um der "vielfach preisgekrönten Serie besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden" zu lassen.

Weissensee als binge watching, alle Folgen ganz schnell hintereinander weg - also genau so, wie es der Fan international gefeierter Serien angeblich so liebt. Zur besten Sendezeit, nicht zwischen Mitternacht und Morgengrauen. In der Welt des gebührenfinanzierten Gewohnheitsfernsehens ist das wohl eine große Zuneigungsbekundung, zumal für eine Serie, deren zweite Staffel einst so lange ungesendet herumlag, dass die Produzentin schon Monate vor der Fernsehausstrahlung die DVD-Box verkaufen musste, um ihre Kosten zu decken.

Und jetzt? Ist es auch wieder nicht recht.

Friedemann Fromm, Regisseur der Serie und seit der zweiten Staffel Teil des Autorenteams, hat im Spiegel anlässlich des Serienstarts ein riesiges Interview gegeben und dort wissen lassen, dass er diese Programmierung kritisch sehe. Es sei "ein Risiko, ein Format von seinem angestammten Sendeplatz, in unserem Fall dem Dienstagabend, runterzunehmen und es so massiv zu programmieren", findet er. Das sitzt, schließlich ist Risikovermeidung sonst ja bekanntlich eine der Kernkompetenzen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Am Beispiel der Serie Weissensee ließ sich das Drama des deutschen Fernsehens immer gut beschreiben, was zuallererst einmal daran liegt, dass es 2010 - lange bevor alle deutschen Sender und Produzenten anfingen, vom deutschen Breaking Bad zu faseln - eine kleine Revolution bedeutete. Die Geschichte von Julia und Martin, dem Liebespaar in der DDR zwischen seiner Stasi-Familie und ihrer Oppositions-Mutter, war anders, als deutsche Serien sonst sind - ernsthafter und emotionaler.

Und sie zeigte umso deutlicher, woran es im Alltagsfernsehen so fehlt. Annette Hess hatte komplexe Figuren erfunden, denen man mit einer Mischung aus Faszination, Mitleid und Abscheu begegnete, etwa Martins Bruder Falk, großartig gespielt von Jörg Hartmann.

In der zweiten Staffel wurde nicht nur Falk dann etwas weniger komplex, das Grauen der DDR wurde in sehr viel knalligeren Farben geschildert als zuvor, und es war kein Zufall, dass Annette Hess plötzlich nur mehr als Ideengeberin im Vorspann auftauchte und Friedemann Fromm als Autor. Es hatte Überwerfungen gegeben, etwa zur Eindeutigkeit der Figurenzeichnung. Und so wurde die Geschichte der Ausnahmeserie Weissensee auch eine Geschichte vom Umgang des deutschen Fernsehens mit seinen Kreativen.

Alles Historische muss ins Drehbuch

Jetzt, in Staffel drei, haben sich Hess und Fromm die Drehbücher geteilt, sie schrieb die ersten drei, er die zweiten. Die sechs Folgen sind in Teilen wieder feiner gezeichnet als die Episoden der zweiten Staffel. Sie spielen in den Jahren 1989/90, vom Tag der Maueröffnung bis zum Sturm der Stasi-Zentrale am 15. Januar. Martin (Florian Lukas) lernt, drei Jahre nach dem Tod seiner Julia, die West-Journalistin Katja (Lisa Wagner) kennen, und wie sich diese Liebe so langsam ihren Weg bahnt, das ist sehr hübsch erzählt. Martins Familie, der Bruder Falk und sein Vater Hans (Uwe Kockisch) erleben jene Wendemonate im Stasi-Hauptquartier, wo man versucht zu retten, was zu retten ist.

Doch gerade die exakte zeitliche Verortung bringt wieder viel Schablonenhaftes mit sich - alles, was in diesen historischen Wochen eine Rolle spielte, muss irgendwie ins Drehbuch gerammelt werden. Die Runden Tische, die Versuche der Stasi, die Bürgerrechtsgruppen zu schwächen, die ersten Begegnungen mit dem westlichen Kapitalismus, die Angst der Spitzel vor ihrer Entdeckung. Die Figuren werden zu Trägern historischer Botschaften. Und auch wenn das inzwischen vielleicht ein alter Hut ist: Die so bewunderten amerikanischen, britischen, dänischen Serien sind genau deshalb so wunderbar, weil sie sich auf ihre Geschichten verlassen. Weil kein großes Erzählfernsehen entsteht, wenn man nebenbei Volkshochschule sein will.

Friedemann Fromm jedenfalls, der binge-watching-kritische Regisseur, hat im Spiegel erklärt, dass er auf eine vierte Staffel "seiner Serie" hoffe. Und Annette Hess hat in der taz angekündigt, bei einer vierten Staffel nicht mehr dabei zu sein.

Weissensee, ARD, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, jeweils um 20.15 Uhr.

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