Tunesien nach den Anschlägen:Erst die Katastrophe, dann das Desaster

Tunisia tourism crisis in Hammamet Tunisia tourism crisis in Hammamet 12 07 2015 Tunisia H

Leere Strände, Stornierungen: Die Sommersaison war für Tunesien ein Desaster. Nun hofft das Land, dass die Gäste zurückkommen.

(Foto: imago/Haytham Pictures)

Nach den Attentaten in Tunis und Sousse blieben die Gäste aus. Nun schließt Riu drei Hotels - vorerst zumindest. Denn nicht alle Urlauber lassen sich abschrecken.

Von Hannes Vollmuth

Wenn ein Terroranschlag ein Land in die Schlagzeilen bringt, sind es normalerweise die Urlauber, die sich nervös und ängstlich verhalten: Ist es dort noch sicher?, fragen sie sich. Sollen wir umbuchen? Ist es wirklich zu verantworten, in diesem Land zu sein? Es sind diese Zweifel, die ein ganzes Land erzittern lassen.

38 Urlauber starben vor drei Monaten an einem Strand von Sousse in Tunesien, ermordet von einem Islamisten. Es war der zweite Anschlag in Folge: Bereits im März waren bei einem Terroranschlag auf das Bardo-Nationalmuseum in Tunis 22 Menschen ums Leben gekommen. Und jetzt sind es nicht unbedingt nur die Touristen, die an Tunesien zweifeln, es ist eine große Hotelkette, die signalisiert: Dieses Urlaubsland hat keine Zukunft.

Anders kann man die Erklärung des spanischen Unternehmens Riu wohl nicht deuten, das gerade bekannt gab, es werde drei von neun Hotelanlagen in Tunesien schließen. Vorerst, über die Wintersaison. Ob die Hotels je wieder öffnen, ist ungewiss. Es war eine Riu-Hotelanlage, vor welcher der Attentäter die Urlauber erschossen hatte.

"Praktisch niemand mehr dort"

Das Unternehmen, das zu 49 Prozent der Tui gehört, betreibt in Tunesien derzeit neun Hotels, die bis zu dem Anschlag vor allem von Engländern und Belgiern gebucht wurden. In den drei Anlagen, die den Winter über dicht gemacht werden, sei die Auslastung so schwach gewesen, dass "praktisch niemand mehr dort war", sagt eine Riu-Mitarbeiterin. "Unsere Auslastung in Tunesien ist von einem hohen zweistelligen Bereich rapide gesunken und erreicht gerade mal zehn bis elf Prozent."

Was für den Riu-Konzern gilt, lässt sich auf das gesamte Land übertragen. Kurz nach dem Anschlag von Sousse befürchtete der Verband der tunesischen Reiseveranstalter (FTAV) einen Rückgang der Buchungen um mindestens 50 Prozent. Die tunesische Tourismusministerin Rekik spricht von einem Schaden in Höhe von 450 Millionen Euro. Gäste aus England, dem Land mit der größten Opferzahl, kommen im Moment praktisch gar nicht. Laut dem tunesischen Tourismusbüro reisten bisher 1,2 Million Touristen weniger nach Tunesien als im selben Zeitraum 2014.

Freie Platzwahl an den Hotel-Pools

Das bleibt nicht folgenlos. Seit den Anschlägen melden tunesische Medien fast wöchentlich Hotel-Schließungen. Insgesamt haben bislang fast 40 Betriebe die Arbeit eingestellt - in Sousse, in Hammamet, auf der Insel Djerba. Auch Kreuzfahrtschiffe meiden derzeit Tunesien. Die Reederei MSC Kreuzfahrten fährt Tunis momentan gar nicht an, die Gäste bekommen stattdessen Malta und Palma de Mallorca zu sehen. Auch Fluggesellschaften haben ihre Kapazitäten reduziert. Wer sich trotz allem in den letzten Wochen für einen Tunesien-Urlaub entschied, der profitierte von der Leere: An den Pools gab es freie Platzwahl und Tennisplätze bekam man auch ohne Reservierung problemlos.

Deutsche Urlauber sind pragmatisch

Erstaunlich ist, dass zumindest der deutsche Markt sich schon wieder zu erholen scheint. "Wir sehen positive Signale", sagt René Herzog vom Reiseveranstalter DER Touristik. "Tunesien ist auf dem Rückweg zur Normalität." Deutschland ist für Tunesien der zweitwichtigste Markt, nach Frankreich; 425 000 deutsche Urlauber reisten 2014 nach Tunesien. In diesem Jahr kamen laut dem tunesischen Tourismusbüros bisher 100 000 weniger.

Die Wintermonate seien vergleichsweise schwach gebucht, sagt Herzog. "Für den kommenden Sommer aber gibt es bereits jetzt genauso viele Buchungen wie für den Sommer 2015." DER Touristik, bundesweit der Marktführer im Tunesien-Geschäft, hat nach dem Anschlag von Sousse 10 000 Urlauber umgebucht und kostenlose Stornierungen angeboten. Bereits eine Woche nach dem Anschlag aber hätten die Buchungen wieder angezogen, sagt Herzog. Im Moment sehe es für die kommende Tunesien-Saison gut aus. Für Herzog, der die Buchungsverläufe seiner Kunden seit Jahren beobachtet, hat das Tradition: "In fast jeder Krisensituation verhält sich der Markt positiver als erwartet."

Bei der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) versucht Projektleiter Ulf Sonntag das Phänomen so zu erklären: "Die deutschen Urlauber sind pragmatisch." Immer wieder beobachtet Sonntag dieses Muster: Kurz nach einem Anschlag ist der Schock noch groß, doch nach einiger Zeit beginnt sich die Normalität wieder einzustellen, wenn es keine weiteren negativen Nachrichten gibt. Auch das Auswärtige Amt rät bei Tunesien-Reisen momentan nur zu besonderer Vorsicht.

"Urlauber sind meistens gut informiert und wägen ab", sagt Sonntag. Nach dem Motto: Terroranschläge können überall passieren, auch in der Türkei oder daheim auf dem Oktoberfest. "Die Menschen registrieren auch, wenn ein Land wieder zur Normalität zurückfindet."

Strand-Patrouillen mit Sturmgewehr

Oder wenn es das zumindest versucht, wie im Moment Tunesien. Nach Angaben der Regierung wurden viele zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen - einige seien nicht zu sehen, das meiste aber ist auch für die Urlauber wahrnehmbar. Eine Sondereinheit von 1000 Polizisten sei im Einsatz: An den Stränden patrouillieren Beamte mit Sturmgewehren und kugelsicheren Westen, an den Eingängen der Hotelanlagen sind Sicherheitskräfte postiert. Und auf den Landstraßen wird auch wieder stärker kontrolliert.

Dass so eine Aufrüstung bei den Gästen auch ambivalente Gefühle auslösen kann, wissen die Verantwortlichen: "Wir wollen Touristeneinrichtungen nicht zu Kasernen machen", sagte der tunesischen Innenminister Gharsalli kurz nach den Anschlägen in einem Radiointerview. "Aber wir müssen handeln, um die Sicherheit des Touristensektors zu garantieren."

Sicherheit und Vertrauen sind schon deshalb wichtig, weil sich Tunesien gerade erst einen sanften Ökotourismus verordnet hat, weg vom reinen All inclusive-Aufenthalt. Touristen, die Angst haben, aber verschanzen sich in ihren Hotels. 400 000 Tunesier leben vom Tourismus, sieben Prozent des Bruttosozialprodukts werden hier erwirtschaftet. Das Land will zurück zu den sechs Millionen Touristen des Jahres 2014. Dafür bezuschusst die Regierung sogar Flüge und hat die Ausreisegebühr von 13 Euro abgeschafft.

Die Zukunft Tunesiens hängt also von Sicherheit, Vertrauen und Ruhe ab - wieder einmal. Helfen könnte aber auch der Pragmatismus und das Kurzzeitgedächtnis der Urlauber. "Wenn es ruhig bleibt", sagt Herzog von DER Touristik, "dann hat sich Tunesien bis 2017 erholt."

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