Vorschlag-Hammer:Bücher begehren

Man darf auch Büchern gerne seine Zuneigung zeigen, wie man bei Michael Köhlmeier nachlesen kann. Zum Beispiel, indem man sie streichelt, wie Köhlmeier schreibt

Von Antje Weber

Mein Neffe, das muss hier endlich mal erwähnt werden, liebt Bücher ungemein. Mit seinen 17 Jahren kann er bereits eine Bibliothek sein eigen nennen, die eine ganze lange Wand füllt. Praktischerweise muss er sie nicht einmal abstauben, und mit dem Lesen muss er sich auch nicht quälen: Es handelt sich um eine sehr geschmackvolle, pastellfarbene Tapete mit Bücherwand-Motiv. Die mache, sagt mein Neffe, sein Zimmer so gemütlich und cool.

Gibt es einen besseren Beweis dafür, dass Bücher total hip sind? Menschen wie mein Neffe schmücken sich mit solch nostalgischem Dekor, weil sie eines ahnen: Bücher besitzen eine Aura. Was sie allerdings nicht sehen oder sehen wollen: Zu dieser Aura gehört auch, ein Buch in die Hand nehmen zu können, daran zu riechen, darin zu blättern, es zu streicheln; vom Lesen wollen wir hier ausnahmsweise nur am Rande reden. Und was war das gerade: streicheln? Ach ja, man darf auch Büchern gerne seine Zuneigung zeigen, wie man bei Michael Köhlmeier nachlesen kann (oder sich am 8. Oktober bei seiner Lehmkuhl-Lesung erzählen lassen kann). Der österreichische Schriftsteller ist ein Bibliomane, worüber er in dem Band "Umblättern und andere Obsessionen" in der Edition 5plus nun Auskunft gibt - übrigens auch dies ein so schön gestaltetes Büchlein, dass man es sehr gerne anfasst. Köhlmeier schreibt darin über die Liebe seiner Mutter zu Büchern den bemerkenswerten Satz: "Sie streichelte sie, streichelte sie mit einer gedankenfernen Bedachtsamkeit, wie sie mich nie gestreichelt hätte." Und das ist nicht alles, was Köhlmeier über Bücher als Objekte der Begierde zu erzählen weiß: Der Meister des Fabulierens outet sich hier als einer, der als Kind in Bibliotheken klaute. Der Trick, den er anwandte, um sich dabei selbst ein bisschen zu betrügen: Er nahm die Bände, die er besitzen wollte, von ihrem üblichen Platz und ordnete sie irgendwo ein, wo sie nicht hingehörten. Wenn sie nach einem Monat immer noch am falschen Platze standen, wusste er, dass sich niemand um sie kümmerte - und schon stand er bereit, heldenhaft, um die verwaisten Werke zu adoptieren. Köhlmeiers Fazit: "Hat funktioniert."

Hat so ähnlich auch bei Erich Kästner funktioniert. Auch er war in der Kunst bewandert, Bücher verschwinden zu lassen; im Literaturhaus wird das derzeit in einer Ausstellung anschaulich gezeigt. Während des Zweiten Weltkriegs wusste der Schriftsteller nicht, wo er sein sogenanntes "Blaues Buch" verstecken sollte, in dem er ein geheimes Kriegstagebuch führte. Kästners Lösung: "Bis Ende November 1943 stand das blaue Buch, aufs sichtbarste verborgen, zwischen viertausend anderen Büchern im Regal." Das Tagebuch, später noch an anderen Orten versteckt, überstand den Krieg unbeschädigt und unentdeckt. Damit eines mal klar ist: Hätte Kästner nur eine Büchertapete besessen, wäre ihm das nicht gelungen.

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