Afghanistan:Triumph der Islamisten

Afghan policemen prepare themselves near a frontline during a battle with the Taliban in Kunduz city, northern AfghanistaN

Das afghanische Militär will zusammen mit der afghanischen Polizei (Bild) Kundus von den Taliban zurückerobern.

(Foto: REUTERS)

Die Einnahme von Kundus zeigt die neue Stärke der Taliban. Nun ist entscheidend, wie sich die USA verhalten.

Von Stefan Kornelius und Christoph Hickmann

Und nun? Gilt all das nicht mehr, was man in den vergangenen Jahren so oft gehört hat, von der Bundesregierung, von ihren Verbündeten? Dass die afghanischen Sicherheitskräfte immer besser würden, dass sie mittlerweile gut allein mit den Aufständischen fertig würden, dass man keine Bedenken habe, ihnen die Verantwortung zu überlassen? Was gilt all das nun, da Taliban-Kämpfer Kundus erobert haben? Fest steht: Es gibt eine neue Diskussion über die Stabilität Afghanistans und darüber, ob die ausländischen Soldaten länger bleiben sollen.

Am Montag hatten die Aufständischen in Kundus ihren größten Erfolg seit der Vertreibung durch US-Truppen im Jahr 2001 gefeiert. Eine Gruppe von geschätzt 500 Kämpfern überrannte die strategisch bedeutsame Stadt im Norden. Zehn Jahre lang, bis zum Herbst 2013, hatte die Bundeswehr dort ihr Feldlager gehabt. Afghanistans Präsident Aschraf Ghani versprach in einer Fernsehrede, die Stadt zurückzuerobern. Die USA unterstützten die Gegenoffensive der Armee mit Luftangriffen. Zunächst freilich rückten erst mal die Taliban weiter vor, am Dienstagabend eroberten sie den Flughafen von Kundus und festigten ihre Stellungen. Rein numerisch sind die Regierungstruppen den Aufständischen weit überlegen. Allerdings lieferte Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker am Dienstag in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses eine Erklärung für den Durchmarsch der Taliban. Diese hätten das Opferfest ausgenutzt, zu dem die obersten Führungsebenen von Polizei und Armee im Urlaub gewesen seien. Auch jene Kompanien, deren Aufgabe es gewesen sei, die Ausfallstraßen in Kundus zu schützen, seien deshalb stark unterbesetzt gewesen, was es den Taliban ermöglicht habe, beinahe ungehindert in die Stadt einzudringen. Als Beleg führte Wieker unter anderem geringe Opferzahlen an. In Kundus wiederum sprach der stellvertretende Provinzgouverneur von einer "schlechten Kommandoführung".

Ein symbolischer Triumph für die Taliban

Überraschend kam der Angriff auf Kundus nicht. Seit dem Abzug der ausländischen Kräfte hatten die Übergriffe der Taliban nicht nachgelassen. Nach Schätzungen der Verwaltung wurden bereits vor dem Sturm auf die Stadt bis zu 80 Prozent der Provinz Kundus von den Taliban kontrolliert. Die Stadt Kundus ist der wichtigste Verkehrsknoten im Norden.

Politische Analysten in Kabul wurden in mehreren Medien mit den Worten zitiert, der Angriff der Taliban sei mutmaßlich rein symbolisch - den Kämpfern gehe es nicht darum, die Stadt dauerhaft zu halten. Schon in den vergangenen Monaten konzentrierten sie sich darauf, punktuell anzugreifen und die Schwächen der Regierungstruppen zu entblößen. Im ganzen Land kommt es seit dem Abzug der internationalen Isaf-Schutztruppe Ende 2014 immer häufiger zu Angriffen, wobei die Islamisten nach Zählung des Afghanistan Analysts Network nur vier der etwa 400 Distrikte des Landes dauerhaft kontrollieren.

Für die Aufständischen ist die Einnahme vor allem ein politischer Triumph in der Auseinandersetzung mit der Zentralregierung von Präsident Ghani, der an diesem Dienstag exakt ein Jahr im Amt ist. Die Taliban werden sich dieser Symbolik wohl bewusst sein. Friedensgespräche mit der Regierung sind in den vergangenen Monaten undurchsichtig und ohne nennenswerten Fortschritt geführt worden. Die Taliban selbst waren geschwächt, nachdem der Tod ihres langjährigen Führers, Mullah Mohammed Omar, mit zwei Jahren Verspätung bekannt wurde und ein interner Machtkampf um die Spitze ausgebrochen war. Nun führt Mullah Akhtar Mohammed Mansour die Kämpfer. Die Einnahme von Kundus demonstriert ihre neue Stärke.

USA überdenken ihre Abzugspläne

Doch was bedeutet dies für die Bundeswehr und ihre Verbündeten? Seit zum Jahreswechsel die Isaf-Mission endete, läuft die Folgemission mit dem Namen "Resolute Support", deren Schwerpunkt auf der Beratung der Afghanen liegt. Eigentlich soll auch sie Ende 2016 enden, doch schon seit Längerem läuft die Diskussion, ob eine Verlängerung nicht doch sinnvoll wäre.

In der Bundesregierung wächst die Sorge, dass große Teile Afghanistans ohne ausländische Hilfe schnell in die Hände der Taliban fallen könnten. Das würde die Zahl der Flüchtlinge, die ihr Heil in Europa suchen, weiter anwachsen lassen. Berlin hat deshalb die US-Regierung zu einer Neubewertung ihrer Abzugspläne angehalten. Kommende Woche soll der kommandierende General für Afghanistan, Kurt Campbell, dem US-Kongress Rede und Antwort über die Abzugsoptionen stehen. Eigentlich hatte Präsident Barack Obama ja angekündigt, Amerikas Kriege zu beenden und die Soldaten heimzuholen. In der Bundesregierung war man daher seit jeher skeptisch, ob Obama eine Verlängerung erwägen würde. Vor einiger Zeit hatte sich selbst Kanzlerin Angela Merkel dafür offen gezeigt.

Noch mehr als 700 deutsche Soldaten in Afghanistan

Seit Monaten läuft zudem in Deutschland die Diskussion, wie lange die Bundeswehr in der Fläche des Landes präsent sein sollte, im Norden, im Camp Marmal bei Masar-i-Scharif. Dort sind noch mehr als 700 deutsche Soldaten stationiert. Eigentlich lautete der Plan, dass die Bundeswehr sich um den Jahreswechsel herum nach Kabul zurückziehen solle. Entscheidend aber ist, wie sich die Amerikaner verhalten. Ziehen sie ab, war es das auch für die Verbündeten, sie sind auf die militärischen Fähigkeiten der USA angewiesen.

Die erste Frage lautet nun, wie die USA mit ihren noch immer 10 000 Soldaten im Land auf den Angriff reagieren werden. Nach dem Stationierungsabkommen kann Afghanistan militärischen Beistand anfordern. In den vergangenen Monaten war es im Süden des Landes, vor allem in der Provinz Helmand, bereits zu Einsätzen der US-Luftwaffe gegen die Taliban gekommen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nannte die Lage in Kundus am Dienstag "besorgniserregend" und verwies darauf, dass die Nato in nächster Zeit entscheiden müsse, "wie es im Jahr 2016 weitergeht und darüber hinaus". Dabei müsse man sich, statt an "starren Zeitlinien", an der "aktuellen Situation" orientieren. Was das heißt? Dass vieles möglich ist. Auch eine Verlängerung? Da kommt es, wie gesagt, erst einmal auf die USA an.

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