Zum Tod von Hellmuth Karasek:Flüchtlingskind als Witzeerzähler

Hellmuth Karasek,

Hellmuth Karasek war sich selbst nie peinlich. Der Literaturkritiker ist am Dienstag gestorben.

(Foto: Regina Schmeken / Süddeutsche Zeitung Photo)

Hellmuth Karasek wurde als Schreiber bekannt, noch lieber aber plauderte er auf der großen Bühne - und erfand einen neuen Ton fürs deutsche Feuilleton.

Von Lothar Müller

Wann genau er angefangen hat, Witze zu sammeln, ist nicht bekannt. Aber es war in jungen Jahren, und seine Leidenschaft kam nicht von ungefähr: Schlechte Zeiten sind gut für Witze. Als Hellmuth Karasek 1934 im mährischen Brünn geboren wurde, war er Bürger der Tschechoslowakei. Aber Hitler war schon an der Macht, und als Karaseks Familie 1944 aus Oberschlesien nach Bernburg im heutigen Sachsen-Anhalt floh, war aus seiner alten Heimat das Protektorat Böhmen und Mähren des Deutschen Reiches geworden.

Das Flüchtlingskind machte in der DDR Abitur, ging dann in die Bundesrepublik, studierte in Tübingen und hat, wie man in Büchern wie "Go West! Eine Biographie der fünfziger Jahre" (1996) oder "Auf der Flucht. Erinnerungen" (2004) nachlesen kann, zweierlei nie vergessen: dass es ein Flüchtlingskind war, und dass dieses Flüchtlingskind in der jungen Bundesrepublik nicht nur mit der wiedererwachenden Theater- und Literaturszene in Berührung kam, sondern zugleich und vor allem mit der amerikanischen Kultur.

Karasek wurde ein Theaterkritiker, der über Bertolt Brecht und den Verfremdungseffekt schrieb und die Boulevardkomödien liebte und der schließlich unter dem Pseudonym "Daniel Doppler" selber schrieb; ein Literaturkritiker, der über Bücher nicht nur schreiben, sondern auch plaudern konnte; ein Feuilletonredakteur und Dramaturg, der dauernd ins Kino ging. Er wechselte von der Stuttgarter Zeitung 1968 zur Zeit und von da 1974 zum Spiegel, und als er dort 1991 als Redakteur aufhörte und 1996 auch als Autor im Streit schied, hatte er längst begriffen, dass seine Lust an Pointen und Anekdoten und sein Talent zum mündlichen Räsonieren über die Printmedien hinausdrängten.

Verwandlung in eine Billy-Wilder-Figur

Denn er gehörte seit 1988 neben Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler zum "Literarischen Quartett". Da war er in seinem Element, dem mündlichen, und schon auf dem Weg zu seinem besten Buch, einer Biografie über den in Galizien geborenen, in Wien aufgewachsenen, aus Deutschland geflohenen amerikanischen Regisseur Billy Wilder, die 1992 erschien. Sie trug ihren Untertitel "eine Nahaufnahme" zu Recht, denn sie war aus langjährigen Gesprächen mit Wilder hervorgegangen.

Im "Literarischen Quartett" war Karasek vom strengen Gesetz der Typenkomödie dazu verurteilt, dem autoritären Prinzipal Reich-Ranicki als gelegentlich aufsässiger und vorlauter, vom Prinzipal aber immer wohlwollend betrachteter Adlatus verlässlich zur Seite zu stehen - loyal auch dann, wenn sich der Prinzipal vergriff, wie in der persönlichen Attacke auf seine Opponentin Sigrid Löffler.

Irgendwann muss Karasek dann beschlossen haben, sich doch lieber selbständig zu machen und sich in eine eigenständige Billy-Wilder-Figur zu verwandeln. Zu der gehörte auch die des unsterblich Verliebten, die er immer dann spielte, wenn es um Marlene Dietrich ging.

Die Gabe, sich selbst nie peinlich zu sein

Sein Romandebüt "Das Magazin" (1998) war nicht nur ein Schlüsselroman über den Spiegel, es war auch eine Komödie über den Journalismus und eine Fingerübung für die autobiografischen Memoiren-Bücher, in denen Karasek über alles schrieb, was ihn umtrieb - ob es das Alter war ("Süßer Vogel Jugend", 2006) oder die Frauen ("Frauen sind auch nur Männer", 2013).

In seinen Anfängen hatte er gezeigt, dass er Bücher charakterisieren konnte wie Menschen. Er wollte dann aber in späteren Jahren lieber alles charakterisieren, im Prinzip Gott und die Welt, und so fand er, als er nach Berlin ging und dort von 1997 bis 2004 Mitherausgeber des Tagesspiegels und dann fester Autor bei Springer wurde - in der Welt, der Welt am Sonntag und der Morgenpost - in der Anekdote, der persönlich gefärbten Kolumne, der plaudernden Glosse sein Lieblingsgenre. Auch damit bewies er Gespür, denn dieses Genre ist heute allgegenwärtig.

Zu der Billy-Wilder-Figur, als die er sich entwarf, gehörte zugleich mehr und mehr, dass er mit Lust in Fernsehshows die Rolle des Prominenten spielte, ob in irgendwelchen Nachtclub-Sendungen, in RTL-Quizshows oder in einer Gala, und dass er dabei Anekdoten nicht nur erzählte, sondern selber produzierte. Denn zu seinen vielen Talenten gehörte die Gabe, sich selbst nie peinlich zu sein. Er konnte sich alle möglichen Albernheiten leisten, weil er wusste, dass ihm, dem Flüchtlingskind, im Ernst etwas gelungen war: im Deutschland der Nachkriegszeit den leichten Plauderton des Vorkriegsfeuilletons neu zu erfinden.

Hellmuth Karasek ist am Dienstag im Alter von 81 Jahren gestorben.

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