Festival für Jugendliche:Zum Tanz

Mit "Think Big!" wollen das Bayerische Staatsballett und der Verein Tanz und Schule Kinder und Jugendliche für Bewegung als Ausdrucksform begeistern

Von Barbara Hordych

Der Fundus an gemeinsamen Erinnerungen ist immens: Eine Barbiepuppe, ein Plüschaffe, Tonbandkassetten, Bücher und Mützen fördern ein Mann und eine Frau aus einem Container zutage - und schon sind die beiden wieder zurückversetzt in eine Zeit, als sie noch Kinder waren. Verfallen in wilde Spiele, wüste Streitereien, Eifersüchteleien, gefolgt von liebevollen Versöhnungen. Die beiden sind Bruder und Schwester - und mit den jungen Basler Performern Sarah und David Speiser steht auch ein tatsächliches Geschwisterpaar auf der Bühne. "Großer Bruder", ein einstündiges Stück Bewegungstheater, das Sarah Speiser als Abschlussarbeit für ihr Studium an der Folkwang-Universität in Essen geschaffen hat, kam im Frühjahr dieses Jahres in einer überarbeiteten Form im Basler Vorstadttheater zur Aufführung und ist nun beim Tanz-und Performancefestival "Think Big!" zu sehen (Montag, 5. Oktober, 19 Uhr, Muffathalle).

"Große Nähe und ebensolche Konkurrenz, und trotzdem bleibt man immer miteinander verwandt, diese Thematik kennen viele Geschwister aus ihrer eigenen Kindheit", sagt Bettina Wagner-Bergelt. Die stellvertretende Direktorin des Bayerischen Staatsballetts hat gemeinsam mit Simone Schulte vom Verein Tanz und Schule auch das Programm für die vierte Ausgabe von "Think Big!" ausgewählt. "Großer Bruder" ist dabei nur eine von 16 Aufführungen des Festivals, das bereits Angebote für die Allerkleinsten bereithält. Etwa die italienisch-deutsche Tanzperformance "Nero" von Alfredo Zinola und Maxwell Mc Carthy für Kinder von drei Jahren aufwärts. Ein poetisches Lichtspiel mit Straßenlaternen, in dem die beiden Tänzer gemeinsam mit ihrem jungen Publikum einen Schritt ins dunkle Blau wagen. "Die Kinder springen darauf sehr an, es hält sie kaum auf ihren Plätzen, was aber auch völlig in Ordnung ist bei dieser Altersgruppe", sagt Wagner-Bergelt (Dienstag, 6. Oktober, 10 und 16 Uhr; Mittwoch, 7. Oktober, 10 Uhr, Black Box im Gasteig).

Am anderen Ende des Altersspektrums steht die deutsche Erstaufführung von "Romeo und Julia" von Josette Baïz' Ensemble Groupe Grenade, das die Tänzerin und Choreografin vor mehr als 20 Jahren mit Straßenkindern in Marseille gründete. 1989 wurde ihr eine einjährige Residenz an einer Schule im Norden von Marseille angeboten, wo die Kinder und Jugendlichen sie mit so unterschiedlichen Ausdrucksformen wie Break Dance, orientalischem, indischem und afrikanischem Tanz konfrontierten. Erfahrungen, die fortan ihre Arbeit beeinflussen sollten. So auch ihre verkürzte Fassung von Prokofjews Ballett "Romeo und Julia", in der die jungen Akteure gegen gesellschaftliche Konventionen rebellieren - und dabei auch vor Nahkampfszenen nicht zurückschrecken. (Samstag, 10. Oktober, 19 Uhr, Muffathalle).

Mit Katharina Christl ist bei der Eröffnung des Think-Big!-Festivals eine Tänzerin und Ballettmeisterin aktiv, die in den vergangenen Jahren immer wieder Mitarbeiterin bei Grenade aus Marseille war. Womit auch die Brücke geschlagen wäre zu dem zweiten, wesentlichen Bestandteil des Programms: "Es geht uns bei Think Big auch darum, Lehrern und anderen interessierten Erwachsenen zu zeigen, was wir mit unseren Education-Programmen erreichen", sagt Wagner-Bergelt. Dafür wird Katharina Christl am Sonntag von 11 Uhr an in einem Workshop mit einer Klasse des französischen Gymnasiums Lycée Jean Renoir in München arbeiten. Im Anschluss daran stellt sie in einer öffentlichen Aufführung das Ergebnis in Gestalt kleiner Choreografien vor. "Dabei geht es nicht nur um das Erlernen von Schritten, sondern vielmehr um Fragen wie: Was ist ein Raum? Welche Haltung nehme ich in ihm ein? Was passiert, wenn ich den Blick meines Gegenübers halte, wenn ich mich drehe und ihn anfasse?", sagt Wagner-Bergelt. Kooperationen, die der Verein "Tanz und Schule" zusammen mit Campus, dem Kinder- und Jugendprogramm des Staatsballetts an Schulen wie etwa dem St. Anna- oder dem Heinrich-Heine-Gymnasium durchführt, "zeigen immer wieder, wie viel genauer und sensibler dadurch der Umgang der Schüler miteinander, die Aufmerksamkeit füreinander wird", sagt die künstlerische Leiterin des Campus (Sonntag, 4. Oktober, Aufführung 16 Uhr, Probengebäude des Staatsballetts, Platzl 7).

Einen Einblick in die ganze Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes vermittelt die öffentliche Probe der Junior Company des Bayerischen Staatsballetts II , die Ballettchef Ivan Liška und seine Stellvertreterin kommentieren (Dienstag, 6. Oktober, 10 Uhr, Muffathalle). "Die Moderne fängt ja um 1900 an, danach explodiert das Ganze in eine Vielfalt von Stilen und Handschriften", sagt Wagner-Bergelt. Die 16 jungen Profi-Tänzer werden deshalb Ausschnitte von "Jardi tancat" von Nacho Duato als Beispiel für den Modern Dance zeigen und am klassischeren Ende der Skala dann "Concertante" von Hans van Manen tanzen, das man zur Neoklassik rechnet. Bei aller Unterschiedlichkeit der Ballette - virtuos und modern sind sie beide.

Wer dadurch Lust bekommen hat, sich selbst einmal im zeitgenössischen Tanz zu versuchen, hat dazu bei dem Einführungs-Workshop für Jugendliche von Annerose Schmidt Gelegenheit - eine Teilnahme ist auch ohne Vorkenntnisse möglich (Samstag, 10. Oktober, 11 bis 13 Uhr, Muffathalle). Was bei einem solchen Projekt unter anderem entstehen kann, zeigt die Choreografie "Rausch", die Annerose Schmidt und Chris Hohenester gemeinsam mit zehn Jugendlichen im Alter von zwölf bis 22 Jahren im Jugendclub des Residenztheaters entwickelt haben. Deren Performance auf die Frage, "Was verführt mich und lässt mich alles vergessen?" war zum deutschlandweiten Tanztreffen der Jugend in Berlin eingeladen und ist jetzt noch einmal bei Think Big! zu sehen ( Montag, 5. Oktober, 18 Uhr, Muffathalle).

Think Big!, Festival, Montag bis Samstag, 4. bis 10. Oktober, Informationen unter www.thinkbigfestival.de

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: