Saunen im Herbst:Das große Schwitztheater

Räucherstäbchen, Sphärenmusik und Länderreisen: Der schnöde Aufguss wird in immer mehr Saunen als Ritual inszeniert. Inzwischen gibt es sogar Weltmeisterschaften, bei denen es nicht nur auf perfekte Wedeltechnik ankommt

Von Philipp Schulte, Bad Wörishofen

Es zischt. Dampf steigt auf im milden Saunalicht. Benjamin Giehr - groß, blond, Muskelshirt- ist wieder mittendrin in seiner Show. Sein Publikum: 200 Nackte, die eng an eng auf Holzstufen sitzen. Giehr schwenkt eine bettdeckengroße Fahne und wedelt heiße Luft an die schwitzenden Leiber. Ein Stöhnen geht durchs Blockhaus. Der Schweiß perlt. Birkenduft erfüllt die Luft. Giehrs Kollege Michael Bestler - kurzes Haar, Brille, Dreitagebart - gießt mit einer Kelle erneut auf. Ein Genuss, unerträglich und trotzdem 29 Euro Eintritt wert. "Soll ich weitermachen?", fragt Giehr, der selbst nur so tropft. "Ja!", rufen diejenigen, die noch können. Die Leute klatschen rhythmisch. Bitte bloß nicht aufhören!

Ein Samstag in der Therme von Bad Wörishofen. Im See spiegelt sich die Abenddämmerung. Die Show in der angeblich zweitgrößten Sauna der Welt ist vorbei. Nachdem Giehr und Bestler ein letztes Mal die Fahne schwenkten, strömen die Menschen ins Freie, verschwinden in den Duschen oder tauchen im Eisbecken ab.

Ein Steg führt vom Saunagarten in die Therme nebenan. Sie leuchtet rot, denn an diesem Abend soll es nicht beim schnöden Aufguss bleiben, das Motto im Wellnesstempel lautet: "Viva Argentina!" Die schwitzige Party ist schon voll im Gange. Auf der Bühne am Beckenrand hantiert ein Jongleur zu Tango-Musik mit leuchtenden Holzstäben. Er trägt eine Art Cowboykluft. Sein Publikum fläzt nackt im Becken und schaut zu. Später wartet noch eine Feuershow auf sie. Um die Ecke spielt eine Band spanische Musik. "Bailando" von Enrique Iglesias dröhnt durch die Therme. Manche kommen mit "Dulche de leche", einer argentinischen Spezialität, in der Hand aus der Sauna. Andere laufen mit weißen Gesichtern durch die Gegend: Die Kokos-Zitronen-Maske ist im Preis inbegriffen.

Bad Wörishofen: SAUNA in der Therme

Benjamin Giehr und Michael Bestler haben einen heißen Job: Sie arbeiten als Aufgussmeister in der Therme von Bad Wörishofen.

(Foto: Johannes Simon)

Immer mehr bayerische Saunen bieten Event-Abende wie diesen an. Nur schwitzen und danach kalt duschen reicht längst nicht mehr. Mindestens einmal im Monat bietet nahezu jeder größere Saunabetrieb einen Themenabend an, mit speziellen Aufgüssen, Musik und Wellness-Häppchen.

Der Trend gehe zur Event-Sauna, sagt Hans-Jürgen Gensow vom deutschen Saunabund, der Vereinigung der Schwitzbuden im Lande. "Den Menschen gefällt es, wenn der Nikolaus den Aufguss macht", sagt er. "Oder wenn die Aufgießer Lederhosen tragen." Es ist halt Geschmackssache: In der "Kristall Palm Beach"-Therme in Stein bei Nürnberg etwa findet jede Woche mehrmals ein Masskrugstemmen in der Sauna statt. Während des Aufgusses müssen die Kontrahenten einen Masskrug mit ausgestrecktem Arm so lange wie möglich von sich weg halten. Der Gewinner erhält einen Getränkegutschein. In anderen Saunen führt das Personal regelrechte Choreografien oder Theaterstücke auf. Einakter zum Dahinschmelzen. Die Saunameister hantieren dazu mit Fächern, Tüchern oder Fahnen und erzählen Geschichten. Verkleidung, Räucherzeugs, Lichteffekte - etwa mithilfe einer Diskokugel - und Sphärenmusik dürfen nicht fehlen. Sogar Länderreisen gibt es, wie Gensow verrät: von der Sowjetunion in die USA. Der Fall der Berliner Mauer, Liebeskummer oder eine Vater-Sohn-Beziehung - all das lässt sich in einer Viertelstunde bei 85 Grad nacherzählen. "Ganz Mutige rennen mit Spezialschuhen sogar über die heißen Steine."

Der ganze Klimbim muss aber erlernt werden. Die richtige Wedeltechnik zum Beispiel. Deshalb bietet der Saunabund einen Lehrgang zum "Master of Aufguss" an. "Wir sind nicht nur Weltmeister im Fußball, sondern auch im Saunieren", sagt Gensow mit einem Hauch von Stolz. 42 Prozent der Deutschen waren schon einmal in der Sauna, und sei es daheim in der Eigenbau-Therme im Keller. Die größte Sauna der Welt mit 166,1 Quadratmetern Fläche steht in Sinsheim bei Heilbronn, gefolgt von der unwesentlich kleineren Blockhaussauna in Bad Wörishofen, wo Giehr & Bestler die Fahnen schwenken. Nur in Finnland gibt es noch mehr Schwitzhütten als in Deutschland. In Sinsheim fand vor Kurzem die Aufguss-Weltmeisterschaft statt. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Sauna-WM, bei der die Teilnehmer bei über 100 Grad so lange wie möglich in der Sauna ausharren müssen und 2014 ein Russe im Finale tot umkippte. Im Kraichgau dagegen kommt es auf die Umsetzung des Themas an, die Showelemente wie etwa die Kleidung, die Beziehung zum Publikum oder die Wedeltechnik der 69 Aufgussmeister aus 15 Nationen.

Einer von ihnen ist Felix Reschke vom Satama Sauna R esort in Wendisch-Rietz bei Berlin. Der 24-Jährige ist der deutsche Aufgussmeister. Er gewann die Meisterschaft im Sommer in Radolfzell mit großem Vorsprung. Seine Performance, mit der er auch bei der WM teilnahm, heißt "Waving all over the world".

Das geht so: Er schlüpft in Kostüme, die für verschiedene Länder stehen. Der Start ist in Russland. Reschke kommt als Kosacke verkleidet in die Sauna, macht einen Birkenaufguss. Dann wird es zehn Sekunden dunkel. Er zieht sich die erste von vier Schichten vom Leib und steht nun in Lederhosen und Bier-Shirt da. Er gießt bei Volksmusik aus einem 30-Literfass zum zweiten Mal auf. Nun kommt seine dritte Kleidungsschicht zum Vorschein. Sonnenbrille, Hemd, bunte Hose. Er wedelt zu italienischer Musik Zitronenduft herum. Letzte Station sind die USA. In Tanktop und Jeans bringt er die Stimmung bei Country-Musik und Pfefferminze auf den Höhepunkt: Die Leute klatschen mit. "Man muss schon einen kleinen Knacks haben, bei 85 Grad mit so viel Kleidung in die Sauna zu gehen", sagt Reschke. Es sei körperlich sehr anstrengend, dreizehn Minuten wedelnd herumzuspringen. Für seinen Auftritt trainiert er im normalen Betrieb in Wendisch-Rietz. Die Sauna dort sei wie eine Arena. Sie wird nur für Show-Aufgüsse geöffnet und ist ausgestattet mit einer Diskokugel, LED-Lichtern und Ton-Studio. Auch nach der Arbeit verfeinert er seine Technik noch zu Hause bei Zimmertemperatur. So reichte es bei der WM im September für den 15. Platz. "Ich habe noch Luft nach oben bei meiner Technik", sagt Reschke. 2013 war der sechste Platz sein bisher bestes Ergebnis.

Benjamin Giehr und Michael Bestler arbeiten da eher mit konventionellen Methoden. In der Therme von Wörishofen gießen sie an diesem Abend noch das ein oder andere Mal auf. Gegen Mitternacht ist Feierabend auch für sie. Die letzten Gäste verlassen um halb eins die Therme - nach vier Stunden schwitzen, im heißen Wasser sitzen und Cocktails an der Beckenbar schlürfen. Ob das alles noch gesund ist? Zumindest entspannend ist es allemal.

Und es geht weiter: Während des Oktoberfests lockte der "Wiesn Gaudi Aufguss" die Menschen in die Therme. Und am 31. Oktober zu Halloween folgen "noch nie dagewesene Show-Aufguss-Highlights im Blockhaus". So viel wird verraten: Es soll düster werden. Und heiß.

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