ARD-Themenwoche:Zu Hause in Moers

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Die ARD widmet ihre Themenwoche der Heimat. Im Film "Leberkäseland" geraten Türken aus Istanbul in die deutsche Provinz.

Von Claudia Tieschky

Ist das ein Heimatfilm? So sieht das jedenfalls die ARD, denn sie zeigt Leberkäseland im Rahmen ihrer Themenwoche Heimat, die man unbedingt braucht, weil es laut ARD so ist: "Heimat geht jeden an." Das klingt zwar wie ein Warnschild auf Zigarettenpackungen, aber es ist natürlich schön, dass Herbert Grönemeyer, Natalia Wörner und Mesut Özil dafür Pate stehen. Was den Film Leberkäseland betrifft, ist es eher ein Zwei-Heimaten-Film, denn die Heldin Latife Malek (Neda Rahmanian) hat 1962 alles Mögliche im Sinn, nur nicht, Istanbul zu verlassen, um ins deutsche Moers zu ziehen.

Trotzdem lässt sie das ersehnte Mathematikstudium sausen, für das sie sich nach dem, was man heute "Familienphase" nennt, qualifiziert hat. Sie tut das ihrem lieben Ehemann Burhan zuliebe, der in Deutschland die Zahnarztpraxis seines Vaters übernehmen will - und obwohl sie, wie die Ich-Erzählerin gleich am Anfang erklärt, "Kemalistin und Feministin" ist. Womit die inneren und äußeren Konflikte in diesem Film umrissen sind.

"Schatz, weibliche Emanzipation ist nicht nur in der Theorie schön."

Die "Kemalistin und Feministin" Latife Malek (Neda Rahmanian) geht mit ihrem Ehemann von Istanbul nach Deutschland. (Foto: ARD Degeto)

Natürlich spielt Leberkäseland mit der Konstellation, dass die modernen, politisch linken Maleks ihren neuen deutschen Nachbarn in der Provinz intellektuell und gesellschaftlich haushoch überlegen sind. Während die Nachbarn (Katja Studt und Felix Klare) aber davon ausgehen, dass Türken grundsätzlich erstens gläubige Muslime und zweitens rückständig sind. Aus dem Aufeinandertreffen der Istanbuler Früh-68er mit Moers ergibt sich die Komik fast von selbst.

Latife, die nach Wochen leichter Benommenheit erkennt, dass das von der drallen Frau Breuer empfohlene "Stärkungsmittel" ein echter Alkohammer ist. Latife mit ihren drei Mädchen völlig überfordert vor der Üppigkeit einer deutschen Metzgertheke, dabei wollen sie doch nur "Wurst" kaufen. Alle vier verfallen sie dem Leberkäse, den sie noch im Auto verspeisen, und zwar so genussvoll, dass man sich ernsthaft überlegt, das Zeug mal wieder zu probieren. Von der deutschen Metzgereispezialität hat auch das Buch von Lale Akgün seinen Namen, auf dem der Film basiert.

Lale Akgün hat in der Figur Tante Selma von ihrer inzwischen verstorbenen Mutter erzählt. Sie glaubt, dass der eine Verfilmung gefallen hätte, "weil es ihr ein Anliegen war, das Bild einer modernen aufgeklärten Frau nach außen zu tragen". Tatsächlich ist das die ernste Seite dieses Feelgood-Films: Latife hat keineswegs Lust, zum Provinz-Heimchen zu werden, sondern fordert - inzwischen mit langen Haaren und zeitüblichen Schlaghosen - das Recht auf Weiterentwicklung und den Einsatz für Werte wie Laizismus und Emanzipation.

Sie studiert und promoviert, strebt schließlich eine Professur an. Zwischendurch plagt sie arges Heimweh, das sie auf Liebesabwege bringen könnte, wenn ihr Burhan nicht so ein netter, lustiger, großer, gutaussehender Kerl wäre (den der Österreicher Murathan Muslu mit einem leichten Wiener Akzent spielt, was zwar nicht zur Rolle passt, aber gerade richtig ist). Dennoch fühlt sich Burhan mit der Zeit ziemlich vernachlässigt und die beiden stehen mehrmals kurz vor dem Bruch, bis etwas völlig Unerwartetes geschieht.

Jedenfalls lautet der Schlüsselsatz dieses ARD-Heimatfilms "Schatz, weibliche Emanzipation ist nicht nur in der Theorie schön", und dazu kann man wirklich nur sagen: Heimat geht uns alle an.

Leberkäseland , ARD, 5. Oktober, 20.15 Uhr.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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