Rugby-WM:In England herrscht Staatstrauer

England v Australia - IRB Rugby World Cup 2015 Pool A

Fassunglosigkeit: Englands Rugby-Nationalspieler müssen das aus in der Vorrunde verdauen.

(Foto: REUTERS)
  • Das vorzeitige Aus der englischen Nationalmannschaft bei der Rugby-WM löst im Mutterland der Sportart große Trauer aus.
  • Noch nie ist ein Gastgeber bei einer Heim-WM in der Vorrunde ausgeschieden.
  • Der Neuanfang wird für den Trainer Stuart Lancaster sehr schmerzhaft sein.

Von Tobias Schächter

Eigentlich hat diese Rugby-Weltmeisterschaft in England ja noch gar nicht richtig begonnen. Die meisten der 20 Mannschaften, die seit rund zwei Wochen in vier Fünfergruppen um den Titel streiten, haben gerade einmal drei Spiele bestritten. Aber für Gastgeber England sind die Weltspiele im eigenen Land nach der 13:33 (3:17)-Niederlage gegen Australien seit Samstagnacht schon vorbei. 82 000 Fans im Rugby-Tempel von Twickenham waren nach der Pleite fassungslos. Und wenn im ausverkauften "Twickers", dem Home of England Rugby, Stille einkehrt und viele Fans schon vor dem Abpfiff nach Hause gehen, ist das auf der Insel gleichbedeutend mit Staatstrauer.

Nach dem Sieg gegen Fidschi im Eröffnungsspiel schwärmten englische Kommentatoren noch von der großartigen Stimmung, die an die von den Olympischen Sommerspielen 2012 in London erinnere. Nun aber ist der Gastgeber draußen und Beobachter befürchten, dass so auch diese WM ihr ganz besonders Flair im Mutterland des Rugbysports verlieren könnte.

Seit 1987 werden alle vier Jahre Weltmeisterschaften im Rugby ausgetragen, und noch nie zuvor war ein Gastgeber in der Gruppenphase ausgeschieden. Bis Samstagabend England. Größer kann ein Scheitern nicht sein. Schon vor dem Spiel hatte der wegen seiner Personalpolitik hart kritisierte Trainer Stuart Lancaster gesagt, er übernehme die Schuld für ein mögliches vorzeitiges Aus. Direkt nach dem Ende aller Träume wollte er sich im Stadion nicht zu seiner Zukunft äußern. "Es tut mir leid für die Jungs und die fantastischen Fans. Es tut so weh", sagte Lancaster nur. Er wolle die Mannschaft nun auf das bittere abschließende Gruppenmatch kommende Woche in Manchester vorbereiten, sagte er sichtlich geschockt.

Es werden nun schlimme Tage auf Englands Rugby-Auswahl und ihren Trainer zukommen. Der Disziplinfanatiker Lancaster hat zwar vergangenes Jahr einen Vertrag bis 2020 unterzeichnet, aber nach diesem Debakel dürfte ihn nicht nur der beißende Spott der englischen Presse ereilen, er wird wohl auch seinen Job verlieren. Die Engländer haben es also nicht aus der sogenannten "Todesgruppe A" geschafft. Diese wurde so genannt, weil in England, Wales und Australien gleich drei Teams konkurrierten, denen vor dem Turnier auch Titelchancen eingeräumt wurden. Nur die ersten beiden Teams jeder Gruppe kommen weiter. Für England geht es nun nur noch um einen ehrenhaften Turnierausstieg gegen Uruguay.

Kapitän Robshaw trifft eine falsche Entscheidung

Nach einer epischen Niederlage gegen den kleinen Nachbarn Wales wurde das Match gegen Australien zum vorgezogenen Finale für England. Und diese englische 15 waren dem Druck nicht gewachsen und fast die gesamte Spielzeit chancenlos gegen starke Australier, bei denen Verbinder Bernard Foley sagenhafte 28 der 33 Punkte machte. Diese zweite Niederlage war die eine zu viel für die Mannschaft um Englands Kapitän Chris Robshaw. Der hatte gegen Wales in den Schlussminuten mit einer falschen Entscheidung zum Ausscheiden beigetragen.

Robshaw wollte beim Stand von 25:28 den Sieg und verspielte so das mögliche Unentschieden, weil er eine Gasse dem Straftritt vorzog. Mit einer Gasse wartete er die Chance auf einen Versuch, für den es fünf Punkte gibt, wenn ein Spieler das Rugby-Ei ins Malfeld legt. Für einen verwandelten Strafkick gibt es drei Punkte, was in diesem Fall wenigstens für ein Remis gereicht hätte. Nun waren die Australier einfach zu stark.

Nichts wurde es also mit der Rehabilitation des Weltmeisters von 2003, der bei der letzten WM in Neuseeland unehrenhaft im Viertelfinale ausgeschieden war. 2011 hatte sich Englands Team Down Under durch Eskapaden neben dem Spielfeld zum Gespött gemacht. Nach dem historisch frühen Aus eines WM-Gastgebers wird in Englands Rugby nun alles hinterfragt werden. Vielleicht auch die Regel, dass nur Spieler für das Nationalteam nominiert werden, die in der Heimat spielen. In Englands Rugby wird es einen Neuanfang geben, der nicht nur für Trainer Stuart Lancaster schmerzhaft werden wird.

Heiratsantrag am Rande des Spiels

So eine Rugby-WM kann aber auch der Anfang von etwas Tollem sein, einer Ehe zum Beispiel. Seit zwei Wochen kicken, tackeln und rennen die Spieler von 20 Mannschaften aus allen Kontinenten in England in vier Fünfergruppen um den WM-Titel. Mut ist die Grundvoraussetzung in jeder Aktion im Kampf um das Rugby-Ei, besonders mutig aber war der Rumäne Florin Surugiu. Kurz nach der 10:44-Pleite in der vergangenen Woche gegen Irland machte der 30-Jährige unter dem Applaus seiner Mannschaftskollegen seiner Freundin im Londoner Wembley-Stadion einen Heiratsantrag. Mit dieser Aktion eines ganzen Kerls war der zuvor nur Fachleuten bekannte Rumäne plötzlich eine Berühmtheit geworden.

Die Rugby-Weltmeisterschaft ist nämlich mittlerweile nach der Fußball-WM und den Olympischen Sommerspielen das drittgrößte Sportereignis auf diesem Planeten. Der Heiratsantrag eines Spielers, der vorher nur wahren Rugby-Nerds ein Begriff war, am Rande eines Spiels, das für den Ausgang der WM nebensächlich sein dürfte, wird auf diese Weise für einen winzigen Moment lang ein Medienereignis auf der ganzen Welt.

Mitfavorit Frankreich macht es besser als England

Diese Weltspiele in England bedeuten auch für Südafrikas Jean de Villiers den Start in ein neues Leben. Allerdings hatte sich der Kapitän der "Springboks", wie das Team vom Kap genannt wird, diesen ganz anders vorgestellt. Zuerst verpatzten die Südafrikaner den Auftakt gegen Außenseiter Japan (32:34), was in der Heimat zu großen Proteststürmen über die Kaderauswahl des Trainers Heyneke Meyer führte. Er habe zu viele alte, verletzungsanfällige Spieler wie de Villiers berufen und zu wenige schwarze, schrieben die Kritiker.

Beim Sieg nach der Pleite gegen Samoa hielt de Villiers trotz eines Kieferbruchs zwar die 80 Minuten durch, aber am Morgen nach dem Abpfiff erklärt der 34-Jährige: "Als ich gestern verletzt vom Feld ging, wusste ich, dass dies mein letztes Spiel für Südafrika war. Das ist traurig, aber das Leben geht weiter." 109 Mal lief de Villiers für die "Springboks" auf, mit denen er 2007 den WM-Titel gewann - nun also das Ende einer großen Karriere mit einem Kieferbruch. Ohne ihren Kapitän gewannen die Südafrikaner an diesen Samstag in der WM-Gruppe B das wichtige Spiel gegen den bisherigen Tabellenführer Schottland mit 34:16 und haben nun wieder die Spitzenreiterrolle übernommen. Ist jetzt wieder alles gut am Kap?

Verletzungen gehören zum Rugby dazu, erklärte de Villiers noch lapidar. Das stimmt, schon für einige Spieler brachten die Auftritte bei dieser WM den Besuch im Krankenhaus und das vorzeitige Turnierende. Nicht nur für Laien sieht dieser Sport mitunter brutal aus, ständig bluten die Spieler über dem Auge, aus der Nase oder aus dem Mund. Auch Gehirnerschütterungen kommen oft vor, weshalb immer mehr Spieler, aber immer noch erstaunlich wenige, Kopfschutz tragen. Weil die Verletzungsgefahr so groß und die Schwere einer Verletzung oft nicht absehbar ist, dürfen die Mediziner die Spieler sofort auf dem Platz behandeln - während das Spiel weiterläuft.

Das meiste Geld lässt sich in Frankreich verdienen

Das sieht zwar kurios aus, ist aber notwendig. Die Waliser zum Beispiel bezahlten ihre zwei Siege gegen England und Fidschi mit einigen Verletzten. Und auch die Franzosen, die nach drei Erfolgen schon für das Viertelfinale qualifiziert sind, müssen in Yoann Huget (Knieverletzung beim Auftakt gegen Italien) den Ausfall einer wichtigen Stütze verkraften.

Bislang sind sich die Experten nach den uninspirierten Pflichtsiegen gegen Italien, Kanada und Rumänien nicht sicher, ob der WM-Mitfavorit Frankreich eher im Schongang spielt oder es einfach nicht besser kann. Frankreich betreibt die finanzstärkste Liga Europas, in die viele Stars wechseln, weil es dort das meiste Geld zu verdienen gibt. Die Größen aus England, Wales oder Irland nehmen den heimischen Talenten die Entwicklungsmöglichkeiten, sagen Kritiker, worunter auch das Niveau der Nationalmannschaft leide.

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