Wahlen in Wien:Der ewige Bürgermeister in Gefahr

Lesezeit: 2 min

Seit 1994 Bürgermeister im seit 1945 von der SPÖ regierten Wien: Michael Häupl (Foto: REUTERS)

Die FPÖ wird bei der Wahl in Wien kräftig dazugewinnen. Bürgermeister Michael Häupl erliegt trotzdem nicht der Versuchung, beim Thema Flüchtlinge nach rechts einzuschwenken

Von Ruth Eisenreich

Man kann sich schwer vorstellen, dass Michael Häupl einst in einer schlagenden Schülerverbindung war, einer Art Burschenschaft, nämlich in der "Jungmannschaft Rugia zu Krems". Kaum ein wichtiger österreichischer Sozialdemokrat tritt rechtem Populismus so bestimmt entgegen wie der 66-jährige Wiener Bürgermeister. Das ist umso bemerkenswerter, als Wien am 11. Oktober wählt und die weit rechts stehende Freiheitliche Partei (FPÖ) in Umfragen nur knapp hinter Häupls SPÖ liegt, die in Wien seit 1945 regiert.

Seit 21 Jahren schon ist Häupl Bürgermeister. Der Biologe hat eine Doktorarbeit über Geckos geschrieben, die zu den Schuppenkriechtieren gehören, war wissenschaftlicher Mitarbeiter im Naturhistorischen Museum und Chef der SPÖ-Studentenorganisation. Er gilt als belesen und hochintelligent; wie man Macht erringt, verteidigt und nützt, weiß er genau. Er lässt es sich nicht anmerken, dass er ein "G'studierter" ist und obendrein der wohl mächtigste Politiker Österreichs. Massig, schnurrbärtig, hemdsärmlig, dem Alkohol nicht abgeneigt und gern mal grantig verkörpert er glaubhaft Volksnähe.

Häupl ist mit der ärztlichen Direktorin eines städtischen Krankenhauses verheiratet, Sohn Bernhard aus einer früheren Ehe ist heute Jugendkoordinator der Wiener SPÖ. Als junger Mann war Häupl mit Renate Brauner zusammen, heute Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin. Aber die Wiener SPÖ ist nicht nur privat eng verwoben: Wo die Stadtverwaltung aufhört und die Partei anfängt, kann nach 70 Jahren SPÖ-Regierung niemand mehr so genau sagen. Die Stadt schaltet teure Inserate in Boulevardzeitungen, die - natürlich ganz unabhängig davon - positiv über SPÖ-Politiker berichten; die Partei besitzt ein kaum durchschaubares Firmengeflecht, das gute Geschäfte mit der Stadt macht.

Wahlkampf als "Zeit fokussierter Unintelligenz"

Trotzdem steht Wien unter der SPÖ gut da. Mieten auf einem Niveau, von dem Münchner nur träumen können; keine No-go-Areas; und seit Häupl nach dem Verlust der absoluten Mandatsmehrheit 2010 die erste rot-grüne Koalition Österreichs wagte, kostet die Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr nur noch 365 Euro.

Doch die FPÖ macht der SPÖ ihre Rolle als Vertreterin der Arbeiter immer stärker streitig. Für den Sonntag sagen Umfragen ihr 33 bis 35, der SPÖ 35 bis 38 Prozent voraus. Auch wenn Häupl den ersten Platz verteidigen kann, könnte die rot-grüne Mehrheit fallen und die Koalitionssuche schwierig werden.

Viele Sozialdemokraten erliegen in solcher Bedrängnis der Versuchung, den Rechten nach dem Mund zu reden. Häupl ist anders: Er schließt eine Koalition mit der FPÖ aus und stellt sich offensiv gegen ihre Hetze. Seit Langem nimmt Wien als einziges Bundesland mehr Asylbewerber auf, als es müsste. "Für Haltung. Gegen Unmenschlichkeit", steht auf SPÖ-Plakaten. Jedenfalls folgt Häupl selbst seinem berühmtesten Spruch nicht: Wahlkämpfe, sagte er mal, seien eine "Zeit fokussierter Unintelligenz".

Lesen Sie die Seite Drei zu den Wahlen in Wien von Cathrin Kahlweit mit SZ Plus.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWien
:Bei aller Liebe

In Wien lebt ein Viertel aller Österreicher. Am Sonntag sind hier Wahlen. Wird die rechte FPÖ von Heinz-Christian Strache jetzt auch die Hauptstadt schleifen?

Von Cathrin Kahlweit

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: