Borussia Dortmund:Tuchel kann es nicht fassen

FC Bayern Muenchen v Borussia Dortmund - Bundesliga

Entsetzt am Spielfeldrand: BVB-Coach Thomas Tuchel.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Er wollte den großen Bayern Paroli bieten. Doch dann muss BVB-Trainer Thomas Tuchel beim 1:5 mit ansehen, wie seine Spieler einfachste Vorgaben missachten.
  • Am Ende kann Tuchel seinem Gegenüber Pep Guardiola nur gratulieren.
  • Hier geht es zur Dortmund-Einzelkritik, hier zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Aus dem Stadion von Sebastian Fischer

Der junge Lehrer Thomas hatte alles versucht, um seine Klasse auf ihre wichtigste Prüfung vorzubereiten. Mit modernsten Methoden hatte er seinen Schülern die analytische Geometrie beigebracht, hatte sie im Unterricht bewusst mit unlösbaren Gleichungen überfordert, auf das der Ernstfall leichter erscheine. Tuchel hat sich sogar mit dem Lehrer der 12a, der immer Anzug trägt und den alle bewundern, getroffen, um sich auszutauschen. Und den Schülern nur noch veganen Traubenzucker zu essen gegeben. Doch als er dann die Klausurbögen einsammelte, sah er: Sie hatten die Grundrechenarten vergessen.

Gut, es ging natürlich nicht um Mathematik, sondern um großen Sport, als Fußballdeutschland am Sonntagabend auf die Arena in München-Fröttmaning blickte, wo sich der FC Bayern und Borussia Dortmund am achten Spieltag trafen, um das Schicksal dieser Bundesligasaison zu entscheiden. Doch BVB-Trainer Thomas Tuchel muss sich wie ein verzweifelter Lehrer vorgekommen sein, als er nach der 1:5-Niederlage seiner Mannschaft vor die Fernsehkameras trat und erklärte: "Wir müssen zurück zu Bissigkeit in den Zweikämpfen. Wir müssen zurück zu Aufmerksamkeit im Verteidigungsverhalten." Anders gesagt: Wir müssen jetzt alle nachsitzen und nochmal Grundlagen trainieren.

Dortmund hört auf Tuchels neuen Speiseplan

Es gibt nicht viele Fußballtrainer in Deutschland, die ihren Beruf mit so viel Fachwissen und Akribie betreiben wie Tuchel, 42. Darüber herrscht Einverständnis in der Branche und es war zu sehen gewesen an den beeindruckenden Auftritten von Borussia Dortmund in den ersten Wochen dieser Saison, Tuchels erster beim BVB. Mannschaften wie Leverkusen oder Gladbach hat seine Mannschaft in den Wahnsinn kombiniert, verloren geglaubte Spieler zauberten und sahen wieder drahtig aus, dank Tuchels neuem Speiseplan.

Deshalb hatten seinen Schülern viele zugetraut, es in diesem Jahr mit der Vorzeigeklasse aus München aufnehmen zu können. Vielleicht sogar deren Lehrer Pep Guardiola, der nach dem Spiel sagte: "5:1, das ist nicht einfach gegen eine der besten Mannschaften Europas. Aubameyang, Reus, Mkhitaryan: Das sind Maschinen."

Keine Kampfmaschinen, sondern intelligent programmierte: Tuchel hat den wilden Fußball seines Vorgängers Jürgen Klopp auf ein neues taktisches Niveau gehoben, mehr Ballbesitz, weniger Zähnefletschen. Und dann musste er nach der Niederlage gegen die Bayern, gegen seinen liebsten Kollegen Guardiola, sein Vorbild, mit dem er vor ein paar Monaten stundenlang in einer Münchner Bar saß, um die tiefe Wahrheit des Fußballspiels zu erörtern, ausgerechnet dieses lächerliche Element einfordern: Bissigkeit.

Doch anders war es ja nicht zu erklären, wie dieses 1:5 zustande gekommen war. Er hätte sich, wenn überhaupt, Gegentore gewünscht, die nicht zu verteidigen gewesen wären, sagte Tuchel, der Perfektionist. Doch seine Abwehr reagierte träge, als Jérôme Boateng seinen ersten Traumpass des Abends schlug und Lukasz Piszczek, der den am Oberschenkel verletzten Marcel Schmelzer ersetzen musste, ließ Thomas Müller staunend Roman Bürki umspielen - 0:1.

1:5 klingt nach Debakel

"Wir haben einen langen Ball gar nicht verteidigt", sagte Tuchel, als könne er das gar nicht fassen. Sie hatten es ja geübt, eigentlich: "Es ist ein freier Fuß, es ist Boateng! Wenn Boateng zum Tor schaut, dann kommt ein langer Ball. Dann müssen wir tief absinken" - zurücklaufen -, "sehr-sehr-sehr aufmerksam sein und es robust und mit Galligkeit verteidigen!" Eigentlich.

Doch nach der Pause war die BVB-Abwehr dann noch weniger-weniger-weniger aufmerksam und ohne Galligkeit, als Boateng seinen zweiten Traumpass aus der eigenen Hälfte spielte. Die Innenverteidiger Mats Hummels und Sven Bender standen zu weit vorne, trabten neben und hinter dem Torschützen Robert Lewandowski her, anstatt seinen Laufweg zu verstellen - 1:3. "Da war uns der Zahn gezogen", sagte Manager Michael Zorc.

Plötzlich defensive Naivität

1:5, das klingt nach einem Debakel. Und gewiss fühlten sich Hummels, Bender und Piszczek auch düpiert, als sie nach dem fünften Tor durch Mario Götze bei ihren Abwehrversuchen umgefallen waren, im Strafraum bedröppelt auf dem Hosenboden saßen und schon wieder die Tormelodie durch die feiernde Arena dröhnte. Doch andererseits waren da ja die ersten 25 Minuten gewesen, in denen der BVB die Bayern vor Probleme gestellt hatte. Henrikh Mkhitaryan lief ihnen immer wieder davon, Ilkay Gündogan hatte gute Ideen, Gonzalo Castro war gut drauf, Hummels gewann zunächst jeden Zweikampf. Doch was nützte das, als die Dortmunder Offensivfreude in defensive Naivität umschlug?

Es war ja die Hoffnung, in dieser Saison könne ein Team mit den Bayern nicht nur 25 Minuten, sondern 34 Spiele lang mithalten. Zwar hatte Tuchel die Bayern schon vor dem Spiel überschwänglich gelobt und BVB-Präsident Hans-Joachim Watzke in einer Talkshow am Sonntagmorgen die Bayern zum nächsten Deutschen Meister erklärt. Aber dran geglaubt hatten sie ja doch. Und jetzt beträgt der Abstand sieben Punkte, schier unüberwindbar. Tuchel saß am späteren Abend apathisch grinsend in der Pressekonferenz und wurde dann natürlich diese eine Frage gefragt: Ob irgendeine Mannschaft in diesem Jahr die Bayern stoppen könne?

Tuchel schaute hinüber zu Guardiola ("Was soll ich sagen, Pep?") und sagte, was niemand hören wollte, aber wozu es seit Sonntag keine Alternative mehr gibt: "Natürlich nicht."

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