Taktikanalyse zu Bayern vs. BVB:Kleine Fehler, großer Effekt

FC Bayern Muenchen v Borussia Dortmund - Bundesliga

Schneller als Aubameyang: Bayern-Keeper Manuel Neuer.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Borussia Dortmund macht gegen den FC Bayern zunächst viel richtig - und verliert trotzdem hoch.
  • Auf die ersten Umstellungen von Bayern-Coach Guardiola findet Tuchel noch die passenden Antworten.
  • Erst am Ende agiert der BVB kopf- und lustlos.

Von Martin Schneider

Die Realität ist ja meistens viel profaner als die Wunschvorstellung, aber es wäre einfach zu schön, wenn Thomas Tuchel spät abends, im Neonlicht seines Trainerkabuffs in Dortmund immer wieder um einen Tisch in Form eines Fußballplatzes geht und darauf große Holzfiguren verschiebt. Er würde sich immer wieder an den stoppeligen Dreitagebart greifen, ab und an würde er - die Hände hinter dem Rücken verschränkt - auf das Feld schauen wie ein Feldherr von einst und sein Schachspiel entwerfen.

Natürlich wird er in Wirklichkeit an seinem Laptop gesessen haben. Thomas Tuchel und Pep Guardiola sollen ja schon in Restaurants Spiele mit Salz- und Pfefferstreuern nachgespielt haben und da erwartet man sich natürlich einiges, wenn der Erfinder des Matchplans auf den Katalanen trifft, der seine Taktik ja so oft im Spiel ändert, dass ein Matchplan kaum das Papier zum Drucken wert wäre.

Die Taktik der beiden Teams sah am Sonntagabend so aus:

  • Tuchel wählt die Raute

Tuchel ordnete seine Figuren im Mittelfeld in einer Raute an, was gleich mehrere Vorteile hatte. Die Spitze der Raute (Shinji Kagawa) kümmerte sich ausschließlich um Alonso. Den persönlich zu bewachen ist mittlerweile fast schon Mode unter Bayern-Gegnern, deswegen aber nicht weniger effektiv. Die rechte und linke Spitze der Raute (Gonzalo Castro und İlkay Gündoğan) sollten möglichst schnell nach außen rücken können, um Überzahl gegen die beiden Läufer zu schaffen. Douglas Costa war ja nicht ganz unwichtig am bisherigen Erfolg der Bayern. Und der erstaunliche Julian Weigel sollte je nach Situation Räume stopfen, was er in der bisherigen Saison ja in erschreckender Genauigkeit getan hat.

  • Guardiola antwortet mit Dreierkette

Guardiola antwortete mit einer Dreierkette aus Jérôme Boateng, Javi Martínez und David Alaba, um frei nach seiner ureigensten Überzeugung einen Mann mehr im Mittelfeld zu haben. Das klappte in den ersten 20 Minuten überhaupt nicht. Weil hier zwei Mannschaften aufeinandertrafen, die ja eigentlich Pressingfußball spielen, aber im Ligaalltag kaum dazu kommen, weil der Gegner ja selten den Ball haben will, sah das zunächst sehr wuselig aus. Das Zentrum war so dicht, dass Bayern dann dazu überging, den einzigen Mann anzuspielen, der im Dortmunder System frei blieb - Javi Martínez. Der fand aber keinen Pass zum Spielaufbau. Oft sah man ihn, wie er schaute, stoppte, schaute, querpasste. Guardiola ordnete nach zehn Minuten an, dass Boateng das übernehmen sollte.

  • Dortmund unterbindet zunächst das Münchner Spiel

Dortmund agierte auch nach dieser Umstellung zunächst exzellent. Pierre-Emerick Aubameyang und Henrikh Mkhitaryan liefen früh an, Bayern kam in der 18. Minute zum ersten Mal zu einer Art Torschuss. Costa fand nicht statt, die Fehlpassquote betrug auf Münchner Seite 22 Prozent (gegen Wolfsburg waren es elf Prozent). In einer Situation chippte Philipp Lahm die Kugel ins Aus, weil er keine Anspielstation fand und keinen Ballverlust riskieren wollte, Lewandowski tauchte im Mittelfeld auf, weil die Bälle nicht zu ihm kamen. Dortmund unterband das Münchner Spiel auf allen Ebenen, schlug daraus aber offensiv zu wenig Kapital. Weil die Grundordnung mit Castro und Gündoğan eher defensiv war, fehlte oft die eine Anspielstation mehr, die gegen eine Dreierkette nützlich gewesen wäre.

  • Dortmund erzwingt Ballverluste, Bayern trifft

Trotzdem erwartete man zu diesem Zeitpunkt, dass Dortmund einen der vielen erzwungenen Ballverluste über den schnellen Aubameyang endlich ausnutzen würde. Aber dann kam die 27. Minute. Schon ein paar Sekunden vorher kommt der Ball in die Bayern-Abwehr und Thomas Müller tippelt da aus dem Zentrum in Richtung Außenlinie. Boateng zeigt mit dem Arm einen langen Pass an, noch bevor er den Ball hat. Martínez versucht den Pass schon, wird geblockt, dann landet er auf Boatengs rechtem Fuß, da ist Müller schon gestartet und läuft in den freien Raum hinein. Pass, Akrobatik, Tor.

Lahm rutscht in die Viererkette

Es darf Thomas Tuchel nicht überrascht haben, dass lange Bälle gegen hochverteidigende Pressing-Mannschaften ein super Mittel sind. Wenn beide Abwehrketten nahe der Mittellinie stehen, ist zwischen ihnen und dem Sechzehner natürlich viel Platz. Dortmund probierte dieses Mittel übrigens auch. In der vierten Minute verhinderte aber David Alaba mit einem taktischen Foul gegen Aubameyang Schlimmeres und holte sich dafür früh Gelb ab. Später klärte Manuel Neuer einen ähnlichen Ball mit einem seiner Algerien-Läufe, die Roman Bürki so nicht im Repertoire hat.

  • BVB verpasst den Konter, Bayern trifft

Das 2:0 kurz darauf ist ein Konter von Bayern, wie ihn Dortmund zuvor verpasst hat. Castro und Lukasz Piszczek verlieren den Ball fast an der gegnerischen Eckfahne, Lewandowski leitet den Konter mit einem Pass in einen Raum ein, den erneut Thomas Müller als Erster gefunden hat, Lahm spielt Thiago auf der anderen Seite frei und Mkhitaryan geht ungestüm in den Zweikampf. Elfmeter.

  • Aus Dortmunds Raute wird ein 4-1-4-1

Danach stellt Tuchel um. Aus der Raute wir ein 4-1-4-1 mit Aubameyang als Spitze. Der Anschlusstreffer entsteht dann auch dank dieses Systems. Mats Hummels sieht im Spielaufbau die Lücke und passt auf Mkhitaryan. Der Armenier findet dann einen Spieler, der im vorherigen System noch gar nicht dort gestanden hat - nämlich Gonzalo Castro auf Rechtsaußen. Der spielt direkt auf den gestarteten Aubameyang, der einschiebt. Guardiola stellt danach ebenfalls um, beordert Lahm in die Viererkette und agiert nun mit einem 4-4-2 mit Müller und Lewandowski als Spitzen.

  • Lewandowski darf laufen, wie er will

Es wäre natürlich interessant gewesen, wie das Spiel weitergegangen wäre, wenn Bayern nicht das 3:1 nach einer handvoll Sekunden schießt. Während man dem ersten Ball noch eine gewisse Finesse von Müller und Boateng unterstellen kann, ist dieser lange Pass einfach schlafmützig verteidigt. Wenn irgendeine Abwehr wissen sollte, welche Wucht ein Lewandowski im Zweikampf entwickeln kann, dann seine ehemaligen Teamkameraden. Aber sie lassen ihn laufen, foulen ihn nicht und damit war das Spiel dann durch. Dortmund spielte es danach lustlos runter wie ein Schachspieler, der seine Königin verloren hat, aber nicht aufgeben kann.

Mats Hummels sagte später: "Dieses Spiel muss so nicht ausgehen" und damit hatte er recht. Es war vielmehr ein Beweis dafür, welche Feinheiten auf diesem Niveau einen großen Effekt haben. Die kleinen Fehler, die Dortmund gemacht hat, hat Bayern brutal ausgenutzt. Und bei Dortmund war in den ersten Minuten nicht die Erkenntnis da, dass ein Ballverlust der Bayern so selten ist wie grüne Schachfiguren und man danach entsprechend handeln muss.

Thomas Tuchel wird nun abends in seinem Zimmer sitzen, sein Gesicht erleuchtet vom Schein seines Laptops und sich mit der Erkenntnis quälen, dass er nüchtern analysiert gar nicht so viel falsch gemacht hat. Aber dass das Spiel trotzdem 1:5 ausgegangen ist.

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