VW-Abgas-Skandal:Höllenmaschine EA 189

Volkswagen - Dieselmotor vom Typ EA189

Stein des Anstoßes: Ein Dieselmotor vom Typ EA189

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Am 24. April 2008 stellte VW seinen "2-Liter-TDI-Motor zur Erfüllung niedrigster Abgasgrenzwerte" vor. Es ist der Anfang vom Ende.
  • Denn aus technischen Gründen gerät der Motor nicht so sauber wie gedacht. VW-interne Querelen sind die Folge.
  • Um dennoch irgendwie die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten, schlägt die Stunde der Softwareentwickler - was in der Manipulation der Motorsteuerung gipfelt.

Von J. Becker, T. Fromm,M. Hägler und P. Hornung

Der Anfang vom Ende lässt sich datieren. Es ist Donnerstag, der 24. April 2008. Das Wiener Motorensymposium ist seit Jahrzehnten so etwas wie das Jahres-Hochamt der Motor-Freaks und Diesel-Fetischisten. Wer Autos mag, der geht zur Automesse; die ganz Harten aber pilgern nach Wien.

So war das auch im April vor sieben Jahren, als VW-Entwickler ihren neuen Diesel-Motor präsentierten, einen "2-Liter-TDI-Motor zur Erfüllung niedrigster Abgasgrenzwerte", wie es damals vollmundig hieß. Die Fachwelt staunte über das kühne technische Konzept. Der 140-PS-Diesel mit dem internen Kürzel EA 189 schaffte hierzulande zwar bloß die Euro-5-Abgasnorm. Aber in den USA sollte er plötzlich nur noch ein Sechstel der Stickoxide (NOx) ausstoßen - und das, obwohl die Abgastests dort viel härter sind und dem Motor zudem wesentlich mehr Leistung abfordern. Wie das genau vonstatten ging, kommt erst jetzt, im Zuge des VW-Skandals und der Ermittlungen in Wolfsburg und anderswo, ans Licht.

Sauber und günstig sollte er sein

Die Entwicklung sei "kein Kinderspiel" gewesen, gestand schon seinerzeit Richard Dorenkamp, VW-Abteilungsleiter für Niedrigstemissionsmotoren und Abgasnachbehandlung. Experten wie Günter Hohenberg, Professor an der Technischen Universität Darmstadt, fragten sich bereits damals, wie der Vierzylinder die Abgaslimits in allen 50 US-Bundesstaaten erfüllen könne: Wenn der Dieselmotor ähnliche Stickoxidemissionen wie der Ottomotor erreichen solle, dann sei er bei den Kosten "locker auf dem Niveau des Vollhybridantriebs", erklärte Hohenberg. Und das würde heißen: ziemlich teuer. Genau das aber war das Problem - VW wollte nicht nur den saubersten Vierzylinder-Diesel der Welt bauen, er sollte auch günstig sein und gleich auch noch die Hybrid-Konkurrenz von Konzernen wie Toyota ausstechen.

Ein bisschen viel auf einmal.

Denn um nicht teurer als ein Toyota Prius zu sein, durfte die Abgasnachbehandlung im VW-Dieselmotor nicht allzu viel kosten. Es war eine der ersten von vielen falschen Zielvorgaben, die die Konzernverantwortlichen setzten, wie sich nun zeigt.

Sparsamer als ein Toyota Prius

Zunächst sahen die Zahlen des für die USA gedachten VW Jetta BlueTDI ja beeindruckend aus. Der durchzugsstarke Ölbrenner trumpfte mit einer Reichweite von 3,9 Litern auf 100 Kilometer. Damit war der "Clean-Diesel made in Germany" deutlich effizienter als der Toyota Prius. Dieser wurde als Öko-Mobil in Kalifornien steuerlich gefördert und war nicht nur unter Hollywood-Größen beliebt. Dabei verbrauchte sein Hybridantrieb etwa 4,7 Liter auf 100 Kilometer. Nach mehr als einem Jahrzehnt Forschung und Entwicklung hatten die Japaner der abgasarmen Kombination von Benzin- und Elektromotor, dem Hybrid-Antrieb, zum Durchbruch verholfen.

In Wolfsburg waren sie genervt: Von Japanern abhängen lassen, und dann auch noch bei Motoren? Von wegen! Statt auf den Hybrid, setzten sie bei VW schon seit Jahren auf den Diesel, und derjenige, der für diese Technologie stand, war mächtig: Ferdinand Piëch, graue Eminenz des Konzerns und bis zum Frühjahr Aufsichtsratschef. Wie ein Monarch zog er bei den Motorentreffen in die Wiener Stadtresidenz ein. Sein Credo: "Ich bin nicht gern Zweiter!"

1989 erreicht der Diesel die Oberklasse

1989 präsentierte Piëch als Chef der Konzernmarke Audi auf der Automobilausstellung in Frankfurt den ersten TDI. Der direkteinspritzende, elektronisch gesteuerte Turbodiesel machte den Diesel salonfähig für die Oberklasse. Vorsprung durch Technik - das war neben dem Allrandantrieb und dem Aluminium-Leichtbau vor allem das Kürzel TDI. Zum TDI-Start sprach man bei Audi vom "Beginn einer neuen Zeitrechnung". Für Piëch hieß das: VW konterte gegen Toyota, und Audi war auf Augenhöhe mit BMW und Mercedes.

Doch nach 15 erfolgreichen Jahren zeigt sich, dass Volkswagen mit dieser Technologie in eine Sackgasse fährt. Denn die Abgasvorgaben werden immer schärfer, vor allem in den USA - den Technikern bei VW wird klar, dass sie mit ihrem unflexiblen Einspritzsystem die künftigen Emissionsstandards nicht werden einhalten können. Erst im November 2005 gesteht sich der Volkswagen-Vorstand den Fehler ein. Doch da bleibt bis zum Serienstart des neuen Motors, des EA 189, nicht mehr viel Zeit.

Der Diesel soll die USA erobern

Am 25. April 2008 stellt der damalige VW-Chef Martin Winterkorn die neue Maschine schließlich in Wien vor. Sie ist, so sagt es Winterkorn, gedacht vor allem für den US-Markt, für den Jetta. Er schwärmt in seinem Abschlussvortrag davon, "dass wir (damit) unsere Vorreiterrolle in der TDI-Technologie weiter ausbauen".

Formal hält VW mit dem neuen Diesel die Regeln der strengen kalifornischen Abgastests ein. Was er natürlich nicht sagte: Im Normalbetrieb, also im regulären Straßenverkehr, wurde die Abgasnachbehandlung, die im Testlabor so wunderbar funktionierte, mehr oder weniger abgeschaltet.

Warum aber wurde bei VW nachgeholfen? Insider sagen: Weil die Wolfsburger ihren "Clean Diesel" zum Massenmodell machen wollten. Der Präsentation in Wien waren in den zwei, drei Jahren zuvor lange Diskussionen in Wolfsburg vorangegangen. Denn es wurde über Alternativen gesprochen. Wolfgang Bernhard, damals Chef der Marke VW und zuvor für Mercedes tätig, plädierte für eine Kooperation mit den Stuttgartern beim Clean Diesel. Mercedes holte sich einen Motorenentwickler ins Haus, der den Vierzylinder-Motor für die USA weiterentwickeln sollte; er war so gut wie der damalige Audi-V6-Motor, nicht allzu teuer und effizient genug, um die strengen Abgasvorschriften in den USA einzuhalten. Im Gespräch war ebenfalls die "Bluetec"-Lösung, die von den deutschen Herstellern gemeinsam in den USA vorangebracht werden sollte. Dabei wird Harnstoff, auch Adblue genannt, ins Abgas gespritzt. "Ohne Bluetec schaffen wir das in den USA nicht", berichtet einer, der damals dabei war.

Daimler-Technologie in Wolfsburg? Nicht mit Winterkorn

Doch Anfang 2007 übernahm der Schwabe Winterkorn die Führung in Wolfsburg und begrub die Kooperationspläne; Bernhard musst gehen. Der Motorenentwickler, der bis dahin an die zwei Jahre an dem Projekt gearbeitet hatte, wurde ausgetauscht. Daimler-Technologie in Wolfsburg? Das war nicht mehr erwünscht.

Die Zeit in Wolfsburg wurde jetzt knapp: Der bisherige Jetta mit TDI-Motor war in den USA ausgelaufen, doch der blitzsaubere Nachfolger ließ auf sich warten. VW musste die Markteinführung des Jetta BlueTDI von Ende 2007 auf August 2008 verschieben. Insider berichten von desaströsen Zuständen bei dem US-Motorenprojekt, auf einmal passte nichts mehr. In einem Höllentempo versuchten sie, EA 189 zu retten.

Wie ein Raumschiff mit Hightech vollgestopft

Jetzt schlug die Stunde der Software-Entwickler, die den Diesel zum Superhirn aufrüsteten: Mit zehn verschiedenen Betriebsmodi sollte die Motorsteuerung allein die verschiedenen Abgas-Komponenten vom Partikelfilter bis zum Schwefelspeicher bei Laune halten. Doch selbst die Spezialisten in der Abteilung Niedrigstemissionsmotoren wussten bald nicht mehr weiter. Unter Hochdruck wurden Komponenten ohne die sonst üblichen Langstreckentests eingesetzt. Schon bald sprengte der Jetta BlueTDI den Kostenrahmen - nicht zuletzt auch, weil er, um die Abgaswerte zu verbessern, einen größeren Speicher-Katalysator bekam.

Der Jetta BlueTDI für die USA war so vollgestopft mit Hightech-Geräten wie ein Raumschiff. Doch in der Praxis funktionierte die Technik offensichtlich nicht wie geplant. Also schalteten sie den Katalysator einfach ab, um ihn im Alltag zu schonen. Eine Art Schalter wurde dazu einprogrammiert in die Motorsteuerung, "keine komplizierte Technik", sagt Professor Manfred Broy von der Technischen Universität München, das könnten seine Studenten "mit links" programmieren. Und: "Die Bedingungen für das Ein- und Ausschalten einer Abgasnachbehandlung aus dem Motordatennetz auszulesen - das ist wirklich trivial."

Trivial, aber eben streng verboten. Der Rest der Geschichte ist: der größte Skandal in der VW-Historie.

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