Pep Guardiola beim FC Bayern:Berauscht im goldenen Oktober

Bayern Munich's coach Guardiola reacts after his team scored a goal during their German first division Bundesliga soccer match against Wolfsburg in Munich

"Fußball ist manchmal verrückt": Auch Bayern-Trainer Pep Guardiola staunt über Lewandowski.

(Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Von Benedikt Warmbrunn

Der Oktober gehört zu den gelegentlich unterschätzten Monaten im gregorianischen Kalender, obwohl er ja durchaus einige Vorzüge zu bieten hat: Er ist wegen der Zeitumstellung in der Mitteleuropäischen Zeitzone der längste Monat, in ihm heiraten traditionell viele Königspaare, außerdem endet er mit einer immer beliebter werdenden Unruhenacht, mit Halloween. Selbst im Fußballkalender genießt der Oktober keine hohe Anerkennung, kein entscheidender Wettbewerb endet in ihm, deutlich wurde das am Sonntag, als Pep Guardiola wirsch klarstellen musste, was in diesem Monat seiner Meinung nach passiert, und zwar exakt: nichts. "Im Oktober", sagte der Trainer des FC Bayern, "ist niemand deutscher Meister."

Wobei: Stimmt das weiterhin?

Den ersten Oktobersonntag 2015 hat der FC Bayern genutzt, um sich mit einem 5:1-Sieg gegen Borussia Dortmund in der Bundesliga-Tabelle einen Vorsprung von sieben Punkten herauszuspielen, am achten Spieltag. Das reicht zwar tatsächlich noch nicht zum Meistertitel, wenn auch nur rein rechnerisch. Aber es reicht definitiv, um die Monate November, Dezember, Januar, Februar und März überflüssig erscheinen zu lassen. Für den FC Bayern in der frühen Oktoberform sind dies nun vor allem Monate, in denen die Mannschaft die eigene Stärke konservieren muss. So lange, bis die Wochen beginnen, in denen der Fußballkalender für das Team wieder wichtige Spiele vorgesehen hat.

"Jedes Spiel ist das wichtigste Spiel"

So dominant hat sich der FC Bayern durch die ersten Saisonwochen gespielt, dass er sich zum Gefangenen seiner eigenen Stärke gemacht hat. Schon nach nicht einmal einem Viertel der Spielzeit verliert die Frage nach der Meisterschaft an Reiz. Die Frage ist nun allein noch, was später, in den entscheidenden Champions-League-Wochen im Frühjahr, von dieser Herbstform übrig ist, um auch höhere Ziele zu verfolgen.

Über das Frühjahr sprach Guardiola am Sonntag jedoch nicht, stattdessen redete er so, wie er oft redet, wenn er weiß, dass seine Mannschaft und er fern jeglicher Kritik sind. Er nuschelte nette Nichtigkeiten. "Jeder Tag ist der wichtigste Tag, jedes Spiel ist das wichtigste Spiel", sagte Guardiola. Was den FC Bayern in diesem goldenen Oktober stark macht, erklärte daher viel besser der Dortmunder Trainer. "Immer die Schärfe zu haben, immer die Haltung zu haben, immer die Bescheidenheit zu haben, das Top-Level abzurufen - das ist die Atmosphäre, die hier geschaffen wurde", schwärmte Thomas Tuchel.

Diese Atmosphäre der Überlegenheit, für die das 5:1 gegen Dortmund in aller Deutlichkeit steht, formte sich bereits im vergangenen Sommer in der Kaderplanung. Aufgeschreckt durch zwei aufeinander folgende Schlechte-Laune-Frühjahre (jeweils das Aus im Champions-League-Halbfinale) kam für fast günstige 30 Millionen Euro der Flügelflitzer Douglas Costa, dazu Arturo Vidal sowie die jungen Joshua Kimmich und Kingsley Coman. Durch diese Zugänge verfügt Guardiola in seiner dritten Saison in München endlich über die Spieler, mit denen er seinen anspruchsvollen Stil umsetzen kann.

An jedem Tag, in jedem Spiel, in jeder Spielminute. Es ist ein Kader, mit dem Guardiola beruhigt in ein Spiel wie das gegen Tuchel gehen kann, in ein Spiel gegen einen Trainer also, den er so tief in sein Fußballgehirn hat blicken lassen wie nur wenige in Deutschland. Mit seinem aktuellen Kader hat Guardiola im Zweifel immer eine Option mehr. Und diese setzen seine Spieler zumindest in den ersten Wochen der Saison mit einer tief sitzenden Selbstverständlichkeit um, so wie andere ein Blatt im Kalender umblättern.

Das Team ist von keinem Einzelkönner abhängig

Gegen Dortmund stellte Guardiola früh die Dreierkette um, Javier Martínez rückte nach rechts, Jérôme Boateng übernahm die Rolle des Abwehrchefs. Da Dortmunds Shinji Kagawa jedem Schritt des eigentlichen Ballverteilers Xabi Alonso folgte, steuerte Boateng den Spielaufbau, er sammelte die meisten Ballkontakte - und er überrumpelte zweimal alle Dortmunder Feldspieler mit einem langen Ball, vor dem 1:0 durch Thomas Müller sowie dem 3:1 durch Robert Lewandowski. "Wir haben uns sofort an das System, das Thomas Tuchel gewählt hat, angepasst", lobte Guardiola.

Später stellte der Trainer noch auf eine Viererkette um, er ließ die Außenverteidiger David Alaba und Philipp Lahm erst die Seitenlinien absichern, dann ließ er sie weiter ins Zentrum rücken - dem Spielfluss seiner Mannschaft schadete das zu keinem Zeitpunkt. Im vergangenen Herbst rumpelte sie sich nach ähnlichen kurzfristigen Umstellungen teilweise noch durch eine ganze Halbzeit.

Geht die Spannung wieder verloren?

Die Schärfe, die Haltung, die Bescheidenheit des FC Bayern zu Beginn diesen Herbstes zeigen sich jedoch am deutlichsten darin, dass das Team von keinem Einzelkönner abhängig ist. Wenn Xabi Alonso keine langen Bälle schlagen kann, schlägt sie Boateng. Wenn Arjen Robben verletzt ist und zu keinen Sololäufen ansetzen kann, gibt Mario Götze auf dem rechten Flügel einen beständigen Flankengeber. Selbst die unglaubliche Torquote von Robert Lewandowski (inzwischen zwölf Tore in den vier vergangenen Spielen) stellt keine einseitige Abhängigkeit dar: Bei beiden Treffern gegen Dortmund bekam der Angreifer den Ball zentimetergenau auf den Fuß gespielt; beim zweiten durch Götze.

Wie vergänglich selbst so eine Torquote sein kann, davor mahnte Lewandowski später selbst als einziger glaubhaft (Sportvorstand Matthias Sammer hat sich in seiner Rolle als Mahner ja leider etwas abgenutzt). Lewandowski redete wie einer, der versteht, dass sich auch im Oktober eine Meisterschaft entscheiden kann; er erinnerte an die vergangenen Jahre, als der FC Bayern nach dem Titelgewinn im Frühjahr stets an Spannung verlor. "Wir dürfen nicht die gleichen Fehler wie letzte Saison machen, als wir am Ende zum wichtigsten Moment der Saison keine gute Form hatten", sagte Lewandowski. Wenn im April oder Mai nach einem Champions-League-Aus die Laune schlecht sein sollte, das war Lewandowskis Warnung, sollte dies seinen Ursprung nicht im Oktober haben.

Doch selbst wenn es wieder so kommen sollte: Bis dahin gibt es den November, den Dezember, den Januar, den Februar und den März. Alles Monate, in denen sich eine Mannschaft beobachten lässt, die sich an der eigenen Leichtigkeit berauscht.

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