Jürgen Klopp und Liverpool:Bühne frei für den Erweckungskünstler

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Jürgen Klopp: Bekannt fürs Ausflippen (Foto: AFP)
  • Der FC Liverpool will spätestens am Wochenende eine Einigung mit Jürgen Klopp verkünden.
  • Der Auftrag an den Trainer wäre derselbe wie einst in Dortmund: Er soll einen Traditionsklub beleben.
  • Ergebnisse und die Tabelle der Premier League finden Sie hier.

Von Raphael Honigstein, London

Am Dienstagnachmittag war alles ruhig vor dem "Heal's Building" an der Tottenham Court Road in London, vorerst seien auch keine größeren Entwicklungen zu erwarten, teilte der FC Liverpool mit. Am Tag zuvor hatten jedoch in dem Sandstein-Art-Deco-Bürogebäude, das Liverpools Dependance in der britischen Hauptstadt ist, Vertreter von Jürgen Klopp und dem nordenglischen Traditionsklub derart konstruktive Gespräche geführt, dass es auf der Insel wohl bald entschieden lauter werden wird.

An der Mersey rechnet man fest damit, dass der selbsterklärte Heavy-Metal-Freund Klopp spätestens an diesem Wochenende als neuer LFC-Trainer vorgestellt wird. Vorgänger Brendan Rodgers war am vergangenen Sonntagabend nach knapp dreieinhalb Jahren im Amt entlassen worden.

"Klopp for the Kop" ( The Sun), das passt - und zwar nicht nur, weil sich der Nachname des 48-jährigen Deutschen so hübsch auf den Namen der berühmten Anfield-Stadion-Tribüne reimt: "Klopp hat die Energie und den Antrieb, um aus Liverpool wieder einen Giganten zu machen", meint beispielsweise der frühere Kapitän Jamie Carragher, der auch als Assistenzcoach des langjährigen Dortmund-Trainers gehandelt wird.

Klopp soll als nachgewiesener Erweckungskünstler seine Aufbauarbeit aus den glorreichen Zeiten mit der Borussia (2008 bis 2015) in Liverpool reproduzieren und den aktuellen Tabellenzehnten der Premier League zurück in die englische Elite führen. Das wird, ähnlich wie beim BVB, in erster Linie nur mit harter (Lauf-)Arbeit, mit der vollen Ausnutzung aller emotionalen Ressourcen im Verein und mit cleverem Man-Management funktionieren.

Rein finanziell können die von amerikanischen Investoren, der Fenway Sports Group (FSG) aus Boston, geführten Reds nicht mit der Konkurrenz mithalten. Liverpool spielte in den vergangenen sechs Jahren nur einmal in der Champions League und liegt mit einem Umsatz von 345 Millionen Euro (2013/14) nur an fünfter Stelle - deutlich hinter Manchester United, Chelsea, Manchester City und Arsenal.

FSG hatte nach der Übernahme des Vereins 2010 große Hoffnung auf die Financial-Fairplay-Auflagen der Uefa gesetzt. Liverpool sollte sich im operativen Geschäft selbst tragen, während man 300 Millionen Euro in den Ausbau der leicht angerosteten Kultstätte an der Anfield investierte. Bis 2017 wird das Stadionkontingent auf knapp 60 000 Besucher vergrößert.

Der europäische Fußballverband hat in der Zwischenzeit allerdings die finanziellen Richtlinien gelockert. Organisches Wachstum ist in der von Millionen gefluteten englischen Liga weiter äußert schwierig; vor allem, wenn es wie beim FC Liverpool an Spezialisten-Knowhow in den Entscheider-Positionen fehlt. Mike Gordon, der FSG-Statthalter in Liverpool, wurde vom Mehrheitseigentümer der Firma, John W. Henry, als "Mann mit dem größten Fußball-Sachverstand" bezeichnet - der Amerikaner war früher Hedge-Fonds- Manager. Und er führte zusammen mit Henry und Tom Werner das Baseball-Team der Boston Red Sox zu drei Meisterschaften seit 2003. Doch die Computer- unterstützte Fahndung nach unterbewerteten Spielern gestaltet sich im Fußball augenscheinlich schwerer.

Liverpools Vorstandsriege hat es nicht verstanden, die in den beiden vergangenen Sommern für insgesamt 150 Millionen Euro verkauften Stürmer Luis Suárez (Barcelona) und Raheem Sterling (Manchester City) adäquat zu ersetzen. Brutto wurden in der Ära Rodgers 405 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben, darunter jüngst 41 Millionen für Roberto Firmino von der TSG Hoffenheim. Dauerhaft verbessert wurde die Mannschaft in dem Zeitraum jedoch nicht. Liverpools Beinahe-Meisterschaft 2014, als man mit dem furiosen Angriffs-Trio Daniel Sturridge, Sterling, Suárez und der mittlerweile zu LA Galaxy abgewanderten Ikone Steven Gerrard Zweiter wurde, wirkt in der Nachbetrachtung als ein sehr glücklicher Ausreißer nach oben.

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Ein "vergifteter Kelch" für Klopp

Ein früherer Vereinsfunktionär spricht angesichts der oft kontraproduktiven Arbeit des mit FSG-Funktionären und mit englischen Analysten besetzen transfer committee, das für die Kaderplanung zuständig ist, sogar von "einem vergifteten Kelch" für Klopp. Aber vielleicht vertraut man in Boston dem charismatischen Menschenfänger in dieser Beziehung ja mehr als Vorgänger Rodgers, der mit seinen persönlichen Wunschspielern (Joe Allen, Mario Balotelli) interne Zweifel befeuerte.

Schon 2010 und 2012 hatten die Amerikaner bei Klopp angefragt; aber der in der britischen Presse wahlweise als "Renaissance-Mann" ( Daily Telegraph) oder "Anti-Establishment-Rebell" ( Independent) stilisierte Stoppelbartträger war nicht verfügbar gewesen. Aktuell erscheint der Zeitpunkt der Klopp'schen Missionsübernahme relativ opportun: Rodgers hatte den Rückhalt bei Fans und Mannschaft komplett verloren, Leistungsträger Sturridge ist soeben von einer längeren Verletzungspause zurückgekehrt, und im oberen Tabellendrittel konnte bisher keine Mannschaft wirklich überzeugen. Der Rückstand auf den vierten Platz beträgt nur drei Punkte.

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Die Bühne in der Beatles-Stadt steht also bereit, das Publikum wartet darauf, dass es scheppert. Let it Klopp!

© SZ vom 07.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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