Wegen Flüchtlingen:Seehofer will 3000 neue Stellen schaffen

Provisorische Erstaufnahmeeinrichtung fuer Fluechtlinge in der Turnhalle der Reischlesche Wirtschaft

Bayerns Kommunen sagen, sie seien an der Kapazitätsgrenze. Hier eine provisorische Erstaufnahmeeinrichtung in einer Augsburger Turnhalle.

(Foto: imago)

Beim Krisentreffen in Ingolstadt klagen Kommunalpolitiker über hohe Flüchtlingszahlen und hoffen auf eine Lösung durch die Staatsregierung. Der Ministerpräsident kündigt zumindest weitreichende Beschlüsse an.

Von Dietrich Mittler und Wolfgang Wittl, Ingolstadt

Eine dunkle Limousine nach der anderen rollt an, die Parkplätze sind längst überfüllt. Landräte, Oberbürgermeister, Bezirkstags- und Regierungspräsidenten - alle kommunalen Spitzen des Freistaats sind am Mittwoch ins Ingolstädter Stadttheater gebeten worden, und fast alle sind sie gekommen, obwohl die Einladung der Staatsregierung recht kurzfristig erfolgte. Es ist kurz vor 10 Uhr, vor wenigen Minuten zuvor hat es noch wie aus Kübeln gegossen. Drinnen im Saal lassen die ersten Teilnehmer bereits Dampf ab.

"Alles läuft aus dem Ruder", wettert Heinrich Trapp (SPD), der Landrat von Dingolfing-Landau. Einen Beschwerdebrief habe er geschrieben an die zuständigen Bundesminister, dass es mit der Flüchtlingspolitik so nicht weitergehen könne. Der Münchner OB Dieter Reiter (SPD) schimpft, dass er immer noch auf das vom Bund versprochene Drehkreuz für Züge warte, damit seine Stadt endlich entlastet werde. Und dass sich andere Bundesländer bei der Verteilung weiter vor der Verantwortung drückten. Der Passauer Landrat Franz Meyer (CSU) schildert, dass sein Kreistag zu Beginn der Woche einen Nachtragshaushalt von 14,5 Millionen Euro beschließen habe müssen, weil andere Länder mit der Kostenerstattung für unbegleitete Minderjährige im Rückstand seien.

Der Mann, dem sie ihre Sorgen vortragen wollen, hat nichts zu befürchten. Der Zorn der Kommunalpolitiker richtet sich gegen den Bund, nicht gegen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der zu diesem Treffen geladen hat. Das Wort Gipfel erlebt ja eine Inflation dieser Tage, in Ingolstadt ist es sogar eine Kombination aus Flüchtlings-, Kommunal- und Integrationsgipfel. Nur ein Lösungsgipfel, der Antworten auf die wichtigsten Fragen liefert, ist es auch diesmal nicht. Der Ministerpräsident, so schildern es Teilnehmer, habe sich von den Landräten Vorschläge gewünscht, wie denn sie die Probleme lösen würden. Die Kommunalpolitiker wiederum hofften auf Rezepte der Staatsregierung. So ging es zunächst hin und her.

Einige Stellen werden nur befristet

Seine Pläne will Seehofer diesen Freitag nach einer Sondersitzung des Kabinetts und kommende Woche in einer Regierungserklärung vorstellen. Erste Maßnahmen verkündet er bereits im Anschluss an das Treffen am Mittwoch. "Deutlich mehr als 3000 Stellen" will Seehofer als Folge der Flüchtlingsprobleme im Freistaat schaffen. Darüber habe er bereits mit dem Rechnungshof gesprochen, der habe die besondere Herausforderung anerkannt. Allein bei den Lehrern sei von einer vierstelligen Zahl auszugehen, heißt es aus dem Kultusministerium. Um den Personalschlüssel nicht dauerhaft zu belasten, werden einige Stellen allerdings nur befristet vergeben. Immerhin: Bis 2019 wolle er die neuen Stellen garantieren, sagt Seehofer, das habe er den Lehrerverbänden zugesichert. Damit stiegen auch die Chancen für eine unbefristete Übernahme.

Eigentlich ist Seehofer gekommen, um seine Position für die weiteren Verhandlungen zu schärfen. Mit Bischöfen und Lehrerverbänden hat er bereits gesprochen, diesen Donnerstag sind Rettungskräfte und Sicherheitsbehörden an der Reihe. Für die Kommunalpolitiker nimmt sich der Ministerpräsident am Mittwoch mehr als vier Stunden Zeit. Viele Landräte, nicht nur aus der CSU, sagen, sie wollen Seehofer den Rücken stärken vor den Gesprächen in Berlin. Das sei gar nicht nötig, sagt Seehofer. Er sei gekommen, um aufzunehmen, was in der Lebensrealität stattfindet.

Kommunalpolitiker diskutieren über Flüchtlingspolitik

Städtetagschef Ulrich Maly, Landkreispräsident Christian Bernreiter und Ministerpräsident Horst Seehofer.

(Foto: dpa)

Was die Kommunalpolitiker Seehofer berichten

Aus Sicht der Kommunalpolitiker sieht diese Realität vor allem so aus: Sie fühlen sich jenseits der Belastungsgrenze. Oberbürgermeister berichten, wie sie um jeden freien Quadratmeter für Flüchtlingsunterkünfte kämpfen müssen. Landräte schildern, wie Beamte aus allen möglichen Abteilungen rekrutiert werden, um die Aufgaben beim Asyl zu bewältigen. Sie fordern eine Obergrenze für Flüchtlinge, den Bau neuer Wohnungen und eine gerechte Verteilung der Asylbewerber in ganz Deutschland.

"Der nächste Bus", droht ein Landrat der Freien Wähler, "wird einfach zur Merkel nach Berlin geschickt." Andere sprechen bereits davon, Übergänge nach Österreich zu blockieren, weil sich der Zuzug nicht mehr regeln lasse. "Einfach zumachen", sagt ein SPD-Mann.

Einfach zumachen? Seehofer soll während des Treffens von "Notwehr" gesprochen haben. Er sei auch zu Maßnahmen bereit, die rechtlich nicht gedeckt seien, sofern er nur den Rückhalt im Freistaat habe, soll der Ministerpräsident laut Teilnehmerangaben gesagt haben. Die Unterstützung der meisten Landräte ist ihm sicher. Zu denen, die Seehofer mit Fakten konfrontierten, gehören auch Bayerns Bezirke. "Ich werde dem Ministerpräsidenten heute sagen müssen, dass die bayerischen Bezirke allein für die unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge im nächsten Jahr 217 Millionen Euro brauchen", sagt Josef Mederer, der Präsident des Bayerischen Bezirketags, kurz vor der Zusammenkunft mit Seehofer.

Bereits in den vergangenen Jahren, so rechnen die Bezirke vor, wurden ihre Haushalte mit jährlich rund "50 Millionen Euro belastet". Hier müsse sich jetzt endlich etwas bewegen, sagt Mederer. Hinterher zeigt er sich erleichtert. Er nehme die Kernbotschaft mit, dass die Flüchtlingshilfe nicht zu Lasten der eigenen Bevölkerung gehe. Diesen Donnerstag will Mederer mit Sozialministerin Emilia Müller die finanziellen Eckpunkte klären.

Frage nach Begrenzung des Zuzugs bleibt offen

Auch Ulrich Maly (SPD), der Nürnberger Oberbürgermeister und Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, spricht von einem konstruktiven Gipfel. Christian Bernreiter (CSU), der Präsident des Landkreistags, fordert von der Staatsregierung, sie solle bis zum Jahresende eine Kapazitätsgrenze für alle bayerischen Kommunen vorlegen. Sie soll zeigen, dass der Freistaat sein Maß längst übererfüllt habe. Es sei "kein Affront" den anderen Bundesländern zu sagen: "Jetzt seid ihr an der Reihe." Auch Maly ist der Auffassung, dass es an der Solidarität in Deutschland "gewaltig gebricht".

Die wichtigste Frage, wie sich der Zuzug begrenzen lässt, bleibt aber auch in Ingolstadt offen. Es sein ein bisschen einfach, sich in solchen Überschriften wie der Zuzugsbeschränkung zu ergehen, sagt der Münchner OB Reiter. Wie das funktionieren solle, dafür fehle ihm die Fantasie. Der Passauer OB Jürgen Dupper (SPD) zeigt sich von den von der CSU ins Spiel gebrachten Transitzonen wenig angetan. "Wir sind gut beraten, alles zu unterlassen, was die Menschen verunsichert", sagt Dupper.

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