Von Reykjavik nach Reykjavik:Eine runde Sache

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Reisen wie einst Erik der Rote: Bei einer Umrundung zeigen sich die vielen Gesichter Islands. Statt auf der Ringautobahn erkunden die Passagiere der "Ocean Diamond" die Insel vom Wasser aus.

Von Ingrid Brunner

Örvar Mar begrüßt seine Gäste mit einem isländischen Volkslied. Er singt vom Feste feiern und dass man nicht wisse, wann man sich wiedersehe. Ein ungewöhnlicher Einstieg in eine Expeditionskreuzfahrt rund um Island, aber dieser musikalische Auftakt kommt nicht von ungefähr. Örvar, sein bürgerlicher Name ist Örvar Mar Kristinsson, hat in Wien sieben Jahre Gesang und Schauspiel studiert. Damit ist klar, wie sich die Bordunterhaltung gestalten wird: Liederabende, in denen er zusammen mit seiner Frau Thora, einer Sopranistin, vom harten Leben der Fischer, Bauern und Matrosen, von Liebesschmerz und Heringsfang singt. Dabei erstaunt vor allem die Zartheit der Darbietung - bei diesem massigen hochgewachsenen Wikinger würde man eher einen tiefen Bass erwarten als eine Tenorstimme. Doch gerade diese Melange aus Zartheit und Naturgewalt drückt viel vom Wesen Islands aus; sie setzt den Ton für die bevorstehende Reise.

Einmal rund im Island soll es gehen, von Reykjavik nach Reykjavik im Uhrzeigersinn, in den einsamen, felsigen Norden und in den grüneren Süden, mit einem Abstecher auf die Westmännerinseln. Der Besucher betritt eine vom Vulkanismus geschaffene Welt, die unentwegt von den Kräften aus dem Erdinneren geformt wird. Auf diesem Hotspot der Erde ist alles vorläufig. Während die Ocean Diamond aus dem Hafen Reykjavik ausläuft, präsentiert Örvar sein isländisches Team. Verständigungsprobleme sind nicht zu erwarten. Alle Expeditionsmitglieder sprechen Englisch und Deutsch, auch der norwegische Kapitän Knut Hanssen. Hoteldirektor Thomas Pfennings stammt aus dem Kölner Raum und lässt mit seinem sympathischen rheinischen Singsang sogleich Heimatgefühle bei den deutschsprachigen Passagieren aufkommen.

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Seit der Sommersaison 2015 umrundet die Ocean Diamond Island.

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Die Ausflüge bieten Einblicke in die Vielfalt der Insel: Es geht zu den Schwefelfeldern von Namaskard...

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...zu Wasserfällen wie dem Dettifoss...

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...dem wasserreichsten Fall Islands...

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...und auf Gletscher wie den Snaefellsnesjökull und zu den Westmännerinseln.

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Oft zu sehen sind Papageientaucher - sogar als Wegweiser auf der Insel Heimaey.

Die Tage werden prall gefüllt sein mit Tierbeobachtungen, Wanderungen und Ausflügen zu mächtige Wasserfällen, in Fjorde, auf Gletscher und Vulkane und ins Tal der Geysire. Das Wetter ist bei Expeditionskreuzfahrten stets die große Unbekannte. Zumal es in Island besonders launenhaft ist. Es gibt Wetterkanäle, die nur über Wind, Regen oder Nordlichter informieren. Einheimische scherzen gerne: "Wenn dir das Wetter nicht gefällt, dann warte fünf Minuten." Oder: Wenn die Sonne scheint, dann warte fünf Minuten - und du stehst im Nebel.

Wie beim Ausflug auf den Snaefellsnesjökull. Jökull bedeutet Gletscher - so viel Isländisch lernt man am schon am ersten Tag, denn elf Prozent der Insel sind von Gletschern bedeckt. Vom Hafen in Stykkisholmur geht es von null Metern gemächlich hinauf auf 1400 Meter. Der Weg dorthin: ein Idyll. Die Sonne scheint herab auf moosbewachsene Lava, auf Islandpferde, die friedlich an Heidesträuchern rupfen. Ende Juli blüht hier in zartem Rosé der Thymian, in gelben Blütenkissen der Frauenmantel. An feuchten Böden steht das Wollgras, seine flauschigen Fruchtstände sehen aus, als hätten Elfen Wattebällchen zum Trocknen draufgesteckt. Doch oben am Gipfel wird die Welt unvermittelt weiß. Der bläulich schimmernde Gletscher, vom Nebel verschluckt. Hier irgendwo ließ der Romancier Jules Verne Professor Lidenbrock und dessen Neffen Axel ihre "Reise zum Mittelpunkt der Erde" antreten. Doch der Einstieg bleibt im Nebel verborgen. Wieder zurück auf Meereshöhe gibt es zum Trost Kakao und Kekse - und eine Landschaft in goldenem Licht. Man lernt Sonnenschein zu schätzen.

(Foto: sz)

An der Felswand des 534 Meter hohen Hornbjarg segeln Tordalke, Eissturmvögel, Dreizehenmöwen

Doch Isländer brauchen keinen Jules Verne, sie haben ihre eigenen Geschichten. Sie handeln von Trollen, Feen, dem "kleinen Volk" und den nordischen Göttern und sind allgegenwärtig in der Topografie und im Anekdotenschatz. Kaum ein Fels, kein Wasserfall, mit dem nicht eine Legende verbunden wäre. Ein guter isländischer Guide kennt all die Geschichten und Sagen. Deshalb kann er den Reisenden die Insel stets auf zwei Weisen nahebringen - wissenschaftlich und volkstümlich. Für die wissenschaftliche spricht, dass sie einer Überprüfung standhält. Die volkstümliche Erklärung hat den Vorteil, dass sie weniger kompliziert ist und länger im Gedächtnis bleibt.

Etwa am Isafjord: Blickt man aufs gegenüberliegende Ufer, sieht man eine tiefe Kuhle, die der Gletscher in den Fels gehobelt hat, so wunderschön rund wie mit dem Zirkel gezeichnet. Dazu erzählt Guide Herrmann was er als Kind von seiner Oma gehört hat: "Eine dicke Trollfrau war müde vom Wandern. Sie hat sich hingesetzt und ihre Füße im Fjord gekühlt. Dabei hat sie die Mulde mit ihrem Hinterteil geformt."

Oder in der Schlucht von Ásbyrgi: Diese kilometerlange Basaltmauer verdankt ihre Entstehung der hochkomplexen Aufeinanderfolge von mehreren Vulkanausbrüchen und Gletscherströmen, die anschließend die Gesteinsmassen in die Form eines riesigen Hufeisens gepresst haben. Der nordischen Mythologie zufolge hat hingegen Odins achtbeiniges Pferd Sleipnir dort seinen Hufabdruck hinterlassen. Der kleine Wanderweg zum Ende der Schlucht führt durch ein Birkenwäldchen - ein lieblicher Hain, wie geschaffen für ein Elfen-Stelldichein. Und siehe da, Ásbyrgi gilt als Elfenhauptstadt Islands. Als harte Tatsache ließe sich noch anfügen: Nur zwei Prozent der Insel sind bewaldet, Aufforstungsbemühungen gestalten sich äußerst mühsam, zu kurz ist die Vegetationsperiode knapp unterhalb des Polarkreises.

Freilich gibt es Momente, da ist auch der rational denkende Besucher geneigt, an höhere - oder dunkle Mächte zu glauben: Etwa in der Mondlandschaft des Myvatn-Gebiets, geformt vom Krafla-Vulkansystem mit seinem Zentralvulkan, der Caldera und vielen Vulkanspalten. Besonders weil es auch noch höllisch riecht. Die mal quittegelben, mal blauen Schwefelfumarolen von Námaskarð kochen, dampfen und blubbern so fotogen vor sich in, dass man trotz des infernalischen Gestanks wie gebannt verweilt.

An Bord der Ocean Diamond gibt es Passagiere, die am liebsten einfach nur auf dem Oberdeck stehen - bei jedem Wetter. Man trifft sie immer, wenn man selbst mal auf den Horizont starren möchte. Man starrt dann gemeinsam still auf das Wasser, das Spiel des Lichts. Zum Beispiel wenn die Ocean Diamond den Hornbjarg passiert. Diese Steilküste in den verlassenen Westfjorden ragt 534 Meter hoch in den Himmel. An seinen Wänden segeln tollkühn Tordalke, Eissturmvögel, Dreizehenmöwen, Raubmöwen. Wenn im Hornbjarg-Massiv Dunstschwaden hängen und der graue Wolkenhimmel unverhofft aufreißt, entfaltet sich ein Lichtspiel, wie es keine Computeranimation der Welt hinbekäme. Man lernt Wolken zu schätzen.

Der karge Norden ist für den Mitteleuropäer als Gegenentwurf zur eigenen Heimat reizvoller als der Süden. Es ist spannend, quasi am Rand der Zivilisation in Orten wie Siglufjördur spazieren zu gehen. Oder was man so für den Rand hält. Die Straßen sind menschenleer, auch Autos sind kaum unterwegs. Dafür aber gibt es erstaunlich viele Zebrastreifen. Und ein Polizist fährt Streife im Allradfahrzeug. Das Verbrechen schläft wohl nicht mal in Siglufjördur. Doch ein paar Frauen päppeln im Nieselregen mit Hingabe Stiefmütterchen, die in einem Pflanzkübel den Ort verschönern sollen. In den Vorgärten stehen Bobbycar, Sandkasten, Webergrill - und das Schneemobil. In allen Hafenstädten gibt es Hostels für Backpacker und Campingplätze. So auch in Seyðisfjörður. Doch welcher Kontinentaleuropäer wäre so tollkühn, hier zelten zu wollen? In Seyðisfjörður ist der Campingplatz jedenfalls leer. Die MS Norröna, die einzige Autofähre, die Island mit Festlandeuropa verbindet, liegt im Hafen. Gleich daneben ein Handarbeitsladen, in dem ein örtlicher Strickclub selbstgemachte Wollpullover und sonst Wärmendes für den Winter feilbietet. Sogar gestrickte Babystrampler. Man bekommt eine Ahnung wie lang und dunkel die Winter hier sind.

Aber die Westmännerinseln vermögen dann doch vom Charme des Südens zu überzeugen. Auf Heimaey, der Hauptinsel, zeugt Vulkanschlacke vom Ausbruch des Eldfell, der 1973 die Hälfte des Ortes verschlungen hat. Himmel und Hölle: Gleich daneben blühen Butterblumen auf sattgrünen Wiesen und Schafe grasen an steilen Hängen. Ganz oben peilen Hunderte drolliger Papageientaucher die Lage. Im Schnabel ein Bündel Sandaale. Im Norden sieht man bei klarem Wetter das Festland mit dem Eyjafjallajökull. Mitnichten der größte, aber der bekannteste isländische Vulkan-Gletscher, der Einfachheit halber gerne auch E15 genannt. Man lernt: kein Norden ohne Süden. Eine runde Sache.

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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