Geld für Flüchtlinge:Reich wird, wer Zelte näht

Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Hamburg Wilhelmsburg

Eine Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Hamburg Wilhelmsburg

(Foto: Christian Charisius/dpa)
  • Für zahlreiche Unternehmen ist die Unterbringung von Flüchtlingen ein rentables Geschäft.
  • Besonders profitieren Sicherheitsdienste und Hersteller von Zelten und Containern.

Von Lea Hampel und Pia Ratzesberger

Wenige Tage ist es her, da hat der Bund den Ländern und Kommunen mehr Geld für die Versorgung der ankommenden Flüchtlinge versprochen. 500 Millionen Euro klingen nach viel - doch das Geld fließt vor allem in Lebensnotwendiges: Übernachtungsmöglichkeiten und Lebensmittel beispielsweise. Tatsächlich profitieren zahlreiche Unternehmen von dem Geld.

Zelte

Morgens um halb acht, Mitte September, klingelt bei Sven Tartler das Telefon. Noch am gleichen Abend müssen die Zelte fertig sein: Zelthallen in Hanau, insgesamt 2000 Quadratmeter. "Sehr viele Anfragen" bekomme er momentan, sagt der Vorstand der hessischen Tartler Zelte AG. Problem sei dabei der enorme Zeitdruck. "Jeder will alle Zelte sofort aufgebaut haben, deshalb hat man zu lange auf bessere Campingzelte gesetzt", sagt Thomas Roman vom Industrieverband Technische Textilien.

Wenn jetzt für den Winter aufgerüstet werden muss, kann das teuer werden. Die Zelthersteller aber können sich über Aufträge nicht beklagen: Mindestens 50 000 Quadratmeter an Zelten sind dem Verband zufolge in den vergangenen Monaten bundesweit errichtet worden.

Container

Wer jetzt bestellt, darf erst wieder ab 2016 auf Ware hoffen: Viele Containerfirmen können nicht mehr liefern. "Der Bund will alles mieten, was verfügbar ist", sagt Günter Jösch vom Bundesverband Bausysteme. Die Firmen seien sowieso gut ausgelastet, durch die Flüchtlingskrise kämen jetzt noch einmal 20 bis 30 Prozent hinzu. Peter Bonitz zum Beispiel hat allein in einem halben Jahr mit seinem Handelsbüro in Berlin mehr als 1600 Container aufgestellt - eine Ausschreibung des Senats, ein Vertrag über etwa 23 Millionen, der für ihn "das Zehnfache vom sonstigen Geschäft darstellt", aber auch einmalig sei. Vor allem, weil die meisten anderen Kunden nur mieten und nicht kaufen wollten. "Circa 30 Prozent mehr Vermietungen haben wir durch die Flüchtlingsunterkünfte", sagt Bonitz. "Wir tragen aber auch ein großes Risiko." Werden die Container nicht mehr benötigt, gehen sie alle wieder an ihn zurück. Doch auch die Preise seiner Zulieferer hätten sich in letzter Zeit bereits verdoppelt.

Ein Sicherheitsmann pro 100 Flüchtlinge

Noch immer prangen vier Sterne am Eingang des Hotels. Dabei beherbergt der Jodquellenhof im Kurviertel von Bad Tölz schon seit Monaten keine Urlaubsgäste mehr, hier wohnen nun Asylbewerber. Will man den Eingang passieren, hält einen ein Herr an der früheren Rezeption ab: Fremden sei das Betreten nicht gestattet, sagt der Mann vom Sicherheitsdienst.

Viele Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland werden von solchen Aufpassern bewacht, beim Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) heißt es, momentan seien geschätzt 5000 Mitarbeiter in diesem Bereich beschäftigt. Man rechne damit, dass sich die Zahl schon bald verdopple oder verdreifache. Wieso private Sicherheitsdienste die Kontrolle der Unterkünfte übernehmen und nicht die Polizei? "Die Wachen hier im Landkreis haben selbst zu wenig Personal um 24 Stunden zwei Beamte abzustellen", sagt Peter Frech von Sicherheit Consulting, seine Firma bewacht den Jodquellenhof. Frech meint, "wir betreuen mehr, als dass wir sichern, füllen mit den Bewohnern Formulare aus". Er weiß, wie es um das Image der deutschen Sicherheitsdienste steht. Im vergangenen Herbst etwa soll Wachpersonal in Nordrhein-Westfalen Asylbewerber drangsaliert haben.

Auch abseits solcher Extremfälle gibt es großes Konfliktpotenzial: Zum einen, weil das Sicherheitspersonal fast nie interkulturell geschult ist. Zum anderen, weil oft zu wenig Leute für eine Unterkunft engagiert sind. "Die Auftraggeber üben einen unheimlichen Kostendruck aus", sagt eine Sprecherin des BDSW. Es sei gängig, dass ein Mitarbeiter für 100 oder mehr Flüchtlinge zuständig sei. Auch, weil wegen der vielen Notunterkünfte Arbeitskräfte fehlen. Bei der Firma Siba Security etwa, die bundesweit tätig ist, kennt man das: "Wir finden nur schwer neue Leute, vor allem in Ballungszentren", heißt es dort.

Hallen

Wie ein großes Kissen liegt sie da, die Traglufthalle in Taufkirchen. Die weißen Waben spannen sich über etwa 2600 Quadratmeter, in ihrem Innern können bis zu 300 Flüchtlinge unterkommen. Früher einmal zählten für die Hersteller von Traglufthallen Sportvereine zu den wichtigsten Kunden. Jetzt aber hat sich das geändert: Die Firma Paranet etwa, die in Berlin sitzt, hat momentan 30 Hallen für Flüchtlinge "in Bearbeitung", sagt der Geschäftsführer Jürgen Wowra. Bis zum Jahresende sollen noch einmal 20 dazukommen. 25 000 bis 80 000 Euro Miete kostet solch ein Objekt eine Kommune im Monat, je nachdem, wie viele Zusatzleistungen sie direkt mit einkauft: Reinigungs- oder Sicherheitsdienste.

Mit wie viel Mehrgewinn Wowra durch die Flüchtlingskrise rechne? Er will nur sagen, dass die Hallen für Asylbewerber bisher "etwa 20 Prozent des Geschäfts" ausmachen und dass "das Ganze nicht so superrentabel" sei, wie es anfangs aussah. Um zu verstehen, wie die Flüchtlingskrise das Unternehmen verändert hat, muss man sich nur das Personal ansehen: Vor drei Monaten bestand Paranet aus etwa 35 Leuten. Vor drei Wochen waren sie mit den zusätzlichen Montagetrupps 70. Jetzt sind sie 120.

Liegen von zehn bis 180 Euro

Mittlerweile muss Kerstin Engel kurz überlegen, ab wann sie wieder neue Liegen ausliefern könnte, wenn jemand bestellt. Vermutlich im März nächsten Jahres, sagt die Familienunternehmerin schließlich. Bereits seit Beginn 2014 nehmen die Anfragen an die vergleichsweise kleine Firma in Bad Hersfeld zu, seit einigen Monaten stehen die Telefone kaum still und die fünf Mitarbeiter schieben Überstunden.

Eine Phase wie jetzt hat man in dem Unternehmen selten erlebt. Seit 1957 werden dort Liegen hergestellt, anfangs belieferte die Firma noch die Standorte der amerikanischen Armee in Deutschland, dann hat man sich auf Hilfsorganisationen als Kunden eingestellt. So wie jetzt ging es aber nicht einmal bei den letzten Hochwasserkrisen zu. Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz und andere Versorger rufen regelmäßig an, manchmal auch Kommunen selbst; manche potenzielle Kunden fragen schon mal nach 10 000 Stück. Dabei kann die Firma maximal 12 000 Holz- und Metallliegen im Jahr herstellen. "Gerade könnten wir viel mehr verkaufen."

Mit ihren Lieferschwierigkeiten ist die kleine Firma nicht alleine. Auch große Anbieter können sich vor Anfragen kaum retten. Die Kosten spielen da längst eine nachgeordnete Rolle. Der Einkaufspreis für mobile Betten variiert derzeit zwischen zehn und 180 Euro - mit entsprechend großen Qualitätsunterschieden. Ein Resultat der hohen Nachfrage: "Da war keiner drauf vorbereitet", sagt Kerstin Engel.

Essen und Trinken

Normalerweise beliefert die Apetito AG vor allem Altenheime oder Kindergärten - seit dem Sommer aber sind die Nachfragen "erheblich angestiegen", sagt Markus Päsler von der Apetito AG. Das Unternehmen beliefert 80 Flüchtlingsunterkünfte, viele davon in Nordrhein-Westfalen. Dass die gleichen Lieferanten sowohl Kindergärten als auch Flüchtlingsheime beliefern, hat strukturelle Gründe. Die Sozialunternehmen, die andere Einrichtungen betreiben, sind oft auch für Flüchtlingsunterkünfte zuständig, und arbeiten mit Lieferanten, die sie bereits kennen.

Dabei ist die Nahrungsmittelversorgung kein einfaches Geschäft: In vielen Unterkünften leben Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammen, entsprechend verschieden sind ihre Ernährungsgewohnheiten. Bei der Apetito AG berücksichtigt man solche Besonderheiten mittlerweile - es gibt etwa viele Gerichte ohne Schweinefleisch.

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