Bundespräsident in den USA:Gauck schmeichelt, schwärmt - und kritisiert

Gauck; Obama

Bundespräsident Gauck mit US-Präsident Obama im Oval Office.

(Foto: Kevin Lamarque/REUTERS)
  • Bundespräsident Gauck betont bei seinem Besuch im Weißen Haus die wichtige Rolle der USA für die Entwicklung einer stabilen Demokratie in Deutschland.
  • Trotzdem kritisiert er die Supermacht - für die Spähattacken des Nachrichtendiensts NSA und Militäreinsätze im Nahen Osten.
  • Das Gespräch mit US-Präsident dauert eine Stunde - mehr als ursprünglich geplant.

Von Constanze von Bullion, Washington

Wer wissen will, wie die Reise des Präsidenten in die Vereinigten Staaten verläuft, kann sich einen besorgten kleinen Bruder vorstellen. Er will dem großen Bruder einen Besuch abstatten, um ihn wachzurütteln - nur dass große Brüder sich eben nicht gern rütteln lassen. Das Oval Office im Weißen Haus am Mittwochmittag, vor einem Kamin und einer Martin-Luther-King-Büste in Bronze sitzt ein sichtlich aufgeregter Joachim Gauck kerzengerade in einem Sessel. Neben ihm hat US-Präsident Barack Obama die Beine übereinandergeschlagen, er wirkt ein wenig resigniert. Weiter hinten im Raum stehen US-Vizepräsident Joe Biden und Außenminister John Kerry. Es ist ein großes Aufgebot für den Mann aus Rostock. Später wird er das hier eine "Pilgerreise" nennen.

Gauck verneigt sich tief, bevor es ans Eingemachte geht

Der Bundespräsident zu Besuch in den Vereinigten Staaten: Joachim Gauck will im Einheitsjahr dafür werben, dass Deutschland und die USA wieder enger zusammenrücken. In Zeiten schwindenden Interesses vieler US-Amerikaner an Europa will das deutsche Staatsoberhaupt den transatlantischen Partner umarmen, aber auch an das erinnern, was ihn groß gemacht hat: die Durchsetzung von Freiheitsrechten jedes einzelnen Bürgers. Ein Anliegen, das in den USA schon einmal ernsthafter verfolgt wurde, wie Gauck findet.

Wie aber stellt ein Amerika-Freund wie Gauck das an? Wie versichert er dem großen Bruder seine Verbundenheit und macht ihm dabei dennoch klar, dass es so nicht weiter gehen kann im Umgang miteinander? Indem er sich tief verneigt, bevor es ans Eingemachte geht.

Obama lobt die Rolle Gaucks für das wiedervereinigte Deutschland

Zunächst aber ist der US-Präsident an der Reihe, der im Oval Office, einem Salon von altmodischem Charme, seinen "wunderbaren Freund" aus Deutschland begrüßt. Gauck sei ein Mann mit einem "außergewöhnlichen Leben", der vor und nach der deutschen Teilung eine bedeutende Rolle gespielt habe.

Als die Höflichkeiten zur Neige gehen, kommt der US-Präsident auf die positive Rolle der Deutschen in den Gesprächen mit Iran zu sprechen, auf die "tragischen Ereignisse in Syrien" und die Flüchtlingsbewegungen, auf welche die Deutschen "mit großer Humanität" reagiert hätten. Gauck revanchiert sich für das Lob mit der Bemerkung, die USA könnten mehr helfen in der Flüchtlingskrise: "Wir wünschen uns, dass diese große humanitäre Aufgabe nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten betrachtet wird."

Später wird Gauck hinzufügen, er sei sich mit Obama einig gewesen, dass die Flüchtlingszahlen eine "große Gefahr für die Stabilität auch in Deutschland" darstellten. Ob der US-Präsident auch die Regierung von Angela Merkel in Gefahr sehe, erkundigt sich da ein Journalist. Keineswegs, versichert Gauck eilig, der Herr Präsident sei ein "kenntnisreicher Mann", von solchen Sorgen sei "nichts zu spüren gewesen".

18 Jahre lang war kein Bundespräsident im Weißen Haus

Dass die Spitzen der US-Regierung dem deutschen Gast am Ende ein volle Stunde widmen, also deutlich mehr als ursprünglich geplant war, ist so etwas wie eine Trophäe, die Gauck von dieser Reise nach Hause bringen wird. Drei Tage lang hat der Bundespräsident sich in den Vereinigten Staaten die "heiligen Stätten der Demokratie" zeigen lassen, wie er das nennt. Zunächst besuchte er die Liberty Bell in Philadelphia; die alte Glocke wurde zum Symbol für den amerikanischen Freiheitskampf. "Ich habe sie nicht nur angesehen, ich musste sie anfassen", schwärmt er hinterher. Dann geht Gauck in die Independence Hall, in der 1776 die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten erklärt wurde.

Bei strahlendem Sonnenschein lässt ein strahlender Präsident sich von einem Zeitzeugen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung das Memorial für Martin Luther King in Washington zeigen. Um dann mitzuteilen, dass er selbst so ein Zeitzeuge sei. Er habe Martin Luther King mal in Ost-Berlin die Hand gedrückt, erzählt Gauck. Eine "Inspiration" sei das gewesen, und sie habe ihm gezeigt, dass auch "eine Sehnsucht, die ihr Ziel noch nicht erreicht hat", den Menschen ein Leben lang vorantreiben könne.

18 Jahre lang war kein Bundespräsident mehr im Hauptquartier des US-Präsidenten, und wer Gauck in den Stunden vor dem Treffen begleitet, der erlebt einen, der stolz wirkt auf sich. Die Einladung ins Weiße Haus fasst Gauck als Auszeichnung auf, als Antwort auch auf seine Münchner Rede, bei der er mehr deutsches Engagement in der Welt forderte, auch militärisch. "Das ist so etwas wie die Erfüllung eines Lebenstraums", sagt er vor dem Treffen mit Obama bei einer Gartenparty des deutschen Botschafters in Washington. Da freuen sich die Gäste, so mögen sie ihren Geschichtenerzähler Gauck.

Gauck kritisiert USA für NSA-Spionage und Militäreinsätze im Nahen Osten

Es ist aber auch ein kantigerer Bundespräsident zu erleben bei dieser Reise, der Klartext reden möchte mit dem großen Bruder. Am Dienstag tritt er dann an der University of Pennsylvania auf, Gauck spricht dort über den langen Weg hin zu Demokratie und Menschenrechten, auf dem die Deutschen den Amerikanern erst spät, dann aber entschlossen gefolgt seien. Die Werte der transatlantischen Partnerschaft, die "Kraft der ähnlich Gesinnten", sagt er, sei in einer Welt voller Kriege der wichtigste Garant für die Glaubwürdigkeit des freien Westens. Freiheitsideale dürften nicht dem Sicherheitsdenken geopfert werden.

Auch über die Abhöraktionen des US-Geheimdienstes will Gauck mit den Verbündeten reden. Und über Militäreinsätze im Nahen Osten, die der Massenflucht vorausgegangen seien. Die Sonne scheint auf den Bundespräsidenten, als er das Weiße Haus verlässt, hochzufrieden und sichtlich begeistert, dass das Gespräch deutlich länger gedauert hat als geplant. Doch, sagt er, auch um den NSA-Skandal sei es gegangen und um die "Missverständnisse", die dieser in Europa ausgelöst habe. Wie er sich fühlt, wird er jetzt gefragt. "Jo", sagt Gauck, "ich gestehe, dass der Besuch eines 75-jährigen Menschen hier nicht nur Routine sein kann."

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