Umwelt:Wolke vor dem Kindergarten

Auspuff eines Autos

Diesel-Autos sind für zwei Drittel der Stickoxid-Abgase in Städten verantwortlich.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Im vorigen Jahr überschritten fast zwei Drittel der deutschen Messstationen den Stickoxid-Höchstwert der EU - 40 Mikrogramm je Kubikmeter. Hauptverursacher ist der Verkehr.
  • Mehr als zwei Drittel in den Städten gehen auf das Konto von Diesel-Autos.
  • Das Gas bleibt beim Einatmen teils in den Atemwegen hängen und kann asthmatische Reaktionen auslösen.

Von M. Bauchmüller, C. Gammelin, M. Hägler, Berlin/Stuttgart

Das Neckartor unten im Stuttgarter Talkessel ist so berühmt wie berüchtigt. Der Feinstaub liegt hier seit Jahren so dicht in der Luft, das diese Kreuzung als "Deutschlands schmutzigste Adresse" bekannt ist. Aber das ist nicht das einzige Problem. Die Stickoxid-Belastungen sind an vielen Orten in Stuttgart zu hoch. "Wir haben dieses Jahr etwa am Neckartor an 53 Stunden Überschreitungen gehabt", sagt ein Sprecher der Stadt. "Und wir versuchen, das zu verbessern." Zum Beispiel mit dem Aufruf zum Bahnfahren. Oder mit Tempolimits, an manchen Steigungsstrecken gelten 40 Kilometer pro Stunde.

Das Reizgas bringt einige Städte in eine prekäre Lage, nicht nur Stuttgart. In der Atemluft dürfen 40 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter enthalten sein, so schreibt es der Jahresgrenzwert der EU vor. Im vergangenen Jahr überschritten fast zwei Drittel der deutschen Messstationen diesen Wert - darunter vor allem die städtischen. Während etwa in Berlin alle sechs Stationen zu viele Stickoxide meldeten, war es in Brandenburg nur eine von sieben. "2015 hat sich die Situation nach den bislang vorliegenden Daten nicht wesentlich gebessert", sagt Maria Krautzberger, die Chefin des Umweltbundesamtes. "Und der Hauptverursacher ist der Verkehr."

Mehr als zwei Drittel der Stickoxide in den Städten gehen auf das Konto von Diesel-Autos. Zwar stoßen auch Lastwagen viel Stickoxid aus, das aber vor allem entlang der Autobahnen. Der Diesel-Pkw dagegen bringt seine Fracht bis vor den städtischen Kindergarten.

Ein Faktor, der die Gesundheit negativ beeinflusst

Stickoxide sind "klassische Reizgase", sagt Martin Göttlicher, Toxikologie-Professor an der TU München. Das Gas bleibe beim Einatmen teils in den Atemwegen hängen und könne asthmatische Reaktionen auslösen. Teils gelange es aber bis zu den Lungenbläschen - und könne bei hohen Dosen letztlich eine Lungenentzündung auslösen. Immerhin: Krebserregend ist es wohl nicht. "Es stirbt nicht sofort jemand an Stickoxidbelastungen aus der Umwelt", sagt Göttlicher. "Aber es ist ein Faktor, der die Gesundheit negativ beeinflusst - insbesondere, wenn Lunge und Atemwege schon vorgeschädigt sind."

Wie viele Stickoxide durch Autos in die Umwelt gelangen, hat das Umweltbundesamt gerade noch einmal nachgerechnet. 78 000 Tonnen landen aus Auto-Auspuffen in den Städten, davon fast drei Viertel aus Diesel-Motoren. Der Automobilverband VDA kommt bei eigenen Berechnungen zu deutlich niedrigeren Werten. Demnach emittieren die sieben Millionen Diesel-Autos mit Euro 5-Norm ungefähr so viel wie sieben Braunkohlekraftwerke von der Größe des sachsen-anhaltischen Kraftwerks Schkopau. Doch die Autos sind nicht irgendwo im Saalekreis, sondern oft mitten in den Städten. Erfüllten diese Autos schon die neuere Euro 6-Norm, könnten sich die Emissionen mehr als halbieren. Bislang halten rund 1,2 Millionen Autos die neue Norm ein. "Umso wichtiger ist es auch aus Umwelt-ründen, eine rasche Erneuerung des Bestands zu erreichen", wirbt der VDA. Dumm nur, dass auch bei den Euro-5-Fahrzeugen die Emissionen in der Realität viel höher ausfallen als in den Tests - sogar höher als jene der weniger strengen Euro-4-Norm.

Jede Regelung ist nur so gut wie deren Kontrolle

"Die Erfahrungen mit dem VW-Skandal zeigen, dass jede Regelung nur so gut ist wie deren Kontrolle", sagt UBA-Präsidentin Krautzberger. "Wir empfehlen eine unabhängige, transparente und gebührenfinanzierte Überwachung der in Betrieb befindlichen Fahrzeuge." Kurzum: Autos sollen nicht mehr nur einmalig für die Betriebserlaubnis untersucht werden, sondern auch danach per "Feldüberwachung". "Die sollte dann auch mit Konsequenzen verbunden sein, wenn Grenzwerte nicht eingehalten werden", fordert die Behördenchefin. Denkbar seien "Strafzahlungen in nennenswerter Höhe, ähnlich, wie es in den USA praktiziert wird".

Das wäre für deutsche Verhältnisse eine ziemliche Kehrtwende, denn bislang genügt die vom Kraftfahrt-Bundesamt ausgestellte allgemeine Betriebserlaubnis, um die Einhaltung europäischer Grenzwerte nachzuweisen. Doch der Dessauer Umweltbehörde reicht das nicht mehr. "Für die Umweltpolitik wurde an diesem Fall überdeutlich, dass es nicht genügt, Grenzwerte festzulegen", sagt Krautzberger. Welche Behörde nun konkret zusätzlich überwachen solle, müsse die Politik entscheiden. Das Umweltbundesamt helfe aber gerne. Umweltschützer fordern schon länger, dass dies die Umweltbehörde übernimmt. "Das Kraftfahrt-Bundesamt hat das Vertrauen verspielt", sagt etwa Gerd Lottsiepen, Umweltexperte beim Verkehrsclub Deutschland. Denn die Daten der Luftüberwachung zeigten, dass etwas nicht stimmt: "Die Luft müsste viel besser sein."

Und wenn die Werte zu hoch bleiben, es zu wenig saubere bessere Diesel gibt? "Wir in Stuttgart werden dann aufgrund des Drucks durch die EU Beschränkungen einführen müssen", sagt Uwe Lahl, Amtschef in Baden-Württembergs Verkehrsministerium. Etwa, dass von 2019 an nur noch Benziner und neue Euro-6-Diesel in der Stadt fahren dürfen.

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