Flüchtlinge in Deutschland:"Gewalt ist immer noch die Ausnahme"

Die Polizeigewerkschaft sagt, Gewalt und sexuelle Übergriffe in Asylheimen würden verharmlost. Aber ist das wirklich so? Hilfsorganisationen zeichnen ein differenziertes Bild.

Von Anna Fischhaber

Wieder ist die Gewalt unter Asylbewerbern eskaliert: In einer Flüchtlingsunterkunft in Braunschweig standen sich am Dienstag etwa 150 Flüchtlinge gegenüber und attackierten einander. Verletzte gab es offenbar nicht. In Hamburg eskalierte ein Streit in einem Toilettencontainer zwischen zwei Jugendlichen.

Gleichzeitig sorgten angebliche Missbrauchsfälle in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hessen bundesweit für Aufsehen. Viele dieser Fälle sehen die Behörden allerdings als nicht belegt an. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, wirft der Politik nun vor, Berichte über Gewalt und sexuelle Übergriffe in Asylunterkünften herunterzuspielen - und spricht von "Verniedlichung".

Aber wie schlimm ist die Situation wirklich? Fakt ist: Belastbare Zahlen gibt es eigentlich nicht. Das Bundesinnenministerium erwägt derzeit, ein Lagebild zur Kriminalität unter Flüchtlingen zu erstellen. Denn noch existiert das gar nicht. Es gebe bislang viele Gerüchte, warnt Innenminister Thomas de Maizière. Aber auch regional unterschiedliche Erfahrungen.

Auch eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums in Braunschweig erklärte am Mittwoch, man untersuche die Entwicklung der Straftaten in und um die Erstaufnahmelager noch. Ein Ergebnis steht auch hier aus. Einen möglichen Grund für die Konflikte kann sie dagegen schon nennen: Bei der großen Anzahl an Menschen auf einem Raum könne es immer wieder zu Reibereien kommen.

"Übergriffe auf Frauen kommen immer wieder vor"

Eine der wenigen Studien zu den Ursachen und der Häufigkeit von Gewalt unter Asylbewerbern stammt aus Brandenburg und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Dort untersuchte der Fachberatungsdienst Zuwanderung, Integration und Toleranz Ende 2014 fast 50 Unterkünfte. Gewalt gibt es demnach durchaus, aber eben nicht in allen Unterkünften. Entscheidend dafür, ob Konflikte eskalierten, seien unter anderem bauliche Voraussetzungen, also wie viele Menschen auf wie engem Raum zusammenleben - und ob sich 40 oder nur vier Flüchtlinge Küche und Bad teilten.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat die Situation von Frauen in Unterkünften untersucht. "Gewalt und Übergriffe auf Frauen kommen in deutschen Flüchtlingsheimen immer wieder vor", sagt Autorin Heike Rabe. Zahlen hat sie nicht, aber auch sie sagt: "Die Enge, der Stress, das fehlende Reagieren der Behörden verstärken das Risiko für Frauen, Opfer zu werden." Denn natürlich sind die meisten Flüchtlinge nicht übergriffiger als die meisten Einheimischen.

Fragt man Hilfsorganisationen, hört man immer wieder das Gleiche: Viele Flüchtlinge fühlen sich in den überfüllten Einrichtungen unwohl, vor allem Frauen. Dabei geht es aber nicht immer gleich um Vergewaltigung. Eher um alltägliche Herabsetzungen und Belästigungen. Darum, dass alleinreisende Frauen im Waschraum weggeschubst werden, weil sie keiner verteidigt. Dass sie Angst haben nachts aufs Klo zu gehen, weil sie das mit zahlreichen Männern teilen müssen. Dass es keinen Raum für Rückzug gibt. Diese Beispiele nennt das Internationale Frauencafé in Nürnberg. Wie viele andere Organisationen forderte das Frauencafé unlängst, dass alleinreisende Frauen auf Wunsch getrennt von Männern untergebracht werden.

Gewalt in Unterkünften könne keinen wirklich überraschen, heißt es beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Zahlen hat auch er nicht. Dennoch sei es wichtig, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Frauen etwa bräuchten eigene Sanitärbereiche, Ansprechpartner vor Ort, bei Bedarf auch getrennte Unterkünfte, sagt Marion von zur Gathen, zuständig für Familienpolitik und Frauenpolitik. Gewaltschutzkonzepte müsste es zudem in allen Einrichtungen geben, fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Flüchtlinge in einem sicheren Land auch sicher sind."

Doch solange die Notsituation anhält, solange sich die Kommunen darum kümmern müssen, dass die Menschen überhaupt ein Dach über dem Kopf haben, wird es schwierig sein, solche Gewaltschutzkonzepte auch umzusetzen. Was also tun?

Von zur Gathen warnt davor, Gewalt nun generell mit Flüchtlingen in Verbindung zu bringen - und so Panik vor den ankommenden Menschen zu schüren. Natürlich könnten die Not und die Unsicherheit Aggressionen verursachen, sagt sie. Aber Fakt sei auch: "Gewalt in Asylbewerberheimen ist - ob unter Männern oder gegen Frauen - eben nicht die Regel, sondern noch immer die Ausnahme."

(Mit Material der Agenturen)

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: