Bundeskanzlerin bei Anne Will:"Ich habe aus meinem Herzen gesprochen"

Angela Merkel bei Anne Will

Rhapsodie in Blau: Auf die Frage, ob sie ihren Innenminister entlassen werde, sagt Angela Merkel (rechts): "Natürlich nicht."

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Es ist eine neue Kanzlerin, die da bei Anne Will sitzt. Angela Merkel verteidigt ihren Kurs in der Flüchtlingskrise, die schon längst zu ihrer Krise geworden ist.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Kanzlerin Angela Merkel hat einiges zu erklären. Ihr Alleingang in der Flüchtlingskrise irritiert nicht nur die Staats- und Regierungschefschefs in Europa und anderswo. In ihrer CDU, deren Parteivorsitzende sie ist, bekommen Kritiker ihres Kurses immer mehr Oberwasser. Und erstmals seit einer gefühlten Ewigkeit sinken ihre Popularitätswerte in den Umfragen. Es ist also ein Krisengespräch, zu dem sich Anne Will da am Mittwochabend mit Merkel in der ARD verabredet hat. Ein Gespräch über die Flüchtlingskrise. Und eines über Merkels ganz persönliche Krise.

Der Titel der Sendung gibt die Richtung vor: "Können wir es wirklich schaffen, Frau Merkel?" Das hat Merkel den Deutschen und ein Stück weit wohl auch sich selbst versprochen: "Wir schaffen das."

Kann Merkel nicht mehr zurück hinter das Versprechen?

Vor allem in der Union wird der Druck größer. Merkel soll runter von dem Satz, soll sagen, dass es Grenzen gibt, Grenzen der Zuwanderung. Manche wollen die Grenzen in Europa wieder hochziehen. Andere das Asylrecht schleifen. Ein Deckel soll her, Obergrenzen für Zuwanderung. Das alles soll sie sagen.

Sagt sie aber nicht. Sie wiederholt den Satz: "Wir schaffen das, da bin ich ganz fest davon überzeugt." Die Frage ist nur, was das heißt. Was sie meint: An inneren Prozessen muss gearbeitet werden, an Europa, an den Fluchtursachen.

Hat sie sich mit dem Satz nicht die Falle selbst gebuddelt? Will fragt danach. Kann sie also gar nicht mehr zurück hinter das Versprechen?

Merkel schüttelt den Kopf. "Ich bin ein Mensch, der immer an die Dinge herangeht, dass wir das schaffen werden." So war es mit der Bankenkrise. So war es mit der Griechenlandkrise. Merkel lässt sich nicht beirren. Das ist ihre unzweideutige Botschaft an die Deutschen. An ihre Parteifreunde. Im Gegensatz zu manchen anderen ist sie nämlich "stolz, dass wir die Flüchtlinge freundlich empfangen". Sie will "keinen Wettbewerb, wer behandelt sie am unfreundlichsten, dann werden sie schon nicht kommen".

Aber ist Merkel vielleicht zu freundlich? Will bringt das Selfie ein, das Handy-Foto, auf dem sie mit einem Flüchtling in die Kamera lächelt. Ein Fehler? Merkel hält dagegen: "Glauben Sie denn, dass Hundertausende Menschen ihre Heimat verlassen, weil es so ein Selfie gibt? Dass die deswegen mit dem Schlauchboot fahren?" Die Antwort muss Merkel gar nicht geben.

Grenzen schließen - unmöglich

Was ist dann mit den anderen Vorschlägen? Grenzen dicht, zum Beispiel. Merkel: "Sie können die Grenzen nicht schließen." Das hat in Ungarn nicht geklappt, an anderen Stellen auch nicht. Also keine neuen Zäune. Keine Abschottung. Dafür Zusammenarbeit. Mit den Griechen, den Türken. Und gemeinsam die Fluchtursachen bekämpfen. Große Aufgaben.

"Ich werbe dafür, für meinen Weg Verbündete zu haben", sagt Merkel. "Ich habe die Zuversicht. Dass das geschafft werden kann." Immer wieder dieses Worte, wie ein Mantra: Wir schaffen das. "Ich bin Vorsitzende einer christlichen Partei", sagt sie, als wenn damit alles erklärt wäre.

Dabei ist noch vieles unklar. Wie viele Flüchtlinge kommen noch? Wie lange dauert die Krise? Bis wann soll es geschafft sein? Merkel hat darauf keine Antworten. Niemand, der das Thema seriös angehe, habe darauf eine Antwort, sagt Merkel. Aber was sie weiß: "Das wird harte Arbeit."

Multikulti hält Merkel für eine Lebenslüge

Es ist eine andere Merkel, die bei Anne Will in der Sendung sitzt. Es ist eben nicht die nüchterne Physikerin, die alles vom Ende her denkt. Diese Krise lässt sich wohl nicht vom Ende her denken. Es ist eine Kanzlerin, die sagt: "Das ist nicht mehr mein Land", wenn sie den Flüchtlingen nicht mehr freundlich begegnen dürfte. Sie hat ihn gesagt, als sie vor einigen Wochen den österreichischen Kanzler in Berlin zu Gast hatte. Der Satz hat viele aufhorchen lassen. War er wohlüberlegt? Nein, sagt Merkel jetzt. Aber, und das ist vielleicht das Wundersamste an dieser neuen Kanzlerin: "Ich habe aus meinem Herzen gesprochen."

Und dann? Was kommt danach? Kein Multikulti jedenfalls. Das sei eine "Lebenslüge". Wer hier lebt, der habe sich an Recht und Gesetz zu halten. Merkel verspricht Integration, Sprachkurse, Arbeit. Es seien ja noch "ein paar" Stellen offen in Deutschland. Sie hält an ihrem Thema fest: unerschütterliche Zuversicht. "Wir werden, wenn wir das geschafft haben, ein Deutschland sein, dass ein Stück stolz auf sich sein kann."

Kein böses Wort über Seehofer oder de Maizière

Anne Will hält Merkel ihre Kritiker vor. CSU-Chef Horst Seehofer vor allem, der in jedes Mikrofon hinein erklärt, dass die in Berlin gerade keinen Plan haben. Oder Thomas de Maizière, der nicht so recht an Merkels Satz "Wir schaffen das" glauben mag. Weil es Flüchtlinge gibt, die Taxi fahren. Oder welche, die mit dem Essen nicht zufrieden seien. Als müssten Flüchtlinge vor Dankbarkeit auf die Knie fallen.

In diese Falle lässt sich Merkel nicht locken. Kein böses Wort. Nicht über Seehofer. Und auch nicht über de Maizière. Merkel hat jetzt die Koordination der Flüchtlingspolitik im Kanzleramt konzentriert. Ein Akt, der von einigen als Entmachtung de Maizières verstanden wurde. Merkel versucht das als Regierungstechnik abzutun. Dennoch: Wird sie de Maizière entlassen?

Wills Frage kann sie gar nicht mit Ja beantworten. Interessant ist nur, wie sie die Frage verneint. Merkel lacht auf. "Natürlich nicht. Ich brauche ihn. Dringender denn je." Eine andere Frage, die sie nicht mit Ja beantworten will, lautet, ob Merkel bereit wäre, ihre Kanzlerschaft für ihre Flüchtlingspolitik zu riskieren. So wie einst Gerhard Schröder, der mit seiner Agenda 2010 seine Kanzlerschaft riskierte.

Das ist keine Debatte, auf die sich Merkel einlassen will. Nur so viel: "Ich bin bereit für die Frage so hart zu arbeiten, wie ich es kann." Wenn sie damit nicht alle zufriedenstellen kann, dann sei das eben so. "Damit muss ich leben."

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