Radfahren:Mit oder ohne Helm?

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Helme können Verletzungen verhindern. Trotzdem raten Experten von einer Helmpflicht ab. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Fahrradhelme reduzieren das Risiko, bei Unfällen schwere Kopfverletzungen zu erleiden. Doch womöglich haben sie einen gravierenden Nachteil - abgesehen vom unvorteilhaften Aussehen.

Von Sebastian Herrmann

Wenn sich Radfahrer nicht gerade mit Autofahrern streiten, zanken sie mit anderen Radlern. Diesen Eindruck bekommt, wer Online-Diskussionen über den Nutzen von Fahrradhelmen verfolgt. Höchst emotional wird gestritten, ob ein Helm auf dem Kopf hilfreich sei oder im Gegenteil sogar eine Gefahr für den Träger darstelle. Das klingt zunächst absurd, doch tatsächlich ist der Nutzen des Kopfschutzes nicht mit letzter Sicherheit belegt.

Immerhin eines lässt sich sagen: Fahrradhelme reduzieren das Risiko, sich im Falle eines Unfalls schwer am Kopf zu verletzen. Das berichten Unfallmediziner um Bellal Joseph von der University of Tucson, Arizona, auf einem Chirurgenkongress, der derzeit in Chicago stattfindet. Das klingt plausibel, deckt aber nur einen Aspekt der Auseinandersetzung ab.

Die Chirurgen um Joseph werteten Daten von 6267 Patienten aus, die im Jahr 2012 bei einem Fahrradunfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Ein Viertel hatte bei dem Unglück einen Helm getragen. Im Vergleich zu den ungeschützten Radlern lag das Risiko um 58 Prozent niedriger, eine schwere Hirnschädigung zu erleiden. Auch waren gravierende chirurgische Eingriffe seltener nötig, das Risiko für eine Knochenfraktur im Gesicht war um 26 Prozent reduziert, und auch die Wahrscheinlichkeit, durch die Kopfverletzungen zu sterben, war unter den Behelmten um 59 Prozent geringer.

"Ein Helm schützt zudem vor Hirnblutungen, wenn Sie einen Unfall mit dem Fahrrad haben", sagt der an der Studie beteiligte Chirurg Ansab Haider.

Die Daten der Unfallchirurgen bestätigen die bereits publizierten Ergebnisse zum Thema Kopfverletzungen und Fahrradhelme. Im vergangenen Juli veröffentlichte ein Team von Medizinern und Biomechanikern um Klaus Bauer vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München ähnliche Ergebnisse. Die Wissenschaftler analysierten 543 Unfälle mit verletzten Radlern, die sich in den Jahren 2012 und 2103 in München und Münster ereignet hatten. 117 dieser Fahrradfahrer verunglückten tödlich, von ihnen hatten lediglich sechs einen Helm auf. Die Todesursache war in mehr als der Hälfte der Fälle ein Schädel-Hirn-Trauma.

Ob ein Helm diese schweren Unglücke hätte abmildern können? Laut den Argumenten mancher Helmgegnern wahrscheinlich nicht: Wenn ein Radler mit einem Auto oder gar mit einem Lastwagen kollidiert, dann helfe eben der beste Helm nicht mehr, heißt es zum Beispiel. Auf dem Fahrrad ist man tatsächlich sehr ungeschützt unterwegs. Ist es redlich, dieses Argument anzuführen? Nein, denn die Daten der Münchner Forscher und auch andere Studien zu dem Thema zeigen auch: Die meisten Fahrradunfälle passieren ohne Fremdeinwirkung. Die Radler stoßen nicht mit Autos oder anderen Radfahrern zusammen, sondern stürzen auf Glatteis, nassem Laub, bleiben an Bordsteinkanten hängen oder kommen anders zu Fall.

Mit dem Kopf auf den Asphalt zu prallen, kann solch ein banales Ungeschick eben doch in ein gravierendes Unglück verwandeln. Die Münchner Mediziner und Biomechaniker um Klaus Bauer haben in Unfallsimulationen beziffert, wie sehr ein Helm in solchen Fällen schützen kann. Kippt ein Radfahrer auf die Straße und fällt etwa seitlich mit dem Kopf auf den Untergrund, kann ein Helm die Stoßenergie um zwei Drittel reduzieren. Das Risiko für eine Gehirnerschütterung, so leiten die Forscher daraus ab, reduziere sich durch einen Helm um etwa 30 Prozent.

Beim großen Crash bietet ein Helm also allenfalls kleinen Schutz; beim kleinen Crash bietet ein Helm hingegen großen Schutz. Das klingt eindeutig, welche Argumente haben Helmgegner also? Sie führen sinngemäß an, dass Radler mit Helm häufiger in Unfälle geraten als solche ohne Kopfschutz. Das Phänomen dahinter ist in der Forschung als Risikohomöostase bekannt und belegt. Erstmals beschrieben wurde es, als Autos in den 1980er-Jahren mit ABS ausgestattet wurden. Eigentlich sollte der Bremsassistent die Zahl der Unfälle verringern. Doch das Gegenteil war der Fall, weil die Fahrer mit ABS riskanter fuhren. Weil sie sich sicher und geschützt fühlten, trauten sie sich nun besonders waghalsige Manöver zu.

Das könnte in der Tat auch für Fahrradfahrer gelten. Mit Helm auf dem Kopf rast der Radler vielleicht mit besonderer Hast über unübersichtliche Kreuzungen. Auch andere Verkehrsteilnehmer ändern womöglich ihr Verhalten, wenn Radler Helme tragen: Der britische Verkehrspsychologe Ian Walker will gemessen haben, dass Autos Radfahrer im Schnitt 8,5 Zentimeter dichter passieren, wenn diese einen Helm tragen. Ob Helmträger aber statistisch häufiger in Unfälle verwickelt sind oder nicht, das lässt sich nicht sagen. Dazu fehlen verlässliche Daten. Und andere Verkehrsforscher argumentieren genau anders herum: Wer einen Helm trägt, achtet auch sonst mehr auf Sicherheit und senkt alleine dadurch sein Verletzungsrisiko.

Auf eines können sich die meisten einigen: Ein Radhelm auf dem Kopf sieht beknackt aus

Was nun? Die Daten sprechen eher für den Helm - auch wenn die Schutzwirkung einer Plastikhaube auf dem Kopf nicht überschätzt werden sollte. Die Infrastruktur in Städten besser auszubauen, würde die Sicherheit von Radfahrern wohl effektiver verbessern. Sollte man dennoch eine Helmpflicht einführen? Wo dies geschehen ist, wie in manchen Gegenden Kanadas und Australiens, hat die Zahl der Radler durch den Zwang zur harten Kopfbedeckung abgenommen. Und es gibt Forscher, die gar zu bedenken geben, dass die dadurch reduzierte sportliche Betätigung das Risiko etwa für Herzinfarkte erhöht.

Am Ende können sich alle Teilnehmer der Diskussion wahrscheinlich nur auf eines einigen: Es sieht halt nicht sehr vorteilhaft aus, einen Helm zu tragen. Gut möglich, dass auch nur deshalb so darüber gestritten wird - die einen sammeln Argumente, warum sie sich das hässliche Ding eigentlich aufsetzen; die anderen, warum sie es weiterhin nicht tun wollen.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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