Deutsche Bank:Das große Aufräumen

Genau hundert Tage ist der neue Chef im Amt. Nun überrascht John Cryan mit einem Rekordverlust.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Oft verklären sich die Dinge im Nachhinein. Insofern verwunderte es nicht, dass der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain vor wenigen Tagen auf einer Veranstaltung in London sagte, er sei zufrieden mit seiner Leistung und habe die Bank auf den richtigen Weg gebracht. Es war sein erster Auftritt nach dem Rücktritt Anfang Juni.

Sein Nachfolger im Amt, John Cryan, sieht das offenbar ganz anders. Am späten Mittwochabend ließ er die Öffentlichkeit wissen, dass zahlreiche Abschreibungen auf mehrere Beteiligungen dem Konzern den höchsten Quartalsverlust in der Geschichte bescheren werden. Unter dem Strich dürfte im dritten Quartal nun ein Fehlbetrag von 6,2 Milliarden Euro stehen. Selbst auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 hatte die Bank keinen so hohen Verlust ausweisen müssen.

Hundert Tage ist Cryan in dieser Woche im Amt. Öffentlich gezeigt hat sich der Brite noch nicht, doch immer klarer wird, dass er die Bank entschlossen sanieren will, nach der erfolglosen dreijährigen Amtszeit von Anshu Jain und Jürgen Fitschen. "Den Status quo beizubehalten, ist keine Option", hatte er zu Beginn gesagt. Wie auch? Nach den Skandalen im Investmentbanking ist der Ruf der größten deutschen Bank ruiniert, der Aktienkurs im Keller, die US-Konkurrenz längst enteilt.

Die Aktionäre jedoch müssen nun noch einmal Geduld aufbringen. Angesichts der Milliardenabschreibungen könnte die Dividende gekürzt werden oder zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte sogar ganz ausfallen. Das einbehaltene Kapital will Cryan zum Teil investieren, zum Beispiel in die Modernisierung der IT. Zudem will sich das Management trotz der immer strengeren Anforderungen der Regulatoren eine Kapitalerhöhung ersparen.

Öffentlich gezeigt hat sich Cryan noch nicht, aber klar ist: Er will die Bank entschlossen sanieren

Aber auch die Mitarbeiter müssen sich beteiligen, zum einen steht ein großer Stellenabbau bevor, zum anderen werden sie angesichts der Dividendenkürzung weniger Boni erhalten. Das trifft vor allem die gut bezahlten Investmentbanker. Würde der ein oder andere von ihnen daraufhin das Haus verlassen, wäre das Cryan vermutlich sogar recht, schließlich würde er dann teure Abfindungen sparen. "Die Aktionäre erwarten zu Recht, dass die Mitarbeiter einen Teil der Belastung tragen", schrieb Cryan in einem öffentlichen Brief an die Mitarbeiter. Es war das dritte Mal seit Amtsantritt im Juli, dass er sich per Brief direkt an die fast 100 000 Mitarbeiter des Konzerns weltweit wandte.

Doch wo fallen die horrenden Abschreibungen genau an, und warum kommt es erst jetzt dazu? Auch wenn die Bank in diesem Punkt nicht ins Detail ging, lässt sich der Hintergrund zumindest grob erklären: Allein auf den Geschäfts- und Firmenwert im Privatkundengeschäft sowie im Investmentbanking will der Konzern 5,8 Milliarden Euro abschreiben. In diesen Bereichen will Cryan besonders stark umbauen und sparen. Ein nicht genannter Teil dieser Abschreibungen fiel zudem auf die Postbank, die verkauft werden soll, aber heute wohl nicht mehr so viel Wert ist wie vor fünf Jahren, als die Deutsche Bank sie gekauft hatte. Hinzu kam eine Wertberichtigung auf die ebenfalls zum Verkauf stehende knapp 20-prozentige Beteiligung an der chinesischen Bank Hua Xia.

Die Aktionäre nahmen die schlechte Botschaft gelassen hin, die Papiere drehten sogar ins Plus

Außerdem will die Bank erst in den vergangenen Monaten festgestellt haben, dass sie wegen der strengeren Regulierung für viele Geschäftsfelder und Bilanzposten mehr Eigenkapital zurücklegen muss, als sie noch im Frühjahr erwartet hatte.

Geschuldet ist dies dem Vernehmen nach in erster Linie den neuen Bankenaufsehern der EZB, die gerade die größten Institute der Euro-Zone durchleuchten und nun noch einmal höhere Eigenkapitalausstattungen von einzelnen Banken verlangen. Der Deutschen Bank, so lässt sich die Abschreibung interpretieren, werden die Aufseher offenbar eine überraschend hohe Vorgabe machen - anders ist kaum zu erklären, dass Cryan die Maßnahme erst jetzt anstößt, saß er doch vor seinem Amtsantritt dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates vor und hätte die Abschreibung schon früher verlangen können.

File photo of Deutsche Bank CEO Cryan gesturing at a news conference in Zurich
(Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Die Abschreibungen aber sind nicht alles: Hinzu kommen erneut Rückstellungen für die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten der Bank. Sie werden sich auf rund 1,2 Milliarden Euro belaufen und könnten sich noch erhöhen, bis die Bank ihre Bücher für das abgelaufene Quartal schließt. Die endgültigen Zahlen sowie Details zur Strategie will Cryan am 29. Oktober vorlegen.

Wer angesichts der desaströsen Zahlen auf ein Kursmassaker gewettet hatte, wurde jedoch überrascht: Die Aktionäre nahmen die Rekordabschreibung nach anfänglichen Verlusten erstaunlich gelassen hin, die Papiere drehten am Donnerstag sogar ins Plus. An der Börse ist es ein bekanntes Phänomen, dass neue Chefs erst einmal so viel abschreiben wie nur irgendwie möglich, um nachher von der Erholung zu profitieren. Außerdem waren sie erleichtert, dass die Bank weiterhin keine Kapitalerhöhung plant, anders als offenbar der Schweizer Konkurrent Credit Suisse.

"Die Zahlen sind schlecht, aber wir wissen jetzt woran wir sind", sagte Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment. Dass die Dividende gekürzt werde, sei zwar nicht schön, aber ein Zeichen der Entschlossenheit und ein Signal nach innen. "Damit ist klar, dass über die variable Vergütung auch die Mitarbeiter der Bank einen Beitrag leisten, was bisher nicht ausreichend passiert ist." Aber: Um Vertrauen gegenüber Kunden und Aktionären zurückzugewinnen, seien nun personelle Konsequenzen nötig. Erst kürzlich hatte die Finanzaufsicht Bafin mehrere Vorstände für ihre Rolle im Skandal um die Zinsmanipulation kritisiert - sie sind nach wie vor im Amt. "Cryan sollte rasch die Führungskräfte auswechseln, die in die Skandale der Vergangenheit verstrickt sind."

Der Verlust wurde an der Börse auch deshalb so gut verdaut, weil er sich nicht auf das regulatorische Kernkapital auswirkt und daher keine Kapitalerhöhung nötig ist. Schließlich handelt es sich überwiegend um Abschreibungen auf Beteiligungen. "Im Grunde ist es eine rein buchhalterische Angelegenheit", sagte Analyst Philipp Häßler von Equinet, der aber trotzdem vorsichtig ist, "weil die Rechtsrisiken trotz der Rückstellungen von nun fünf Milliarden Euro noch nicht vom Tisch sind."

Deutsche Bank: SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

Sollte sich Jain nun um sein Erbe sorgen, er wäre nicht alleine. Cryan nämlich machte bei den Abschreibungen auch vor der älteren Geschichte nicht halt. Sogar die 1999 unter Vorstandschef Rolf Breuer gekaufte US-Investmentbank Bankers Trust traf es, durch deren Übernahme die Bank eine globale Größe im Kapitalmarktgeschäft wurde. Damit endet auch eine alte Illusion: dass die Europäer an der Wall Street eine große Rolle spielen können.

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