Südkorea:Große Augen

Korean plastic surgeon Kim demonstrates the so-called 'double eyelid surgery' for a patient during a consulting session in his clinic in Shanghai

Der Arzt zeigt einer Kundin, wie die OP laufen wird.

(Foto: Nir Elias/Reuters)

Schönheitschirurgie ist nirgendwo so verbreitet wie in Südkorea. Was einst aus der Not des Krieges entstand, ist heute ein mächtiger Wirtschaftszweig.

Von Christoph Neidhart, Seoul

So-yeong hat zum Abitur vom Vater eine Schönheitsoperation bekommen. Sie soll sich eine zweite Lidfalte machen lassen, damit die Augen größer scheinen. In Südkorea ist das ein typisches Schulabschluss-Geschenk. Doch So-yeong, die in Wirklichkeit nicht so heißt, lehnte das Geschenk ab. Der Vater war entsetzt: Damit verbessere sie doch ihre Jobchancen.

Südkorea ist heute das Mekka der plastischen Chirurgie. Ein Viertel aller Eingriffe weltweit werden hier durchgeführt. Allein in Seoul gibt es mehr als 500 Kliniken. Mit jährlich 650 000 Operationen, etwa die Hälfte davon an Koreanerinnen und Koreanern, die andere Hälfte an - meist weiblichen - Touristen, setzt die Branche umgerechnet 4,5 Milliarden Euro um. Ein Trend, der von der Regierung in Seoul kräftig unterstützt wird. Vom kommenden Jahr an, so hat es Präsidentin Park Geun Hye angekündigt, soll die Mehrwertsteuer für Schönheits-OPs für Ausländerinnen abgeschafft werden.

In Seoul existieren noch Straßenzüge, die von den Großhändlern einer einzigen Branche dominiert werden. Es gibt eine Schuhstraße, ein Möbelviertel, ein Straßenzug mit Russland-Händlern und die Nonhyeon-Straße im Luxusviertel Gangnam. Hier reiht sich eine Schönheitsklinik an die nächste. Sie heißen "Grand", "Reborn", "Euro" oder "VIP". Ihre Eingangshallen sind aus Glas und falschem Marmor, viele sehen aus wie die Rezeptionen von Luxushotels oder Privatbanken.

In manchen Schulklassen lassen sich 80 Prozent der Mädchen die Augenlider korrigieren

Am Empfang der BK-Klinik - BK steht für "Beauty Korea" -, die in einem schlanken Hochhaus aus blauem Glas residiert, darf man einer Frau an die Brust fassen. Mann soll sogar. Fühlt sich das Silikonimplantat nicht echt an? Oder sogar besser? Die Frau, ein lebensgroßer Torso, ist ein Exponat des "Museums der plastischen Chirurgie" der BK-Klinik. Die Ausstellung schlägt einen Bogen vom Bologneser Arzt Gaspare Tagliacozzi, dem Begründer der plastischen Chirurgie, zum Geschehen heute in Seoul. Vom 16. ins 21. Jahrhundert.

Nach Korea kamen die Schönheitschirurgen mit dem Koreakrieg. Der Chef der US-Marinechirurgie, Ralph Millard, operierte verstümmelte Kriegsopfer, um ihre Körper wiederherzustellen, so weit es ging. Bis ihn Koreanerinnen baten, ihre Augenlider so zu operieren, dass sie westlicher aussahen. Der Eingriff wurde rasch populär, "vor allem bei koreanischen Prostituierten, die amerikanische G.I.s locken wollten", schrieb Millard 1955. Asiatische Augen unterstrichen "das Stoische und Emotionslose der Orientalen", fand er. Aber mit ihm wurde Korea zum "Paradies für plastische Chirurgen".

Große Augen gelten in Asien als schön. Die zweite Augenlidfalte ist derzeit die bei Weitem häufigste Operation. "Harmloser als ein Zahnarztbesuch", sage Hyun-hee, eine Studentin. "In einer halben Stunde war alles vorbei. Da denke ich gar nicht mehr dran." Man rede auch nicht darüber, es sei eben normal. In manchen Abiturklassen lassen sich 80 Prozent der Mädchen die Augenlider korrigieren. Auch in der Provinz. Die Mode schwappe sogar nach Nordkorea über.

Das Museum der BK-Klinik zeigte bis vor Kurzem auch ein Glas mit Knochenspänen, die Frauen vom Unterkiefer abgeschabt worden waren, um das Gesicht schmaler und V-förmiger und den Kopf kleiner erscheinen zu lassen. Auch dies ein populärer Eingriff. Die Knochenreste sind verschwunden, warum, weiß das Personal nicht. Die Rekonvaleszenz nach einer Kiefer-Verschlankung dauert lange und ist schmerzhaft, die Patientin darf nichts Festes essen, einige verlieren ihr Gefühl in der unteren Gesichtshälfte. Die Werbung der Kliniken hingegen stellt die Eingriffe als so normal und schmerzlos dar wie Schminken. Da passen Knochenspäne nicht. Außer den Augen, auch deren Stellung, und dem Kiefer lassen sich Koreanerinnen gern die Nase, die Wangenknochen und die Stirn korrigieren. Und Tränensäcke entfernen. Ältere Leute lassen sich Botox in die Unterhaut des Gesichts spritzen, das macht ihre Züge weicher. Beliebt sind auch Fettabsaugen und das Modellieren der Brüste. Etwa 15 Prozent der Kunden sind Männer.

Warum legen sich Koreanerinnen häufiger als Frauen anderer Nationen für ihr Aussehen unters Messer, obwohl Zeitungen immer wieder schreiben, die Chirurgen seien ungenügend ausgebildet? Es gibt viele Berichte über verpfuschte Operationen, über Frauen, die verunstaltet wurden. Die Industrie gilt als wenig reguliert.

Machen doppelte Augenlider glücklich? Das glaube er nicht, sagt der Psychologe Suh Eun-kook, Leiter des Glücks- und Kulturpsychologie-Labors der Yonsei-Universität. "Im Moment der Veränderung vielleicht, auf Dauer aber nicht." Ausgenommen seien davon freilich all jene, die eine klare Indikation für eine Korrektur haben, etwa als Folge eines Unfalls.

In Ostasien hat das Äußere einen höheren Stellenwert als im Westen, wie Suhs Forschungen zeigen. Er ließ Studenten in Korea und den USA Stellenbewerbungen beurteilen und fragte sie nach ihren Kriterien: Die Koreaner wählten aufgrund der Fotos, die Amerikaner aufgrund der Texte. Es dürfte somit zutreffen, dass kosmetische Chirurgie die Jobchancen in Korea verbessert. Und die Heiratsaussichten wohl auch.

Die Obsession der Koreaner mit Äußerlichkeiten sei älter als die plastische Chirurgie, so Suh. Sie erfasse Männer ebenso wie Frauen, und - das erstaune ihn am meisten - auch die Älteren. Es gehe weniger um Schönheit als um Konkurrenz. In der sehr kompetitiven, "fast würde ich sagen: eifersüchtigen" Gesellschaft, wolle jeder haben, was auch andere haben. Doppelte Augenlider hätten eine ähnlich große Bedeutung wie ein neues Auto oder ein iPhone. "Man will auf keinen Fall zu kurz kommen", sagt Suh. Daraus erkläre sich auch, dass Koreaner Innovationen schneller annehmen als andere Nationen.

Es gehe um Wettbewerb, sagt der Professor. Jeder wolle haben, was der andere hat

Die Werbung der Schönheitskliniken nutzt das aus, sie macht die Operationen zu einer Art Friseurbesuch. Eine Selbstverständlichkeit, für jedermann. Weil man in Korea zudem glaube, dass sich mit genügend Aufwand fast alles erreichen lasse und jene, die sich nicht bemühten, selbst schuld seien, empfinden es viele fast als Pflicht, ihr Äußeres operativ zu "verbessern", sagt der Professor.

Die Aktivitäten der Branche reichen inzwischen weit über die Grenzen hinaus. Die Kosmetikindustrie wirbt in China, Hongkong, Taiwan, Indonesien, Vietnam und Singapur mit Pauschalreisen nach Seoul, OP inklusive. Davon profitiert auch die Touristikbranche. Der Reiseleiter wird zum Schönheitsberater. Und weil Urlaub auf Koreas Ferieninsel Jeju angenehmer ist als in Seoul, unterhalten die Kliniken dort Filialen.

Wenn Leute in Europa oder den USA zum Schönheitschirurgen gehen, haben sie in der Regel konkrete Wünsche. Sie möchten zum Beispiel eine kleinere oder eine größere Nase. Dafür halten die Kliniken Fotobücher bereit, mit Vorher-nachher-Ansichten. Die meisten Koreaner dagegen kommen mit Bildern eines Filmstars: So wollen sie aussehen.

Doch trägt all dies auch zum Wohlbefinden der Nation bei? Je wohlhabender eine Gesellschaft, umso glücklicher sei sie, diesen Trend beobachte man weltweit, sagt Suh. "Nur die Kollektivgesellschaften Ostasiens sind, bezogen auf ihren Lebensstandard, relativ unglücklich." Das gelte nicht nur für Korea, sondern auch für Japan oder Singapur. In Skandinavien dagegen seien die Leute besonders zufrieden. Suh erklärt das mit der großen individuellen Freiheit im Norden. Die Vorstellung, dass die Erfüllung von Erwartungen des Kollektivs die Freiheit kompensieren könnte, findet er "naiv".

Umso paradoxer, dass die plastische Chirurgie den Koreanerinnen Individualität verkauft, aber allen ähnliche Gesichter modelliert. Sind So-yeongs Freundinnen nach ihren Operationen heute glücklicher? "Nein, die einen bereuen es, die andern wollen mehr."

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