Weißrussland:Wahl ohne Wettbewerb

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Ein Weißrusse gibt seine Stimme bei der Vorwahl in der Stadt Smolewitschi ab. Der Ort liegt gut 30 Kilometer östlich der Hauptstadt Minsk. (Foto: Sergei Gapon/AFP)

Am Sonntag stimmt Weißrussland über den nächsten Präsidenten ab. Der bisherige Staatschef Alexander Lukaschenko hat dafür gesorgt, dass er beste Aussichten hat, auch weiterhin zu herrschen.

Von Julian Hans, Minsk

Die Sensation des Tages ist den weißrussischen Abendnachrichten nur wenige Sekunden wert: Eine Weißrussin ist mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden!

Als erste russischsprachige Schriftstellerin, seit Joseph Brodsky den Preis 1987 bekam, und als erste Bürgerin der jungen Republik überhaupt. Doch die Sprecherin des Staatssenders Belarus1 nuschelt nur eilig den Namen der Preisträgerin und erinnert daran, dass der Friedensnobelpreis noch aussteht. Die Hauptmeldung: Drei Tage vor der Präsidentenwahl am Sonntag haben bereits elf Prozent der Wahlberechtigten vorzeitig abgestimmt, der Andrang ist groß, alles läuft.

Derweil gibt Swetlana Alexijewitsch in den engen Redaktionsräumen der Oppositionszeitung Nascha Niwa ihre erste Pressekonferenz. Sie trägt einen dicken Wollpullover und einen Schal, die Redaktion ist unbeheizt, aber eine andere Bühne gibt es für die Nobelpreisträgerin in Minsk nicht. Seit Alexander Lukaschenko vor 21 Jahren zur Macht kam, werden Alexijewitschs Bücher in Weißrussland nicht gedruckt, sie kann nicht öffentlich auftreten. Ihre Texte beschreiben, was die Sowjetideologie aus den Menschen gemacht hat und wie sich das in den Gesellschaften fortsetzt, die nach dem Verfall der Sowjetunion geblieben sind. Das genügt, als oppositionell eingestuft zu werden, obwohl sie weder für die Führung noch für die Opposition gute Worte fand. Der Präsident sei ein "Psychopath", sagte sie, die Opposition naiv, konzeptlos, weit weg vom Volk. Am Sonntag hat das Volk die Wahl zwischen beiden.

Auf den Straßen erinnert alles eher an einen Feiertag als an Wahlkampf: Fassaden und Laternenmasten sind mit Wimpeln in den Nationalfarben grün und rot geschmückt. Auf Reklametafeln sind nicht Kandidaten und ihre Versprechen zu sehen, stattdessen auf Schritt und Tritt neben dem Staatswappen der Satz: "11. Oktober 2015 - Wahlen zum Präsidenten der Republik Weißrussland". Wer überhaupt kandidiert, erfährt man erst auf einer der Infotafeln. Dort werden die vier Bewerber auf einem Blatt vorgestellt: Foto, Lebenslauf in Stichworten, kein Programm. Wahlen ohne Wettbewerb.

Die verhafteten Konkurrenten vom letzten Mal kamen nach Ablauf der Bewerberfrist frei

Dennoch dürfte das Urteil über den Verlauf diesmal milder ausfallen als vor fünf Jahren, das sagen westliche Diplomaten, Wahlbeobachter der OSZE und politische Analysten einhellig. Damals protestierten noch am Wahlabend Zehntausende gegen Fälschungen, die Polizei nahm Hunderte fest, darunter die Präsidentschaftskandidaten der Konservativen und der Sozialdemokraten, Andrej Sannikow und Nikolaj Statkewitsch. Ende August ließ Lukaschenko endlich Statkewitsch und fünf weitere politische Gefangene frei - einen Tag nach Ablauf der Frist zur Registrierung für die Wahl.

Verlaufen die Wahlen jetzt ohne Zwischenfälle, dürfte dies Signal für einen Wandel sein, der seit Monaten in Minsk, Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten im Stillen vorbereitet wurde: Die EU will die Sanktionen gegen Weißrusslands Führung aufheben und so honorieren, dass sich Lukaschenko kooperativ gezeigt hat. Trotz Abhängigkeit und enger Verbindungen zu Moskau hat Lukaschenko die Annexion der Krim nicht anerkannt und die russische Aggression gegen die Ukraine kritisiert. Er bot sich als Vermittler an und stellte Minsk für Friedensgespräche zur Verfügung. Dass Lukaschenko weiter Kritiker verfolgen lässt und Weißrussland als letzter Staat in Europa die Todesstrafe vollstreckt, wird vorerst hingenommen.

Eigentlich sollen die Reiseverbote gegen Lukaschenko und etwa 140 Funktionäre Ende des Monats überprüft werden. Der Agentur Reuters sagten westliche Diplomaten, es könnte schon am Montag so weit sein - zunächst für fünf Monate.

Gibt es einen Kurswechsel in der Politik des weißrussischen Dauer-Herrschers? Walerij Karbalewitsch schüttelt den Kopf. Der Politologe hat den Werdegang und die Politik des Präsidenten so gründlich analysiert wie kein Zweiter. Gut 700 Seiten umfasst seine Biografie "Alexander Lukaschenko - Ein politisches Porträt", ein Standardwerk, das man in Weißrussland nicht bekommt, weil es nicht nur Positives vom Staatsoberhaupt berichtet.

Versiert darin, Ost und West gegeneinander auszu spielen

Dass Lukaschenko Russland und den Westen gegeneinander ausspielt, sei nichts Neues, sagt Karbalewitsch. Eine ähnliche Tauwetter-Periode habe es schon nach dem Georgien-Krieg 2008 gegeben, als Minsk die Abspaltung von Abchasien und Südossetien nicht anerkannte. "Um zu überleben, braucht Weißrussland Kredite. Bisher hat es viel Unterstützung von Russland erhalten - wirtschaftlich, politisch, militärisch, ideologisch." Doch Putins Vorgehen gegen die Ukraine habe Lukaschenko erschreckt: "Das kann uns auch passieren." Zudem seien die Beziehungen zum Westen Druckmittel: Gibt Moskau kein Geld, gehe ich zum Westen. Am Rande der UN-Generaldebatte bat er in New York den IWF erneut um Kredite.

In der Bevölkerung sei der Wunsch nach einer starken Hand wegen der Ereignisse in der Ukraine größer geworden, sagt Karbalewitsch: "Im Wahlkampf bietet er an, jetzt sind nicht Löhne das Wichtigste, sondern Frieden, Sicherheit, Ordnung." Mit Verweis auf die Ukraine drohe Lukaschenko dem Volk: "Seht her, so geht es, wenn der Staat schwach ist. Solange ich an der Macht bin, garantiere ich euch, dass so etwas nicht passiert."

Minsk am vergangenen Sonntag: Im Zentrum veranstaltet die Opposition eine Kundgebung gegen die Errichtung eines russischen Luftwaffenstützpunkts nahe Babrujsk. Obwohl der Protest nicht genehmigt ist, lässt die Polizei die Demonstranten gewähren; Bilder von prügelnden Polizisten und Massenverhaftungen kann Lukaschenko gerade nicht brauchen.

Vielleicht kommt ihm der Protest sogar ganz gut zupass. "Ich höre in der letzten Zeit Gezeter unserer Opposition gegen einen russischen Luftwaffenstützpunkt auf weißrussischem Territorium", sagt Lukaschenko Tage später vor Kameras. "Mir ist davon nichts bekannt. Wir brauchen keine neuen Stützpunkte." Dass russische Medien das Thema aufbrachten, lasse vermuten, dass "sie vielleicht wirklich beunruhigt sind, dass wir unsere Beziehungen mit dem Westen verbessern?"

Weißrusslands Wirtschaft brauche im Jahr etwa drei Milliarden Dollar Subventionen, Kredite oder andere Vergünstigungen aus Russland, sagt Andrej Jelisejew vom Belarussian Institute for Strategic Studies. Echte Reformen würden Lukaschenkos Macht gefährden. Etwa 40 Prozent der Staatsbetriebe machten Verluste. Etwa 70 Prozent der Menschen sind bei ihnen beschäftigt. Keiner will den Job verlieren. "Lukaschenko wird keinen russischen Stützpunkt zulassen ohne eine ordentliche Gegenleistung von Russland", sagt Jelisejew. Ideal wäre, den Luftwaffenstützpunkt zu nutzen, um vom IWF und von Russland Kredite zu erhalten. "Erst so tun, als sei er dagegen und einen Plan vom IWF bekommen, und dann umschwenken auf die russische Position." Es wäre nicht das erste Mal.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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